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AG Mitte legt Werkstatt- und Prognoserisiko Schädiger auf und verurteilt zur Zahlung weiterer Mietwagenkosten
AG Berlin-Mitte Urteil vom 15.11.2017 – 18 c 3041/17 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Es kommt nach einem Unfall immer wieder einmal vor, dass die nach der Einholung eines Schadensgutachtens in Auftrag gegebenen Reparaturen länger dauern als kalkuliert. Dadurch entstehen auch längere Anmietzeiten für das Ersatzfahrzeug. Die eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherungen wollen aber nur die kalkulierten Ausfallzeiten ersetzen. Höchstrichterlich ist aber bereits entschieden, dass der Schädiger das Werkstatt- und Prognoserisiko trägt.
Mithin gehen grundsätzlich längere Reparaturzeiten zu Lasten des Schädigers. Gleichwohl musste das Amtsgericht Mitte in Berlin über den Ersatz weiterer Mietwagenkosten entscheiden, weil die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung nicht bereit war, die weiteren Mietwagenkosten vorgerichtlich zu ersetzen.

Am 31.3.2014 ereignete sich in Berlin ein Verkehrsunfall, bei dem der Pkw des Geschädigten, ein BMW 318i, beschädigt wurde. Verursacht wurde der Unfall vom Fahrer des bei der später beklagten Allianz Kfz-Haftpflichtversicherung versicherten Kraftfahrzeugs. Für die Zeit der Reparatur miete der Geschädigte bei der späteren Klägerin, der Mietwagenfirma M., ein Ersatzfahrzeug an. Der Schadensersatzanspruch auf Erstattung der Mietwagenkosten trat der Geschädigte an die Mietwagenfirma ab, die die Abtretung annahm. Angemietet wurde ein BMW 116d. Die Mietwagenkosten betrugen 1.423,24 € brutto. Der Geschädigte war nicht in der Lage, die entstandenen Mietwagenkosten vorzufinanzieren. Die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung war telefonisch auf diese Situation hingewiesen worden. Gleichwohl zahlte die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung nur Mietwagenkosten für 2 Tage in Höhe von 218,96 €. Der Differenzbetrag von 1.204,28 € ist Gegenstand des Rechtsstreits vor dem Amtsgericht Mitte in Berlin. Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg.


Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin kann von der Beklagten aus abgetretenem Recht Ersatz restlicher Mietwagenkosten in Höhe von 1.204,28 € gem. §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 823 Abs. 1 BGB, 249 Abs. 2 Satz 1, 398 BGB verlangen, da nach dem Ergebnis des Beweisaufnahme zur sicheren Überzeugung des Gerichts gem. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO feststeht, dass die Anmietung über eine Dauer von 13 Tagen erforderlich war. An der Aktivlegitimation der klagenden Mietwagenfirma bestehen keine Bedenken. Auch die Haftung der Beklagten ist zwischen den Parteien unstreitig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof kann der Geschädigte vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand grundsätzlich den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2016 – VI ZR 563/15 - ).

Ein Geschädigter, welcher das Fahrzeug als Privatperson nutzt, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar einen Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 16.11.2005 – IV ZR 120/04 -; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.5.2011 – I -1 U 220/10 -). Eine solche Pflicht kann im Rahmen des § 254 BGB allenfalls dann und auch nur ausnahmsweise bejaht werden, wenn der Geschädigte sich den Kredit ohne Schwierigkeiten beschaffen kann und er durch die Rückzahlung nicht über seine wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet wird. Auch für die Möglichkeit und Zumutbarkeit einer derartigen Kreditaufnahme ist primär der Schädiger darlegungspflichtig (vgl. BGH, Urteil vom 16.11.2005 aaO.). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zunächst zur sicheren Überzeugung des Gerichts gem. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO fest, dass eine Reparaturdauer von 7 Tagen, im Zeitraum vom 10.4.2014 bis 17.4.2014 erforderlich war, da insbesondere das Fahrzeug als nicht verkehrssicher eingestuft worden ist. Dass sich die Reparatur wegen der Bestellung von Ersatzteilen verlängerte, fällt in den Verantwortungsbereich der Beklagten, weswegen der Ersatz der Mietwagenkosten für diesen Zeitraum als erforderlich i. S. d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen ist.


Denn das Werkstatt-und Prognoserisiko trägt grundsätzlich der Schädiger: Verzögerungen, die etwa durch fehlerhafte Organisation des Reparaturbetriebes, Ausfall von Arbeitskräften, unwirtschaftliche oder fehlerhafte Handhabung der Reparatur entstehen, also dem Einfluss und der Kontrolle des Geschädigten entzogen sind, gehen im Verhältnis zum Schädiger grundsätzlich nicht zu Lasten des Geschädigten, denn die Werkstatt ist nicht der Erfüllungsgehilfe des Geschädigten (vgl. BGH, Urteil vom 29. 10.1974 – VI ZR 42/73 - = BGHZ 63, 182-189, Rn. 10). Überdies kann ein Fehler der Werkstatt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zur sicheren Überzeugung des Gerichts gem. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO festgestellt werden. Denn der Mitarbeiter der Reparaturfirma bekundete als Zeuge nachvollziehbar, warum das Fahrzeug zunächst fachmännisch untersucht werden musste, um eine Gefährdung des Straßenverkehrs auszuschließen. Hierzu bedurfte es einer Zerlegung des Fahrzeugs, denn die Feststellungen des Sachverständigen der DEKRA zu den Schäden beruhten lediglich auf einer Inaugenscheinnahme. Der sachverständige der DEKRA hatte bekanntlich das verunfallte Fahrzeug als verkehrssicher bezeichnet.

Des Weiteren sind die Kosten des Mietfahrzeugs für den Zeitraum nach der Fertigstellung des Fahrzeugs bis zur Freigabe an den Geschädigten, mithin vom 17.4.2014 bis zum 23.4.2014, als erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen. Zwar ist der Geschädigte mit Blick auf § 254 Abs. 2 BGB gehalten, die Schadensbehebung in angemessener Frist durchzuführen. Es ist jedoch grundsätzlich Sache des Schädigers, die vom Geschädigten zu veranlassende Schadensbeseitigung zu finanzieren. Wie bereits dargestellt war der Geschädigte R. nicht gehalten, einen Kredit aufzunehmen. Unter Zugrundelegung der eingangs dargestellten Grundsätze der Rechtsprechung hat der Geschädigte nicht gegen seine Schadensminderungsobliegenheit verstoßen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur sicheren Überzeugung des Gerichts gem. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO fest, dass der Geschädigte nicht dazu in der Lage gewesen ist, sowohl die Reparaturkosten , als auch die Mietwagenkosten zu begleichen, da er kurz zuvor seine Wohnung renoviert hatte. Auch einen Kredit konnte der Geschädigte objektiv nicht aufnehmen.

Fazit und Praxishinweis: Grundsätzlich ist festzuhalten, dass der Schädiger das Prognose- und Werkstattrisiko trägt. Die vom Geschädigten zur Wiederherstellung des vor dem Unfall bestehenden Zustandes eingeschaltete Reparaturwerkstatt ist nämlich der Erfüllunhsgehilf4e des Schädigers bei der Wiederherstellung des vor dem Schadensereignis bestehenden Zustands. Verlängerungen der Reparatur gehen daher grundsätzlich zu Lasten des Schädigers.
Quellen
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