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Auf Mittelwert der Sachverständigenkosten kommt es nicht an
AG Ahrensburg Urteil vom 26.2.2018 – 49 b C 873/15 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Die Kosten des vom Unfallgeschädigten hinzugezogenen Kfz-Sachverständigen zur beweissichernden Feststellung der Schadenshöhe und des Schadensumfangs sind seit geraumer Zeit immer wieder Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Die eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherer sind der Ansicht, die in einem Haftpflichtschadensfall von den freien und unabhängigen Kfz-Sachverständigen für die Erstellung des Schadensgutachten berechneten Kosten seien nicht angemessen und überhöht.
Seitens der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherer werden regelmäßig diese Kosten im Rahmen der Schadensregulierung gekürzt. So war es auch in dem Fall, den die zuständige Amtsrichterin des Amtsgerichts Ahrensburg zu entscheiden hatte. Sie widersprach der von der Versicherung vorgenommenen Kürzung und verurteilte zur Zahlung der vollen Sachverständigenkosten.

Gegenstand des Rechtsstreits vor dem Amtsgericht Ahrensburg sind restliche, gekürzte Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall. Die gekürzten Sachverständigenkosten waren an den Kfz-Sachverständigen erfüllungshalber abgetreten worden. Gekürzt wurden 21,66 €. Trotz dieses geringen Kürzungsbetrages ließ der Sachverständige die von der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung vorgenommene Kürzung nicht auf sich beruhen. Er klagte aus abgetretenem Recht den Restschadensersatzanspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten bei dem örtlich zuständigen AG Ahrensburg ein. Das angerufene Gericht gab ihm Recht.

Die geltend gemachte Schadensersatzforderung restlicher Sachverständigenkosten aus abgetretenem Recht ist begründet. Ein Geschädigter, der einen qualifizierten Kfz-Sachverständigen mit der Schätzung der Schadenshöhe an seinem durch den streitgegenständlichen Verkehrsunfall beschädigten Pkw beauftragen durfte, kann gemäß § 249 iI 1 BGB von dem Schädiger als Herstellungsaufwand den Ersatz der objektiv erforderlichen Sachverständigenkosten verlangen. Im Rahmen der Schadensschätzung ist für den Fall, dass die Rechnung des Sachverständigen noch nicht gezahlt worden ist, nicht auf die Rechnung selbst abzustellen. Vielmehr muss sich die gebotene Schätzung der Schadenshöhe an tragfähige Umstände orientieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass als erforderlicher Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangt werden können, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen und die dem Geschädigten zumutbar sind.

Im Rahmen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung ist auf die erkenntnis- und Einflussmöglichkeit des Geschädigten Rücksicht zu nehmen. Eine Pflicht zur Erforschung des ihm zugänglichen Marktes trifft den Geschädigten grundsätzlich nicht (st. Rspr. des BGH vgl. nur: BGH VI ZR 67/06 Rn. 17; BGH VI ZR 76/16). Tragfähiger Anknüpfungspunkt für die Feststellung der objektiv erforderlichen Sachverständigenkosten ist die branchenübliche Vergütung der Kfz-Sachverständigen (BGH VI ZR 225/13; BGH VI ZR 76/169. Auf einen Mittelwert der sogenannten BVSK-Honorarbefragung ist nicht abzustellen (OLG München Beschl. v. 12.3.2015 – 10 U 579/15 -; LG Mannheim Urt. v. 5.2.2016 – 1 S 119/15 -). Hält sich das vereinbarte Honorar im Rahmen des Honorarkorridors, so vermag nicht jede geringfügige >Überschreitung des Korridors bereits einen Verstoß gegen das wirtschaftlichkeitsgebot zu begründen, da anderenfalls der Schädiger bzw. das Gericht eine Preiskontrolle durchführen würde, was ihnen im Schadensersatzprozess nicht gestattet ist (vgl. BGH DS 2007, 144 m. Anm. Wortmann; Ullenboom NJW 2017, 849). Im Rahmen der gebotenen subjektiven Schadensbetrachtung ist dem geschädigten zwar eine Plausibilitätskontrolle abzuverlangen, aber eine Erkennbarkeit einer Überhöhung erst dann anzunehmen, wenn Preis und Leistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen ( vgl. OLG München aaO.; LG Mannheim aaO.; Ullenboom aaO.; Vuia NJW 2013, 1197 ff.)

Eine Erkennbarkeit liegt nach Ansicht des erkennenden Gerichts erst dann vor, wenn das geltend gemachte Honorar den Honorarkorridor um mehr als 30 % überschreitet, wobei auf das vom Sachverständigen in Rechnung gestellte Gesamthonorar abzustellen ist. Entgegen der Ansicht des BGH aus dem Urteil vom 26.4.2016 – VI ZR 50/15 – ist es nicht zweckmäßig und auch nicht überzeugend, einzelne Rechnungspositionen der Nebenkosten zum Gegenstand der höhenmäßigen Plausibilitätsprüfung zu machen. Die betriebsinterne Preis- und Kostenkalkulation des Sachverständigen ist nicht zu kontrollieren, sondern allein maßgeblich ist, dass der branchenübliche Wertkorridor nicht deutlich überschritten wird (vgl. LG Lübeck Urt. v. 30.11.2017 – 14 S 214/16 -; Ullenboom aaO.; Heßeler Anm. zu BGH NJW 2016, 3092, 3097). Nach Maßgabe dieser rechtlichen Kriterien ist der Anspruch hinsichtlich der weiteren bisher nicht erstatteten Sachverständigenkosten gerechtfertigt.

Fazit und Praxishinweis: Die vorstehende Entscheidung des AG Ahrensburg überzeugt in den Entscheidungsgründen. Bei der Plausibilitätsprüfung ist auf die Ex-ante-Sicht des Geschädigten abzustellen. Es ist im Rahmen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung Rücksicht auf die Einfluss- und Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten im Zeitpunkt der Beauftragung des Kfz-Sachverständigen zu nehmen. Der geschädigte ist nicht verpflichtet, vor Beauftragung des von ihm ausgewählten Sachverständigen zunächst eine Art Marktforschung nach dem kostengünstigsten Gutachter vorzunehmen. Im Schadensersatzprozess ist eine Preiskontrolle untersagt. Weder der Schädiger noch das Gericht sind berechtigt, eine betriebsinterne Preis- und Kostenkalkulation des Sachverständigen vorzunehmen. Wenn das Gericht schon eine Schadenshöhenschätzung vornimmt, dann kann es nur auf den Gesamtbetrag ankommen. Nur wenn bei diesem Gesamtbetrag eine Überschreitung um 30 % vorliegt, sind die in Rechnung gestellten Sachverständigenkosten nicht mehr als der erforderliche Wiederherstellungsaufwand anzusehen. Das erkennende Gericht sieht daher zu Recht eine erhebliche Überschreitung erst bei mehr als 30 % als gegeben an. Darunter liegende Erhöhungen sind nicht erheblich und daher vom Schädiger an den Geschädigten zu erstatten. Allerdings verbleibt die Möglichkeit des Vorteilsausgleichs beim Schädiger (vgl. Imhof/Wortmann DS 2011, 149 ff.)
Quellen
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