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AG Lahnstein richtet sich nicht nach BGH und verneint Anwendung des JVEG
AG Lahnstein Urteil vom 18.4.2017 – 24 C 59/17 -

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Immer wieder kommt es wegen der berechneten Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall zu Streitigkeiten mit der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung. Regelmäßig beauftragen Geschädigte eines Verkehrsunfalls einen Kfz-Sachverständigen mit der Feststellung des Schadensumfangs und der Schadenshöhe an beschädigten Fahrzeug. Hierzu sind die Geschädigten grundsätzlich berechtigt. Die von dem Sachverständigen berechneten Kosten sind nach der Rechtsprechung des BGH (BGH VI ZR 67/06) als zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 I BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen anzusehen, wenn eine Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. So musste auch das Amtsgericht Lahnstein den Rechtsstreit um die von der einstandspflichtigen Versicherung gekürzten Sachverständigenkosten entscheiden. Die Klage war erfolgreich.
Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall beauftragte der Geschädigte einen qualifizierten Kfz-Sachverständigen, damit dieser die Schadenshöhe und den Schadensumfang feststellt und dokumentiert. Für seine Sachverständigentätigkeit berechnete der Sachverständige gegenüber dem Geschädigten am 9.8.2016 seine Kosten.Diese Kosten machte der Geschädigte bei der eintrittspflichtigen Kfz-Versicherung geltend. Diese kürzte die berechneten Sachverständigenkosten um 224,93 €. Dieser Kürzungsbetrag ist Gegenstand des Rechtsstreits vor dem örtlich zuständigen Amtsgericht Lahnstein. Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg.

Die zulässige Klage ist begründet. Die hier zur Erstattung begehrten Sachverständigenkosten zählen zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und [b]gemäß § 249 Abs. 1 BGB[/b] auszugleichenden Vermögensnachteilen. Die Erforderlichkeit der Einschaltung des Sachverständigen in die vorgerichtliche Begutachtung des entstandenen Sachschadens als solche steht außer Streit. Die Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand eines Sachverständigengutachtens im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlich ist, hat sich einerseits danach auszurichten, dass der Kläger vorliegend nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten war, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwenden Kosten beeinflussen konnte, andererseits jedoch daran, welche Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten insoweit unter Rücksichtnahme auf die spezielle Situation des Klägers als Geschädigtem überhaupt bestanden, sogenannte subjektbezogene Schadensbetrachtung.

Nach ständiger, höchstrichterlicher Rechtsprechung war der Kläger nicht gehalten, vor Beauftragung des Sachverständigen eine Marktforschung nach dem honorargünstigsten Sachverständigen zu betreiben. Etwas anderes konnte nur dann gelten, wenn der Kläger vorliegend erkennen konnte, dass der von ihm ausgewählte Sachverständige Honorarsätze für seine Tätigkeit verlangt, die die in der Branche üblichen Preise offensichtlich willkürlich übersteigen. Auch überhöhte Honorarforderungen des Sachverständigen sind grundsätzlich schadensrechtlich erstattungspflichtig, sofern nicht der Geschädigte mit dem Sachverständigen ein offensichtlich überhöhtes Honorar vereinbart, ihm ein Auswahlverschulden zur Last fällt oder er grobe und offensichtliche Unrichtigkeiten der Vergütungsberechnung missachtet oder gar selbst verursacht hat. Regelmäßig stellt hierbei die Höhe der schriftlichen und ausgeglichenen Honorarberechnung des Sachverständigen das wesentliche Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB und die sich hierin erschöpfenden Erkenntnismöglichkeiten des Klägers dar, was nicht nur für die Berechnung des Grundhonorars, sondern auch für die Veranlagung von sogenannten Nebenkosten gilt. Der in Übereinstimmung mit der Rechnung und der ihr zugrundeliegenden Preisvereinbarung vom Geschädigten tatsächlich erbrachte Aufwand bildet bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen" Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. In ihm schlagen sich die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig nieder.

Erkenntnismöglichkeiten, welche die Indizwirkung der Honorarberechnung aus Sicht des Klägers hätten in Zweifel ziehen, zeigt der Beklagte nicht auf. Namentlich ist das Gericht der Auffassung, dass die in Teilen als Vergleichsmaßstab durch die Beklagte herangezogenen Bestimmungen des JVEG dem Kläger nicht hätten bekannt sein müssen, weswegen es - ungeachtet der durch den Bundesgerichtshof zu dessen Aktenzeichen VI ZR 50/15 neuerlich für zulässig erachteten Zuordnung der Nebenkosten zu den Kosten des täglichen Lebensan einem allgemeinkundigen und hinreichend einheitlichen Maßstab fehlt, anhand dessen ein Geschädigter auf eine etwaige offenkundige Überhöhung von Grundhonorar und/ oder Nebenkosten hätte schließen können. Auf eine Überhöhung von Kosten kann belastbar nur schließen, wer die tatsächlich gezahlten Kosten auf einen konkreten Vergleichswert hin beurteilt. Im Bereich der Schadenssachverständigen existiert aber entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofes gerade keine allgemeine Lebenserfahrung, die einen solchen Vergleichswert liefern und damit zu einer auf konkrete Vergleichswerte hin durchzuführenden Abschätzung der Erforderlichkeit von Sachverständigenkosten ohne besondere Sachkunde befähigen würde.

Das etwaig von einer laienhaften Einschätzung des Geschädigten entwickelte Bauchgefühl, hier werde überhöht abgerechnet, ist nicht objektivierbar und ohne Vergleichsmaßstab für sich betrachtet schadensrechtlich ohne Belang. Nach Auffassung des Gerichts ist daher eine Beurteilung der dem Kläger berechneten Entgelte an den Regelungen des JVEG nicht geboten. Daher hatte der Kläger bereits gegen die Prämisse, dass neben dem Grundhonorar auch Nebenkosten berechnet würden, keinen Argwohn zu hegen, zumal gerichtsbekanntermaßen, wie auch anhand der Branchenbefragungen im Sachverständigenbereich, die Vereinbarung der Vergütung von Nebenkosten zur üblichen Geschäftsgepflogenheit der Sachverständigen zählt.

Fazit und Praxishinweis: Zu Recht hat hier ein Amtsgericht die Rechtsprechung des BGH aus dem Urteil VI ZR 50/15 nicht angewandt, denn die BGH-Rechtsprechung überzeugt nicht. Zum einen hat der BGH selbst entschieden, dass die Grundsätze des JVEG auf die Vergütung von Privatgutachtern im Rahmen der Schadensfeststellungen nicht übertragbar sind (vgl. BGH DS 2007, 144 m. zust. Anm. Wortmann). Der Anwendungsbereich des JVEG ist auf die in § 1 JVEG genannten Fälle beschränkt. Hierunter fallen private Sachverständige nicht. Branchenübliche Preise können sich allenfalls aus Honorarumfragen von Verbänden freier Sachverständiger ergeben, wie die VKS-BVK-Umfrage.
Quellen
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