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AG Nettetal spricht gekürzte Sachverständigenkosten nach unverschuldetem Unfall zu
AG Nettetal Urteil vom 12.7.2017 – 27 C 37/17 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Es gibt kaum noch einen Verkehrsunfall, bei dessen Schadensabrechnung die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung nicht irgendwelche Schadenspositionen kürzt oder gar streicht. In letzter Zeit werden fast ständig die berechneten Sachverständigenkosten gekürzt. Jetzt war das Amtsgericht Nettetal aufgerufen, zu der von der voll einstandspflichtigen Versicherung vorgenommenen Kürzung der Sachverständigenkosten Stellung zu nehmen. Mit klaren Worten hat sich das erkennende Gericht gegen die von der Kfz-Versicherung vorgenommenen Kürzungen der Sachverständigenkosten ausgesprochen.
Nach einem Verkehrsunfall, der sich Anfang Januar 2016 ereignete, beauftragte der Geschädigte einen qualifizierten Kfz-Sachverständigen mit der Erstellung des Schadensgutachtens. Für den Schaden haftet die hinter dem Schädiger stehende Provinzial Rheinland Versicherung AG zu 100 Prozent. Der Sachverständige schätzt die Reparaturkosten auf 1.828,49 €. Die Sachverständigenkosten betragen 649,85 €. Hierauf hat die eintrittspflichtige Versicherung des Schädigers nur 521,-- € gezahlt. Der Differenzbetrag ist Gegenstand der Klage. Die Klage hatte Erfolg.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat gegen die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung einen Anspruch auf Zahlung weiterer Sachverständigenkosten. Unstreitig haftet die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung zu 100 % für die durch den Verkehrsunfall entstandenen Schäden. Dazu gehören auch die entstandenen Sachverständigenkosten. Der Geschädigte darf nach einem Verkehrsunfall einen Sachverständigen mit der Schätzung der Schadenshöhe an seinem durch den Unfall beschädigten Fahrzeug beauftragen und vom Schädiger nach § 249 II BGB den Ersatz der objektiv erforderlichen Sachverständigenkosten verlangen. Als erforderlich sind nach ständiger Rechtsprechung diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde. Er darf sich nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall damit begnügen, einen in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen für die Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen. Er muss nicht zuvor eine Marktforschung nach dem kostengünstigsten Sachverständigen betreiben. Bei der Frage, welcher Betrag der Sachverständigenkosten aus der Sicht des Geschädigten erforderlich ist, bildet zunächst die Rechnung des Sachverständigen ein wesentliches Indiz. Somit genügt der Geschädigte seiner Darlegungslast zur Schadenshöhe grundsätzlich durch Vorlage der Sachverständigenrechnung. Nur dann, wenn die mit dem Sachverständigen getroffene Preisvereinbarung deutlich erkennbar über den üblichen Preisen liegt, verletzt der Geschädigte seine Schadensgeringhaltungspflicht und kann nicht mehr den vollen Rechnungsbetrag verlangen. Für die Üblichkeit ist die Honorarbefragung der BVSK-Sachverständigen heranzuziehen. Hierbei ist festzustellen, dass der Sachverständige bezüglich des Grundhonorars innerhalb des Korridors abgerechnet hat. Auch die berechneten Nebenkosten sind grundsätzlich nicht zu beanstanden. Sie liegen zwar über den vom BVSK vorgegeben Beträgen. Die Überschreitung beträgt 8,8 % des Rechnungsbetrages. Diese geringfügige Überschreitung musste für den Geschädigten nicht erkennbar sein und kann somit keine Schadensminderungspflicht auslösen. Da die Beklagte von den zutreffend in Rechnung gestellten 649,85 € bislang nur 521,-- € gezahlt hat, ist von ihr noch der Restbetrag in Höhe der Klageforderung zu begleichen. Sie musste dementsprechend zur Zahlung verurteilt werden.

Fazit und Praxishinweis: Der Geschädigte ist grundsätzlich berechtigt, nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall ein Gutachten über die Höhe und den Umfang des Kraftfahrzeugschadens einzuholen. Er darf dabei einen für ihn ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens beauftragen. Die Kosten des Sachverständigengutachtens sind dem Grunde nach erstattungsfähig. Sie gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 I BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung der Schadensersatzansprüche erfor5derlich und zweckmäßig ist. Ebenso können die Sachverständigenkosten zu dem nach § 249 II 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist. Dabei bildet die Rechnung des Sachverständigen ein Indiz für die erforderliche Höhe des zu ersetzenden Betrages. Nur wenn der Geschädigte erkennen kann, dass der berechnete oder der vereinbarte Betrag erkennbar deutlich über den branchenüblichen Beträgen liegt, ist er nicht mehr berechtigt. Den vollen Rechnungsbetrag erstattet zu erhalten. Eine deutlich erkennbare Überhöhung dürfte bei dem Doppelten des üblichen Betrages liegen. Nur dann wird der Geschädigte eine Überhöhung erkennen können. Immerhin ist bei der Frage der Erkennbarkeit auch auf die spezielle Situation des Geschädigten und auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten Rücksicht zu nehmen. Die Werte der BVSK-Honorarbefragung muss er nicht kennen.
Quellen
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