Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

Ablenkung: Mehr Tote durch Handy am Steuer als durch Alkohol
85 Prozent der jungen Fahrer Telefonieren am Steuer / Dekra fordert „neues Problembewusstsein“ in der Gesellschaft

RobGal

Ablenkung am Steuer ist ein ebenso modernes wie schwerwiegendes Sicherheitsrisiko im Straßenverkehr. Durch eine repräsentative Umfrage stellte die Sicherheitsorganisation Dekra fest, dass „mehr als die Hälfte aller Autofahrer, die ein Handy besitzen, damit regelmäßig auch während der Fahrt hantieren“.
Trotz der hartnäckigen Warnungen landauf, landab durch Verkehrssicherheitsorganisationen und in den Medien ermittelten die Dekra-Experten im Zuge einer bundesweiten Verkehrsbeobachtung, bei der mehr als 15.000 Pkw-Fahrer erfasst wurden, dass zu jedem Zeitpunkt durchschnittlich sieben Prozent der Autofahrer ihre Aufmerksamkeit wegen des Handys nicht auf das Verkehrsgeschehen richten.

Unfallforscher in Deutschland und den USA vermuten, dass Ablenkung der Grund für jeden zehnten im Verkehr getöteten Menschen ist. Wenn das stimmt, würde das für Deutschland 320 Ablenkungs-Tote im Jahr bedeuten. Das wären 95 Getötete mehr als durch Alkoholunfälle im Jahr 2016.

„Leider machen sich zu viele Autofahrer immer noch nicht klar, wie gefährlich es ist, wenn sie während der Fahrt am Steuer ihr Smartphone nutzen“, sagte Clemens Klinke, Vorstandsmitglied bei Dekra. Es ist die „mit Abstand“ häufigste Ablenkungsart von Autofahrern, stellte das Stuttgarter Sicherheitsunternehmen fest. Dabei erfolgt der Griff zum Mobiltelefon öfter in der Innenstadt als außerorts oder auf der Autobahn. Das macht es aber nicht weniger gefährlich. Denn wer bei 50 km/h nur für fünf Sekunden auf das Handy statt auf die Straße schaut, ist in dieser Zeit fast 70 Meter im Blindflug unterwegs, hat die Dekra errechnet. Klinkes Kommentar: „Wer würde als Autofahrer freiwillig während der Fahrt auch nur für fünf Sekunden die Augen schließen?“

Bei einem Versuch der Dekra auf einem Verkehrsübungsplatz, bei dem die Probanden während einer 30-km/h-Fahrt Textnachrichten auf dem Handy schreiben sollten, reagierten viele auf einen Ball, der unversehens über die Straße gerollt wurde, überhaupt nicht. Dieser Versuch zeige die Gefährlichkeit einer Ablenkung, denn wo ein Ball ist, ist ein Kind meistens nicht weit, hebt Klinke hervor. Einige Teilnehmer hätten gar eine rote Ampel überfahren. „Typische Fahrfehler aufgrund von Ablenkung“, konstatiert das Dekra-Vorstandsmitglied.

„Blindheit durch Unaufmerksamkeit“

Psychologen nennen dieses Phänomen „Blindheit durch Unaufmerksamkeit“ (Inattentional Blindness). Gemeint ist beispielsweise, dass man sich auf sein Handy konzentriert und währenddessen die Umgebung komplett ausblendet, auch Gefahrensymptome – „immer wieder mit verheerenden Folgen“, wie die Dekra-Unfallforscher nicht müde werden zu betonen.

Zwar sind es vor allem jüngere Autolenker im Alter von 18 bis 29 Jahren, die während der Fahrt telefonieren, und zwar zu bedenklichen 85 Prozent, wie aus der Dekra-Untersuchung hervorgeht. Doch nicht sie allein lassen sich durch – gesetzlich verbotenes – Hantieren mit dem Smartphone am Steuer ablenken. Zwei Drittel der 30- bis 44-Jährigen und etwas über die Hälfte der 45-bis 59-Jährigen greifen ebenfalls während der Fahrt gern zum Handy, um private oder geschäftliche Gespräche zu führen oder um Arbeiten zu erledigen. Und auch die Gruppe der über 60 Jahre alten Fahrer ist mit 34 Prozent dabei. Am meisten beschäftigen sich die Abgelenkten mit eingehenden Textnachrichten (34 Prozent), 25 Prozent nehmen Anrufe entgegen, 20 Prozent tippen eine Nachricht, und 16 Prozent rufen jemanden an.

Neben der Gefährdung von sich und anderen kann es auch recht teuer werden, wenn man mit dem mobilen Gerät erwischt wird. Dabei muss man es während der Fahrt nicht einmal am Ohr haben, der Polizei und den Gerichten reicht es schon, wenn man bei laufendem Motor das Handy nur in der Hand hält. Dann drohen Bußgelder von 100 Euro an aufwärts, dazu ein oder zwei Punkte in Flensburg oder ein Monat Fahrverbot, je nach der Schwere von möglichen Folgen.

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat für das Jahr 2015 insgesamt 363.000 Handyverstöße registriert – man darf aber von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Durch das Telefonieren abgelenkt sind aber nicht nur Autofahrer, sondern auch Fußgänger und Radfahrer. Man sieht sie, wie sie die Straße wie abwesend überqueren, weil sie aufs Display starren oder ins Gespräch vertieft sind. Häufig hören sie auch nichts, weil sie sich mit Kopfhörern auf den Ohren mit Musik beschallen lassen. Entsetzliche Unfälle waren schon die Folge.

Klinke hält das für vermeidbar. Er kritisiert das soziale Klima, das zu diesem Phänomen führt, denn die Ablenkung drohe den Abwärtstrend bei der Zahl der Verkehrstoten aufzuhalten oder gar umzudrehen. „Doch wir gehen viel zu leichtfertig mit dem Thema um“, sagt Klinke mit Blick auf die Gesellschaft. „Wir brauchen dringend ein ganz neues Problembewusstsein“, fordert er und setzt auf Veränderung: Wie beim Alkohol am Steuer, das früher als Kavaliersdelikt gegolten habe, müsse man zu einer „sozialen Ablehnung“ kommen. Klinkes Motto: „Hände ans Lenkrad – Augen auf den Verkehr.“
Quellen
    • Text: Beate M. Glaser (Kb)
    • Foto: Andy Dean - Fotolia.com