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Auch bei Schaden von 612,76 € sind Gutachterkosten von 279,65 € zu erstatten
Amtsgericht Karlsruhe Urteil vom 18.10.2017 – 9 C 1824/17 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Es gibt kaum eine Schadensregulierung durch den eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherer, bei der nicht eine Kürzung der Sachverständigenkosten erfolgt. In dem Fall, den das Amtsgericht Karlsruhe zu entscheiden hatte, erkannte die einstandspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung noch nicht einmal die Sachverständigenkosten an. Sie war der – allerdings irrigen – Meinung, dass der Geschädigte einen Kostenvoranschlag hätte einholen müssen. Diese Kosten würden sogar bei einer späteren Reparatur verrechnet.
Der Geschädigte konnte allerdings den Umfang und die Höhe des ihm zugefügten Unfallschadens an seinem älteren Kraftfahrzeug nicht einschätzen und zog daher einen qualifizierten Kfz-Sachverständigen hinzu. Dieser kalkulierte den Reparaturaufwand auf 612,76 € ohne Umsatzsteuer, was 729,18 € brutto entspricht. Seine gutachterkosten berechnete der Sachverständige mit 279,65 €. Das erkennende Gericht verurteilte die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung zur Zahlung der vollen Sachverständigenkosten.

Am 18.5.2013 erlitt der Geschädigte einen Verkehrsunfall, der von dem bei der Verti Versicherung AG versicherten Fahrer und Halter verursacht wurde. Das Fahrzeug des Geschädigten war zur Unfallzeit 21 Jahre alt. Der Geschädigte konnte in Anbetracht des Fahrzeugalters nicht einschätzen, ob ei wirtschaftlicher Totalschaden vorlag oder nicht. Er zog daher zur Beweissicherung des Schadensumfangs und der Schadenshöhe einen qualifizierten Kfz-Sachverständigen hinzu. Dieser schätze die Reparaturkosten auf 612,76 € netto bzw. 729,18 € brutto. Seine Gutachterkosten beliefen sich auf 279,65 €. Den Schadensersatzanspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten trat der Geschädigte an den Gutachter ab, nachdem die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung, deren Einstandspflicht unbestritten vorlag, nicht bereit war die berechneten Sachverständigenkosten im Wege des Schadensersatzes zu erstatten. Der Sachverständige klagte aus abgetretenem Recht. Die Klage war zulässig und begründet.

Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung auf Zahlung von 279,65 € gemäß den §§ 7, 18 StVG, 249, 398 BGB aus abgetretenem Recht zu. Die geltend gemachten Sachverständigenkosten stellen vorliegend erforderliche Kosten im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB dar. Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH, Urteil v. 29.11.1988 – X ZR 112/87 -). Etwas anderes kann bei sogenannten Bagatellschäden gelten, bei denen der Geschädigte regelmäßig von der Einholung eines Sachverständigengutachtens Abstand zu nehmen hat, da insoweit ein Kostenvoranschlag ausreichen soll. Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen (BGH, Urteil v. 08.11.1994 – VI ZR 3/94 -). Es kommt darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte.

Für die Frage, ob der Schädiger die Kosten eines Gutachtens zu ersetzen hat, ist nicht allein darauf abzustellen, ob die durch die Begutachtung ermittelte Schadenhöhe einen bestimmten Betrag überschreitet oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkosten steht, denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters ist dem Geschädigten diese Höhe gerade nicht bekannt. Allerdings kann der später ermittelte Schadenumfang im Rahmen tatrichterlicher Würdigung nach § 287 ZPO oft ein Gesichtspunkt für die Beurteilung sein, ob eine Begutachtung tatsächlich erforderlich war oder ob nicht möglicherweise andere, kostengünstigere Schätzungen – wie beispielsweise ein Kostenvoranschlag eines Reparaturbetriebs – ausgereicht hätten (BGH, Urteil v. 30.11.2004 – VI ZR 365/03 -). Aus der Sicht des Geschädigten müssen die Gutachterkosten in Relation zu den erwarteten Reparaturkosten verhältnismäßig sein und der Geschädigte muss besondere Gründe darlegen, warum er die Einholung des Gutachtens für erforderlich gehalten und nicht einen Kostenvoranschlag oder eine einfache Kostenkalkulation eingeholt hat (LG Arnsberg, Urteil v. 16.03.2016 – 3 S 179/15 -). In dem zu entscheidenden Rechtsstreit liegt zwar ein sogenannter Bagatellschaden vor, da die Reparaturkosten 612,76 € netto (729,18 € brutto) betrugen.

Der Kläger hat indes besondere Gründe dargelegt, warum die Geschädigte unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und ihrer Erkenntnismöglichkeiten von der Erforderlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens ausgehen durfte. Das Fahrzeug erlitt bei dem Unfall einen Frontschaden. Das auf den im Termin vorgelegten Lichtbilder ersichtliche Schadensbild lässt zwar äußerlich keine großen Schäden erkennen. Erkennbar ist jedoch, dass das Nummernschild eingedrückt und der Kühlergrill beschädigt wurde. Im Unterschied zu einem bloßen Lackschaden, der erkennbar nicht auf weitere Schäden hindeutet, ist bei einem Schadensbild im sensiblen Frontbereich das Vorhandensein verborgener Schäden im Bereich des Kühlers nicht auszuschließen. Ferner war aufgrund des Alters des Fahrzeuges von 21 Jahren und einer Laufleistung von 271.611,00 km ein wirtschaftlicher Totalschaden auch bei Reparaturkosten im Bagatellbereich nicht auszuschließen, so dass zur Geltendmachung des Schadensersatzes der Wiederbeschaffungswert zu ermitteln war. Dieser wäre in einem Kostenvoranschlag nicht ermittelt worden. Ein Sachverständigengutachten zur Bezifferung des erstattungsfähigen Schadens war daher erforderlich und zweckmäßig. Auf eine etwaige Aufklärungspflichtverletzung des Sachverständigen bezüglich der Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten bei Bagatellschäden kommt es daher nicht an. Eine solche dürfte im Übrigen allein in einem zwischen dem Geschädigten und dem Sachverständigen geführten etwaigen Regressprozess von Bedeutung ein.

Fazit und Praxishinweis: Zunächst einmal ist festzuhalten, dass das erkennende Gericht die berechneten Sachverständigenkosten an § 249 Abs. 1 BGB misst und nicht – wie es zum Beispiel auch der BGH – nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB entscheidet. Da die Sachverständigenkosten aufgrund der Rechnung konkret abgerechnet werden, unterliegen sie der konkreten Schadensabrechnung nach § 249 I BGB. Zum anderen zeigt dieses Urteil eindrucksvoll, dass es eine starre Bagatellschadensgrenze nicht geben kann. Beim Bagatellschaden kann es nicht auf die Höhe des Schadens ankommen, denn den kennt der Geschädigte gerade nicht. Daher erscheint die auch vom Gericht in Betracht gezogene Definition des Bagatellschadens, so wie der VIII. Zivilsenat des BGH sie abgegeben hat, zutreffender zu sein. Nach der Definition des VIII. Zivilsenates des BGH liegt ein Bagatellschaden bei Kraftfahrzeugen nur dann vor, wenn nur ganz geringfügige, äußere (Lack-) Schäden vorliegen, nicht jedoch andere (Blech-) Schäden, auch wenn sie keine weitergehenden Folgen hatten und der Reparaturaufwand nur gering war (BGH VIII. Zivilsenat – DS 2008, 104, 106). Zum Bagatellschaden vgl. auch die Anmerkungen im Glossar der Unfallzeitung.
Quellen
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