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Lkw: Veränderungen einer Branche
Angesichts schwerer Image-Probleme arbeitet die Nutzfahrzeugbranche am Wandel / CO2- Grenzwerte, Assistenzsysteme, Platooning / Bericht vom Dekra-Nutzfahrzeugkongress

RobGal

Während in der Öffentlichkeit seit Monaten über Diesel-Schummeleien, Fahrverbote und Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität gestritten wird, könnte der Eindruck entstehen, dass es nur um Pkw geht.
Dabei haben auch die Lkw einen erheblichen Anteil an der Luftverschmutzung und an den Staus, sie belasten durch ihr Gewicht erheblich die Infrastruktur, und wenn es einen Unfall mit Beteiligung eines Brummis gibt, sind die Folgen gravierend. Und weil nach allen Prognosen das Transportaufkommen auf Jahrzehnte erheblich zunehmen wird, muss auch bei den Trucks der Wandel kommen, gibt es doch für sie nicht einmal standardisierte Verfahren zur Ermittlung von Verbrauch und Abgasen und also auch keine Grenzwerte. Fahren die Lkw deshalb unterhalb des Radars kritischer Aufmerksamkeit?

Sicherlich nicht. Denn der anhaltende Druck einer unzufriedenen Öffentlichkeit scheint groß genug zu sein, dass Hersteller und Politik längst tätig geworden sind, dass eh schon ramponierte Image der Lkw-Branche zu verbessern. Denn der Verkehr ist in Europa der einzige Sektor, der heute mehr Treibhausgasemissionen produziert als 1990, und das auch noch mit einer recht saftigen Steigerung von rund einem Fünftel. Das die nicht noch höher ausfällt, liege weniger an technologischen Effizienzsteigerungen oder Verbrauchsreduzierungen, meint Nikolaus Steiniger, der bei der EU-Kommission im Bereich Klima und Straßenverkehr arbeitet, sondern an der wirtschaftlichen Krise 2007/08, die das Verkehrswachstum abgebremst hat. Er hält Monitoring gegenüber der Fahrzeugwirtschaft nicht mehr für ausreichend, ebenso wenig könne man sich darauf verlassen, dass durch Wettbewerb die Klimaschutzziele erreicht würden, argumentierte er bei dem von Dekra organisierten Nutzfahrzeugkongress Anfang November in Berlin. Vielmehr seien auch im Nutzfahrzeugbereich CO2-Grenzwerte erforderlich. Das soll das EU-Simulationsmodell namens Vecto leisten, was aber gar nicht so einfach zu konzipieren ist.

Denn es gibt hier eine viel größere Variantenvielfalt als bei den Pkw: unterschiedlichste Fahrzeuggrößen für verschiedenste Zwecke (von der Baustelle über das Kühlfahrzeug bis zur Müllabfuhr), für den Stadt-, Überland- oder Fernverkehr, mehrere Achskonfigurationen, einfache und Doppelreifen, mehrere Antriebsarten mit großen und kleinen Motoren und mannigfaltige Ausstattungsmöglichkeiten. Diese vielen Parameter und die dazugehörige Masse an Daten sollen so weit aufbereitet werden, dass Vecto im Januar 2019 als Mittel zum Verbrauchs- und CO2-Vergleich für die ersten Fahrzeugfamilien starten soll.

Lkw und Verkehrssicherheit

In Sachen Verkehrssicherheit fällt auf, dass die Zahl der Lkw-Auffahrunfälle mit Verletzten stetig steigt, während alle anderen Unfallarten mit Beteiligung eines Lastwagens rückläufig sind. Erwin Petersen von der Landesverkehrswacht Niedersachsen sieht als Ursache vor allem einen zu geringen Sicherheitsabstand und mehr noch mangelnde Aufmerksamkeit der Lkw-Fahrer. Daher sei ein automatisches Notbremssystem empfehlenswert, sagte er auf dem Dekra-Nutzfahrzeugkongress. Jedoch würden viele Spediteure es beim Fahrzeugkauf nicht ordern. Und wenn doch, kann es dem Fahrer leicht passieren, dass er es übersteuert und damit unbeabsichtigt abstellt: „Da reicht schon ein kurzes Betätigen des Bremspedals“, so Petersen, „und schon übergibt das System an den Fahrer“ – mitten in einer brenzligen Situation, in der der Notbremser bereits aktiv geworden ist.

Petersen fordert, dass die Fahrer besser geschult werden. Viele würden den Unterschied zwischen einem Notbremssystem und einem Abstandsregelsystem nicht kennen. Letzteres nervt viele Fahrer, weil es auf der Autobahn den Raum zum Vordermann zu groß werden lässt, so dass andere Autos sich flugs einfädeln können. In der Folge wird man im Kolonnenverkehr immer weiter nach hinten gereicht wird und verliert Zeit. Daher schalten die Fahrer den Abstandsregler gern aus und aus Unwissenheit gleich auch noch das Notbremssystem.

Beim Dekra-Nutzfahrzeugkongress, an dem 300 Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft teilnahmen, wurden auch Neuigkeiten aus der Welt der Assistenzsysteme vorgestellt, etwa von ZF: Der Autobahnassistent (Highway Driving Assist, HDA) des Friedrichshafener Zulieferers soll versehentliche Spurwechsel verhindern. Dabei „hängt“ sich das Fahrzeug virtuell an den Vordermann an, der Fahrer muss nur den Verkehr und das Fahrzeug überwachen. Noch spektakulärer ist der Ausweichassistent (Evasive Maneuver Assist, EMA) von ZF und Wabco. Kommt es auf der Autobahn vor einem Lkw beispielsweise zu einem plötzlichen Crash, wird der Wagen erst abgebremst und dann eigenständig an der Unfallstelle vorbei auf die (freie) Standspur gelenkt, wo er zum Stillstand gebracht wird.

Hohe Erwartungen verbinden die Nutzfahrzeughersteller mit dem sogenannten Platooning. Bei der aus der Militärsprache entlehnten „Kolonnenfahrt“ fährt ein Lkw voraus und andere folgen ihm mittels elektronischer Deichsel „auf Schritt und Tritt“. Dank Funkverbindung und Automatisierung vollziehen die nachfolgenden Lkw genau das Tempo und die Lenkbewegung nach, die der Leit-Lkw vorausmacht – nur erheblich schneller, als es der Mensch hinter dem Steuer vermag. Deshalb kann der Abstand zwischen den Lkw reduziert werden. In der Konsequenz heißt das, dass weniger Infrastruktur benötigt und das Staurisiko minimiert wird, Verbrauch und Emissionen gehen wegen des Windschatteneffekts zurück, und die Sicherheit verbessert sich. Idealerweise haben die Fahrer beim Platooning weniger Stress oder können sich anderen Tätigkeiten widmen.

Rein technisch funktionieren Platoons bereits, einige waren testweise auch schon im öffentlichen Verkehr zu sehen. Jedoch sieht Torsten Klein von der MAN-Forschung noch etliche ungeklärte Fragen, etwa: Wie und wo finden die Fahrzeuge zusammen, und wie wird über die Reihenfolge entschieden? Welches ist das Leitfahrzeug, und welchen Ausgleich bekommt es dafür? Wie verlässt man ein Platoon? Ungeklärt ist auch, wie die optimale Länge aussieht, wie ein Platoon mit Fahrzeugen verschiedener Hersteller funktioniert und wie die anderen Verkehrsteilnehmer reagieren. Torsten Klein von MAN sieht im Platooning jedenfalls den nächsten Schritt in Richtung autonomes Nutzfahrzeug, das der Lkw-Wirtschaft helfen soll, die Akzeptanzprobleme in den Griff zu bekommen.

Eine Branche befindet sich im Umbruch, die Herausforderungen sind immens.
Quellen
    • Text: Kristian Glaser (Kb)
    • Foto: Nomad_Soul - Fotolia.com