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Telematikversicherungen: „Überwachung ist heute schon normal“
Setzt sich das Geschäftsmodell durch, könnten die Prämien aber steigen

RobGal

Telematiktarife sind eine relativ neue Erscheinung. Die Direktversicherung der Sparkassen war die erste Assekuranz, die dieses neuartige Versicherungsmodell im Januar 2014 hierzulande einführte. Im Kern geht es darum: Wer als Autohalter damit einverstanden ist, dass sein Fahrstil und seine gefahrenen Kilometer elektronisch überwacht und ausgewertet werden, der wird mit einem günstigeren Tarif seiner Kfz-Versicherung gelockt.
Dann muss er aber auch eine risikoarme Fahrweise an den Tag legen: nicht stark beschleunigen, auch nicht scharf bremsen und die Tempolimits einhalten, es empfiehlt sich sogar, unfallträchtige Nachtfahrten zu meiden und vorwiegend auf den als sicherer bewerteten Autobahnen und Bundesstraßen unterwegs zu sein. Denn alle diese „Merkmale“ können zu den Daten gehören, aus denen allein eine Versicherung auf „risikoarmes“ Verkehrsverhalten schließt und die eineTelematikprämie erst zum Spartarif machen; stets unter der Voraussetzung, dass der Autofahrer diese Vorgaben rundum und lückenlos erfüllt. Manches Konzept sieht sogar vor, dass auch „andere Fahrdaten wie zum Beispiel GPS-Signale“ übertragen werden, wie der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in einer Information wie beiläufig erwähnt. Übersetzt heißt das, es könnten exakte Bewegungsbilder über die Wege, Aufenthaltsorte und Verweildauer des dann gläsernen Kunden erhoben werden.

Telematiktarife eröffnen der Versicherungsbranche neue Geschäftsmöglichkeiten: „In einer Welt, in der fast jeder Google benutzt, Nachrichten über Whats-App austauscht, mit der Payback-Karte einkauft und ein Smartphone bei sich trägt, ist es letztlich doch schon üblich, dass man besondere Leistungen oder Vergünstigungen nur noch im Austausch gegen seine Daten erhält“, stellte die Kölner Wirtschaftsprofessorin Michaele Völler bereits 2015 fest und ergänzte: „Überwachung ist heute schon fast normal.“

Zwar hielten es 68 Prozent der Befragten einer im Oktober 2016 veröffentlichten GDV-Studie für richtig, wenn „aufgrund des individuellen Fahrverhaltens vorsichtige Autofahrer mit geringeren Prämien belohnt werden und Raser mehr zahlen müssen“. Dennoch konnte sich nur jeder vierte der befragten Autofahrer vorstellen, eine Telematikversicherung abzuschließen. Deutliche 49 Prozent bekundeten sogar ihre grundsätzliche Ablehnung, weil sie nicht möchten, dass ihre Daten an die Versicherung gehen.

Durch die digitale Überwachung kann ein Versicherungsunternehmen beispielsweise herausfinden, wie häufig ein Autofahrer tatsächlich mit dem Wagen unterwegs ist und welchen Fahrstil er verfolgt. Entspricht das dem Gerechtigkeitsempfinden der Versicherten? Und wenn ja, welche Merkmale dürfen eine Rolle spielen, welche sind tabu? Antworten auf diese Fragen wollten die Professoren für Versicherungswissenschaft Horst Müller-Peters (TH Köln) und Fred Wagner (UniLeipzig) wissen und befragten im Rahmen einer Untersuchung 1.070 Personen online zur Auto- und Krankenversicherung. Daraus ergab sich folgendes Bild: Bezieht sich der Telematiktarif „auf beeinflussbare Verhaltensmerkmale“, wird sie eher als „gerecht“ angesehen. Wird jedoch eine „schwer veränderbare Lebenssituation oder das Schicksal der Versicherten einbezogen“, nimmt die Akzeptanz deutlich ab, wie die Professoren betonen.

Die Mehrheit der Befragten, über 60 Prozent, fand es gerecht, wenn etwa die Flensburger Punkte oder die Nichtbeachtung der Höchstgeschwindigkeit bei der Kfz-Versicherung allgemein angerechnet würden. Als ungerechte Kriterien wurden der Wohnort des Autohalters und häufige Nachtfahrten bewertet. Interessant ist, dass die Befragten bei der Krankenversicherung etwa die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen als „gerechtes“ Kriterium ansahen, vererbte Krankheiten, genetisch bedingte Risiken oder den ausgeübten Beruf jedoch nicht.

WerdenTelematiktarife wirklich billiger?
Würden die Versicherungsprämien vom Fahrstil oder vom Gesundheitsverhalten abhängen und gäbe es in Auswertung ihrer Daten regelmäßig eine informative oder mahnende Rückmeldung an die Verbraucher, dann erwarten die meisten Befragten eine Verhaltensänderung: Etwas über zwei Drittel denken, dass die meisten Menschen dann vorsichtiger fahren und stärker auf ihre Gesundheit achten würden. Ganz anders sieht es schon bei der Wirkung auf die eigene Person aus, da werden die Befragten zurückhaltender, dann erwartet nicht einmal jeder zweite, dass er seinen eigenen Fahrstil oder das eigene Gesundheitsverhalten verbessert.

Begeisterung sieht anders aus. Die in Aussicht gestellte Prämienreduzierung müsste der Umfrage zufolge mindestens 30 Prozent betragen, damit der Big-Brother-Tarif von den potentiellen Kunden angenommen wird, aber selbst dann wäre nur rund ein Drittel der Befragten zu einem Tarifwechsel bereit. „Allerdings gibt es auch eine relativ große Gruppe, die unter keinen Umständen einen solchen Tarifabschließen würde: Bei der Kfz-Versicherung sind das 31 Prozent, bei derKrankenversicherung 38 Prozent“, hebt Müller-Peters hervor.

„Wenn wir davon ausgehen, dass sich durch Telematiktarife das Verhalten positiv verändert, sinken auf lange Sicht die Versicherungskosten und die Versicherer werden ihre Tarife entsprechend anpassen“, prognostiziert der Versicherungswissenschaftler. Allerdings gibt es keine Garantie, dass auf diese Weise erhöhte Unternehmensgewinne wirklich und dauerhaft an die Kunden weitergegeben werden. Zudem problematisieren die Wissenschaftler, „dass vorallem diejenigen wechseln, die davon profitieren“, übrig bleibe eine „Negativselektion an Versicherungsnehmern, für die – wenn sich Telematiktarife sehr stark verbreiten – die Kosten auch steigen können“, wie Müller-Peterswarnt.

Als Aufzeichnungs- oder Überwachungsinstrumente könnten sich 39 Prozent derAutofahrer, die für solche Tarife offen sind, einen Stecker im Zigarettenanzünder vorstellen, und 35 Prozent eine Box im Motorraum. Die Versicherungswirtschaft arbeitet auch daran, die Smartphones der Autofahrer zunutzen, in denen sich die nötigen Sensoren bereits befinden. Bei derKrankenversicherung sprechen sich 53 Prozent der Befürworter für ein Fitnessarmband aus, und 45 Prozent für eine intelligente Armbanduhr. Selbst ein Chip unter der Haut kommt für zwölf Prozent in Betracht.

Von Verbraucher- und Datenschützern hagelt es Kritik
Verbraucher- und Datenschützer gruselt es vor den Telematiktarifen. Sie befürchten, dass die Unternehmen auf diese Weise nicht nur erfahren, wie lange ihre Kunden mit dem Auto unterwegs waren, sondern auch, was ihr Ziel war. Daraus könnten ganze Bewegungsbilder einer Person erstellt werden. Da ein Auto häufig nicht nur von einer Person allein genutzt wird, wäre der Halter – im Berufs- wie im Privatleben – möglicherweise in der Lage, die (anderen) Fahrer zu überwachen. Das wäre ein Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und trüge dazu bei, ein Klima der Verunsicherung und des Misstrauens zuschaffen.

Selbst wer sich trotz all dieser Gefahren offen zeigt für einen Telematiktarif, würde sich wohl nur unter der Voraussetzung darauf einlassen, wenn besonders günstige Verträge angeboten werden. Dabei ist jedoch nicht gesichert, dass man auch beim besten Willen tatsächlich risikoarm fährt – was ja auch von den Umständen abhängig ist und eine Frage des Glücks sein mag. Verbraucherschützer weisen zudem darauf hin, dass durch diese Preisstruktur faktisch ein gewisser ökonomischer Druck auf die Kunden aufgebaut würde, was an der Freiwilligkeit dieser Konzepte zweifeln lasse. Unabhängig davon fordern sie, dass von Seiten der Versicherungen alle relevanten Parameter offengelegt werden.

Bahnt sich da der gläserne Versicherungsnehmer an, gar eine „schöne neue Welt“? Der GDV beschwichtigte schon vor zwei Jahren: „Bereits heute individualisieren die Kfz-Versicherer Tarife mittels Typklassen, Regionalklassen, Garagenparkplatz und Alter des Fahrers.“ Demnach wären die Überwachungstarife nur ein logischerSchritt. Gleichwohl ist sich der GDV angesichts der zurückhaltenden Verbraucher und angesichts der öffentlichen Kritik unsicher. „Ob die Telematiktarife auf dem deutschen Markt Erfolg haben werden, ist noch unklar“, erklärte die Interessenvereinigung der Versicherungswirtschaft. Nach GDV-Angaben boten im Spätsommer 2017 insgesamt erst zehn Unternehmen solch einen Telematiktarif an, teilweise nur für einen eingeschränkten Kundenkreis, etwa für junge Fahrer. „Die meisten Anbieter betonen stets, dass Telematikangebote erst einmal Pilotprojekte sind oder sich noch in der Testphase befinden.“
Die Kunden haben es in der Hand.

Quellen
    • Text: Beate M. Glaser/Kristian Glaser (kb)
    • Foto: © julien tromeur - Fotolia.com