Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

AG Dorsten urteilt zu den zu ersetzenden Stundenverrechnungssätzen bei fiktiver Schadensabrechnung
AG Dorsten Urteil vom 19.9.2017 – 3 C 94/17 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Entschließt sich der Geschädigte eines für ihn unverschuldeten Verkehrsunfalls zu der ihm gesetzlich aufgrund der Dispositionsfreiheit eingeräumten fiktiven Schadensabrechnung, gibt es häufig Streit mit der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung hinsichtlich der Höhe der Stundenverrechnungssätze für die mögliche Reparatur. Grundsätzlich hat der vom Geschädigten zur Schadensfeststellung hinzugezogene Kfz-Sachverständige seit der sogenannten Porsche-Entscheidung (BGH ZfS 2003, 405) die Stundenverrechnungssätze einer Markenfachwerkstatt zugrunde zu legen. Das Amtsgericht Dorsten hatte nun über einen Fall zu entscheiden, in dem der Sachverständige lediglich Stundensätze einer freien Fachwerkstatt aus Dorsten in seinem Schadensgutachten zugrunde gelegt hatte. Die einstandspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung kürzte die Stundensätze unter Hinweis auf eine noch preiswertere Alternativwerkstatt. Die Versicherung scheiterte bei dem Amtsgericht Dorsten mit ihrer Argumentation.
Am 15.12.2016 erlitt der Geschädigte einen Verkehrsunfall, für den die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung zu einhundert Prozent haftet. Der Geschädigte holte bei einem Kfz-Sachverständigen ein Schadensgutachten ein. In diesem Schadensgutachten hatte der Sachverständige durchschnittliche Netto-Stundenverrechnungssätze einer freien Fachwerkstatt berücksichtigt. Die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung kürzte die Schadensersatzansprüche des Geschädigten um 184,05 €, indem sie auf die günstigeren Stundenverrechnungssätze einer von ihr benannten Alternativwerkstatt verwies. Der Geschädigte war mit dem Verweis auf diese Alternativwerkstatt nicht einverstanden und klagte den gekürzten Schadensbetrag von 184,05 € bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht Dorsten ein. Die Klage war erfolgreich.

Die zulässige Klage ist begründet. Die Ansicht der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung, dass sich der Geschädigte im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht auf die von der Versicherung aufgezeigte günstigere Reparatur in der Alternativwerkstatt verweisen lassen müsse, ist rechtsirrig. Der Kläger hat vielmehr Anspruch auf den von der Kfz-Haftpflichtversicherung gekürzten weiteren Netto-Reparaturkostenbetrag von 184,05 € aus den §§ 7, 17 StVG, 115 VVH, 249 BGB. Da die grundsätzliche Einstandspflicht der Beklagten unstreitig ist, ist lediglich über die Frage zu entscheiden, ob sich der Kläger als Geschädigter bei einer fiktiven Schadensabrechnung im Rahmen der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 BGB auf die von der Beklagten in Bezug genommene Alternativwerkstatt verweisen lassen muss. Das erkennende Gericht verneint diese Frage. Denn Ziel des Schadensersatzes ist die Totalrestitution. Allerdings ist der Geschädigte im Rahmen der ihn treffenden Schadensgeringhaltungspflicht gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, wenn er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Dabei genügt es jedoch im Allgemeinen, wenn er den Schaden auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens berechnet.

Die Schadensrestitution darf nicht auf die kostengünstigste Wiederherstellung der beschädigten Sache beschränkt werden (BGH VersR 2003, 920; OLG München Urt. v. 13.9.2013 – 10 U 859/13 -). Auch bei der fiktiven Schadensabrechnung ist der Geschädigte in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei (BGH NJW 2005, 1108). Diesen Grundsätzen und der dem Geschädigten grundsätzlich eingeräumten Dispositionsfreiheit widerspräche es, wenn sich der Geschädigte bei fiktiver Schadensabrechnung auf die Stundensätze der von der eintrittspflichtigen Kfz-Versicherung ausgesuchten Alternativwerkstatt verweisen lassen müsste. Der Reparaturkalkulation des vom Kläger beauftragten Sachverständigen liegen durchschnittliche Stundensätze einer freien Werkstatt in Dorsten zu Grunde. Es waren also gerade keine Preise einer markengebundenen Fachwerkstatt kalkuliert. Da der Kläger diese im Gutachten aufgeführten Preise seiner Schadensabrechnung zugrunde gelegt hat, hat er auch nicht gegen die Schadensgeringhaltungspflicht verstoßen (vgl. AG Gelsenkirchen Urt. v. 14.2.2017 – 201 C 177/16 -; OLG München aaO.). Ein Verweis auf eine kostengünstigere Reparaturmöglichkeit in einer anderen freien Werkstatt würde die Dispositionsfreiheit des Geschädigten in unzulässiger Weise einschränken.

Fazit und Praxishinweis: Das angerufene Gericht musste lediglich die Frage beantworten, ob sich der Geschädigte, der seiner Schadensabrechnung bereits Stundensätze einer freien Werkstatt zugrunde gelegt hatte, sich auf eine von der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung benannten noch günstigeren freien Werkstatt verweisen lassen muss. Zu Recht hat das Gericht betont, dass der Geschädigte aufgrund der ihm eingeräumten Dispositionsfreiheit nicht gehalten ist, sich auf noch günstigere Stundensätze verweisen zu lassen. Grundsätzlich hat der Geschädigte eines noch nicht drei Jahre alten Kraftfahrzeugs Anspruch auf die Stundensätze einer markengebundenen Fachwerkstatt (vgl. BGH VersR 2003, 920; BGH VersR 2010, 225 Ls. a); BGH VersR 2010, 1096 Ls. a)).
Quellen
    • Foto: © Martina Berg - Fotolia.com