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20 Jahre nach dem Mercedes-Elchtest: Aus Fehlern gelernt
1997: Nach dem Umfaller der ganz neuen A-Klasse und den desaströsen Folgen in der Öffentlichkeit setzte Mercedes das ESP als Standard auch außerhalb der Oberklasse durch

RobGal

Rein sachlich formuliert heißt die Prüfung zum Fahrverhalten eines Pkw Fahrdynamiktest. Damit simuliert man das spontane Ausweichen vor einem unverhofft auf der Straße auftauchenden – meist ja lebendigen – Hindernisses.
Bei einer Geschwindigkeit von 50 bis 80 km/h wird ein abrupter und ungebremster Spurwechsel nach links und wieder zurück zur Vermeidung einer Kollision geprüft. Dabei darf das Fahrzeug nicht an Stabilität verlieren, es darf also nicht ausbrechen und auch nicht umkippen.

Als aber Journalisten am 21. Oktober 1997 mit der neuen A-Klasse von Mercedes einen solchen Test auf einem Übungsgelände in Schweden durchführten, fiel der Wagen einfach auf die Seite und landete auf dem Dach. Der Grund: Der Fahrzeugschwerpunkt war zu hoch angesetzt und das Fahrwerk nicht darauf eingerichtet worden. Das Entsetzen bei Mercedes war groß, die Kritik in der Öffentlichkeit kaum geringer. Bereits Ende Oktober wussten 86 Prozent der Bundesbürger über den Umfaller der A-Klasse Bescheid, wie eine repräsentative Umfrage ergeben hatte.

Im Volksmund wurde die A-Klasse fortan mit Spitznamen wie „Purzel“ bedacht oder als „kleinster Kipper der Welt“ bezeichnet. Der Spott wurde dadurch noch vergrößert, dass sich einer der Logistikstandorte für die A-Klasse in der badischen Gemeinde Kippenheim befand. In der Fachwelt und den Medien wurde für diese denkwürdige Prüfung der Begriff „Elchtest“ geprägt, der in Schweden ursprünglich „Kindertest“ hieß. Als „Elchtest“ galt bis dato der Crashtest schwedischer Fahrzeuge (Saab und Volvo), ob die A-Säule dem Aufprall eines Tieres standhält.

Verpatzter Start für das neue Einstiegsmodell der Premiummarke

Mercedes hatte mit der Einführung des ganz neuen „Baby-Benz“, dem damals jüngsten wie auch kleinsten Konzernprodukt (noch vor dem Smart), große Hoffnungen verknüpft, um durch den Einstieg in die Kompaktklasse den Umsatz deutlich zu erhöhen und ein neues, „jugendliches“ Einstiegsmodell für die Premiummarke zu schaffen.

Deshalb stoppte Mercedes nach dem Unfall sofort die Produktion des neuen Modells und stattete die A-Klasse serienmäßig sogleich mit dem elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) aus. Diese Anti-Schleuder-Technologie war von Bosch entwickelt worden und verhindert bis heute das Ausbrechen des Fahrzeuges in Kurven oder beim Ausweichen. Es war 1995 auf den Markt gekommen und bis dahin exklusiv den Oberklassefahrzeugen von Mercedes, der S-Klasse, vorbehalten gewesen. Die Aufrüstung für die A-Klasse kostete das Unternehmen damals umgerechnet 100 Millionen Euro im Jahr. In einer logistischen Meisterleistung schaffte es Mercedes in nur drei Monaten, die 18.000 Fahrzeuge von eintausend aus ganz Europa zusammengezogenen Fachkräften an vier Standorten nachzurüsten – darunter auch im besagten Kippenheim.

Das ESP in der A-Klasse setzte in der Folge einen Standard für die Sicherheitsausstattung der Pkw auch außerhalb des Premiumsegments, so dass die anderen Autohersteller mit dem Schleuderverhinderer in ihren Produkten nachziehen mussten. Seit dem Jahr 2011 ist die Fahrdynamikregelung für alle serienmäßig zugelassenen Pkw in der Europäischen Union per Gesetz obligatorisch.

Das Image der A-Klasse hatte nach dem Elchtest zunächst schwer gelitten, die Verkaufszahlen waren in den Keller gegangen. Doch durch den Einbau von ESP änderte sich das relativ schnell. Allein in Deutschland wurden in den ersten zehn Monaten des Jahres 1999, also keine zwei Jahre nach dem Umfaller, 50 Prozent mehr A-Klasse-Wagen in Europa neu zugelassen als im Vor- jahreszeitraum.

Aus Fehlern lässt sich also – günstig für alle – lernen.
Quellen
    • Text: Olaf Walther (Kb)
    • Foto: Hersteller