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Renault 16: Der schräge Typ mit der großen Klappe wird 50
Ein Meilenstein in der Automobilgeschichte / Für Freizeit, Reise, Einkauf und die Fahrt zur Arbeit

RobGal

Standards, welche die Autowelt gründlich verändern, sind selten. Die Fließbandproduktion durch Henry Ford etwa. Ex-VW-Patriarch Ferdinand Piëch setzte gleich einige um: TDI-Motortechnik, verzinkte Karosserie gegen Durchrostung, modulare Produktionstechnik.
Einer der wichtigsten Standards der Automobilgeschichte kommt nicht aus Deutschland, sondern von den Galliern: der Mittelklassewagen mit Schrägheck, großer Heckklappe und ''fünf Türen''. Das Konzept, zuerst im Renault 16 umgesetzt, wurde ein wahrer Welthit und feiert jetzt seinen fünfzigsten Geburtstag.

1965 war die Welt der Mittelklasselimousinen noch recht simpel: vorn der Motor, in der Mitte der Fahrgastraum, hinten (oft ungeschickt angepappt) der Kofferraum. Ob BMW, Mercedes, Fiat, Peugeot oder sonst wer, ob Mittel- oder Oberklasse: überall das gleiche Grundmuster, mal eleganter, mal plumper im Layout. Und wenn irgendetwas davon abwich, handelte es sich um einen kleineren Wagen, wie der VW Käfer, der Citroën 2CV ("Ente") und als intelligenteste Lösung der smarte Renault 4. Aber nichts davon in der Mittelklasse. Das war ein Problem. Denn in den 1960ern, als der Wohlstand wuchs und im Zeichen der Babyboomer-Generation auch die Zahl der Kinder in westeuropäischen Familien, fehlte genau für diese große, kaufkräftige Gruppe ein Auto, das ihre vielfältigen Bedürfnisse optimal abdecken konnte: Freizeit, Reisen, Einkauf, Fahrt zur Arbeit.

Es war Pierre Dreyfus, Chef des Staatskonzerns Renault, der bereits den Bau des genialen Kleinwagens R4 veranlasst hatte. Er beauftragte 1961 die Leiter der Entwicklungsabteilung mit dem Bau eines Familienautos völlig neuer Art. Es sollte elegant, geräumig und wandlungsfähig wie ein Kombi sein und Frontantrieb haben. Ansonsten hatten sie völlig freie Hand.

Der damals gerade einmal 31-jährige Designer Gaston Juchet legte schon im Spätsommer 1961 den "Das-ist-es"-Entwurf vor: vier Türen, Schrägheck, drei Seitenscheiben – die Geburtsstunde des wegweisenden R-16-Konzepts. Dann ging alles Schlag auf Schlag. Renault schaffte die Entwicklung in der Rekordzeit von nur vier Jahren. Üblich waren damals rund sieben Jahre. Und auch das komplett neue Werk für die Produktion in Sandouville bei Le Havre stampfte Renault im Rekordtempo von 18 Monaten aus dem Boden, so dass schon im Januar 1965 die Serienfertigung des Renault 16 beginnen konnte – der Start einer ungeahnten Erfolgsgeschichte.

Der Renault 16 maß in der Länge 4,32 Meter, in der Breite 1,65 Meter und in der Höhe 2,36 Meter und hatte eine so vorzügliche Raumausnutzung, dass das Technikzeitschrift "Hobby" jubelte: "Innen größer als außen". Dabei setzte sich auch ein Nonsense-Begriff für diese Gattung der Schräghecklimousinen mit großer Heckklappe durch: Als "Fünftürer" werden sie seither bezeichnet, obwohl von hinten nie jemand ein- oder aussteigt.

Die Platzverhältnisse des R16 waren geradezu paradiesisch. Die Sitze ließen sich je nach Bedarf in sieben verschiedenen Positionen nutzen. Die Rücksitze waren um 15 Zentimeter nach vorn verschiebbar und konnten ganz ausgebaut werden. So wuchs das Ladevolumen von 346 auf 1.200 Liter. Wegen der Türausschnitte und der luftigen Innenhöhe konnte man – damals nicht unwichtig – sogar mit Hut einsteigen. Die in Deutschland überwiegend verkaufte Ausstattungslinie "Grand Luxe" bot sogar eine Mittelarmlehne samt Ablagefach.

Extravagant bis heute: Der Renault 16 hatte links einen längeren Radstand als rechts (2.717 zu 2.650 Millimeter). "Schwebend über Stock und Stein", lautete das Urteil der Fachpresse über die Fahrkultur dieses Galliers. Die Zeitschrift "Auto, Motor und Sport" lobte nach einem 50.000-Kilometer-Dauertest: "Ein rollendes Wohnzimmer".
Wegweisend war auch die Antriebstechnik. Der Motor mit 1.470 Kubikzentimetern und 55 PS bestand vollständig aus Aluminium. Später stieg die Leistung und erreichte 1973 bis zu 93 PS. Wegen des weit nach hinten Richtung Wagenmitte angeordneten Motors und des davor montierten Getriebes sprach man von einem Front-Mittel-Motor. Das bedingte eine ausgewogene Gewichtsverteilung von 55 Prozent auf der Vorder- und 45 Prozent auf der Hinterachse. Damit war die Voraussetzung für sicheres und zugleich sportliches Fahrverhalten gegeben.

Der Erfolg bestätigte die Franzosen: Gleich im ersten Verkaufsjahr setzte Renault weltweit 179.991 R16 ab. Erfolgreich exportiert wurde das Auto nicht nur nach Europa, sondern auch in die USA und nach Kanada. Gebaut wurde es in 15 Ländern, darunter in Australien, Madagaskar, Trinidad und Venezuela. 1971, nach sechs Jahren Bauzeit, wurde dem R16 ein erstes Facelift verpasst. Erst 1980 endete die R16-Produktion, nach genau 1.845.959 produzierten Exemplaren. Bereits 1976 erschien der Nachfolger R20, wegen der starken Nachfrage lief daneben aber noch der R16 vier weitere Jahre vom Band.

Renault war mit dem R16 allen anderen Herstellern, die auf der Erfolgsspur folgen wollten, um fünf Jahre voraus. Erst hechelten die Briten mit dem Austin Maxi hinterher. Dann folgte nach weiteren fünf Jahren der erste VW Passat, der im Kern ein Audi 80 mit Steilheck war. "Vorsprung durch Technik" – das war damals nun einmal die Kompetenz der Franzosen.
Quellen
    • Text: Otto Küpper (Kb)
    • Foto: Renault