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Geschädigter nicht verpflichtet, Schaden aus eigenen Mitteln vorzufinanzieren, um Mietzeit zu verkürzen
OLG Celle Urteil vom 15.5.2018 – 14 U 179/17 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall entsteht häufig Streit über die Höhe des vom Schädiger bzw. dessen Kfz-Haftpflichtversicherer zu ersetzenden Schadens. Dabei stehen dann die Mietwagenkosten häufig im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. So lag es auch in dem vom 14. Zivilsenat des OLG Celle zu entscheidenden Berufungsrechtsstreit.
Die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung war der Ansicht, der Geschädigte müsse den Schaden aus eigenen Mitteln vorfinanzieren, um seiner Schadensgeringhaltungspflicht gemäß § 254 BGB nachzukommen, damit die Anmietzeit eines Ersatzfahrzeugs möglichst kurzgehalten wird. Dieser Ansicht war das OLG Celle nicht. Auf die Berufung des Klägers wurde das erstinstanzliche Urteil des LG Stade vom 15.11.2017 – 2 O 199/17 – abgeändert und die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung verurteilt weitere 3.564,22 € Mietwagenkosten nebst Zinsen zu zahlen. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen.

Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall, bei dem die beklagte Kfz-Versicherung zu einhundert Prozent haftet, hatte der Geschädigte einen Mietwagen als Ersatzfahrzeug für sein beschädigtes Kraftfahrzeug angemietet. Der geschädigte Eigentümer des verunfallten Kraftfahrzeugs war im Zeitpunkt des Unfalls Rentner. Er bezog eine Rente von monatlich circa 800,-- €. Die Reparaturkosten waren laut Gutachten mit über 9.500,-- € angegeben. Der Geschädigte war daher nicht in der Lage, einen unfallbedingten Kredit aufzunehmen, um möglichst schnell die Reparatur an seinem Fahrzeug ausführen zu lassen. Zwar besaß der Kläger für sein Fahrzeug eine Vollkaskoversicherung. Diese wollte er jedoch nicht in Anspruch nehmen, denn es drohten Rückstufungen. Die Mietwagenkosten wollte die eintrittspflichtige Kfz-Versicherung nicht erstatten. Es wurde daher Klage vor dem LG Stade erhoben. Das LG Stade verneinte mit Urteil vom 15.11.2017 – 2 O 199/17 - die Erstattung der Mietwagenkosten und erkannte auf Erstattung des Nutzungsausfalls. Dagegen erfolgte die Berufung. Das Berufungsgericht legte für die Erstattung des Normaltarifes das arithmetische Mittel aus den Werten der Schwacke-Liste und der Fraunhofer-Erhebung an.

Der Kläger hat Anspruch von weiteren Mietwagenkosten in Höhe von 3.564,22 € nebst Zinsen aufgrund des Verkehrsunfalls vom 6.7.2016. Gegen die von der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung ins Feld geführte Schadensgeringhaltungspflicht hat der Geschädigte nicht verstoßen. Der Geschädigte war unter dem Gesichtspunkt der Schadensgeringhaltung generell nicht verpflichtet, den Schaden aus eigenen Mitteln vorzufinanzieren, um die Anmietzeit eines Ersatzfahrzeugs zugunsten des Schädigers möglichst kurz zu halten. Das OLG Naumburg hat mit Urteil vom 15.6.2017 – 9 U 3/17 – hierzu entschieden, dass die Auffassung der Beklagten, dass ein Geschädigter unter dem Gesichtspunkt der Schadensgeringhaltungspflicht generell gehalten sei, den Schaden aus eigenen Mitteln vorzufinanzieren, nicht der Rechtsprechung des BGH entspricht. Nach Auffassung des BGH ist der Geschädigte im Rahmen der ihm nach § 254 BGB obliegenden Schadensgeringhaltungspflicht nicht stets gehalten, ein Deckungsgeschäft vorzunehmen. Dies muss vielmehr im Einzelfall von der Sache her geboten und zumutbar sein. Insbesondere kann eine Pflicht des Geschädigten, zur Schadensbeseitigung einen Kredit aufzunehmen, nur unter besonderen Umständen angenommen werden. Die Rechtsprechung hat eine solche Pflicht nur ausnahmsweise bejaht. Es ist nämlich grundsätzlich Sache des Schädigers, die vom Geschädigten zu veranlassende Schadensbeseitigung zu finanzieren.

Der geschädigte hat Anspruch auf sofortigen Ersatz und ist nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder zur Vermeidung von Folgeschäden einen Kredit aufzunehmen. Vielmehr hat der Schädiger grundsätzlich auch die Nachteile zu ersetzen, die dadurch herrühren, dass der Schaden mangels sofortiger Ersatzleistung durch den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer nicht sofort beseitigt worden ist und sich dadurch vergrößert hat. Das Risiko, dem Geschädigten überhaupt zum Ersatz verpflichtet zu sein, trägt dabei der Schädiger. Allenfalls kann eine Verpflichtung des Geschädigten, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar einen Kredit zur Schadensbeseitigung aufzunehmen, ausnahmsweise dann bejaht werden, wenn der Geschädigte sich den Kredit ohne Schwierigkeiten beschaffen kann und er durch die Rückzahlung nicht über seine wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet wird. Nach diesen Grundsätzen ist es die Regel und nicht etwa die Ausnahme, dass der Geschädigte die Reparatur nicht vorfinanzieren muss. Zunächst ist es Aufgabe des Schädigers bzw. des gesamtschuldnerisch haftenden Versicherers, für eine umgehende, sofortige Reparatur und für die Vermeidung weiterer Kosten Sorge zu tragen. Angesichts des unstreitigen niedrigen Renteneinkommens des Klägers von lediglich ca. 800,-- € monatlich liegt es auf der Hand, dass er kein Darlehen in Höhe der Reparaturkosten von über 9.500,-- € erhalten hätte. Auf jeden Fall wäre dem Kläger die Aufnahme eines solchen Darlehns auf eigenes Risiko nicht zumutbar gewesen. Insofern bedurfte es keines weiteren Vortrags des Klägers. Das Ansinnen der beklagten Haftpflichtversicherung war bereits angesichts der Einkommensverhältnisse des Klägers absurd. Der Kläger war auch nicht verpflichtet, zur Ermöglichung der sofortigen Reparatur seine Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen. Es besteht nämlich keine Pflicht des Geschädigten, zur Entlastung des Schädigers die eigene Vollkaskoversicherung zur Schadensbeseitigung einzusetzen (OLG Dresden Urt. v. 4.5.2012 – 1 U 179/11 -; OLG Düsseldorf Urt. v. 15.10.2007 – 1 U 52/07 -).

Sinn und Zweck der Vollkaskoversicherung ist gerade nicht die Entlastung des Schädigers. Der Versicherungsnehmer einer Vollkaskoversicherung erkauft sich vielmehr für die Fälle, in denen ihm ein nicht durch andere zu ersetzender Schaden treffe, einen Versicherungsschutz. Versicherungsleistungen an den Geschädigten entlasten dadurch den Schädiger nicht. Dieser Gedanke entspricht auch der Rechtsprechung des BGH. Dieser hat wie folgt ausgeführt: Versicherungsleistungen, die sich ein Geschädigter durch die Zahlung von Versicherungsprämien selbst erkauft hat, können nicht im Wege der Vorteilsausgleichung dem Schädiger zugutekommen (BGH Urt. v. 12.3.2009 – VI ZR 88/08 -). Es ist in erster Linie Aufgabe des Schädigers, den Zeitraum, in dem das beschädigte Kraftfahrzeug unfallbedingt nicht zur Verfügung stand, zu begrenzen und damit eine Vergrößerung des Schadens durch Nutzungsausfall oder Mietwagenkosten zu verhindern. Demzufolge hat der Schädiger grundsätzlich auch die Nachteile zu ersetzen, die daraus herrühren, dass der Schaden mangels sofortiger Ersatzleistung nicht gleich beseitigt worden ist und sich dadurch vergrößert hat. Dieser Auffassung des BGH und der Zivilsenate des OLG Dresden und Düsseldorf schließt sich der erkennende Senat an. Der Kläger hat der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung rechtzeitig mitgeteilt, dass er nicht in der Lage sei, den Schaden vorzufinanzieren. Die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung hatte unter Bezug auf die bestehende Vollkaskoversicherung pflichtwidrig eine sofortige Einstandspflicht abgelehnt. Erst als die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung gezahlt hatte, hat der Kläger sofort den Reparaturauftrag erteilt. Ihm ist kein Vorwurf der Verletzung der Schadensgeringhaltungspflicht zu machen. Mithin hat der Kläger auch Anspruch auf die Mietwagenkosten . Bei de Bemessung des ersatzfähigen Normaltarifs geht der erkennende Senat entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung von dem arithmetischen Mittel aus den Werten der Schwacke-Liste und der Fraunhofer-Erhebung aus. Danach besteht unter Berücksichtigung der geleisteten Zahlung von 997,38 € noch eine offene Forderung von 3.564,22 €.

Fazit und Praxishinweis: Mit zutreffender Begründung hat der erkennende Zivilsenat des OLG Celle den Restentschädigungsanspruch des Geschädigten gegen die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung aus dem für den Geschädigten unverschuldeten Verkehrsunfall zuerkannt. Dem Geschädigten ist auch kein Verstoß gegen die Schadensgeringhaltungspflicht gemäß § 254 BGB vorzuwerfen, weil er keine eigenen finanziellen Mittel eingesetzt hat. Ihm war auch nicht zuzumuten, einen Kredit aufzunehmen, um sogleich die Reparatur vornehmen zu lassen. Ebenso bestand – zu Recht – keine Pflicht des Geschädigten, seine eigene Vollkaskoversicherung zunächst in Anspruch zu nehmen. Es ist Aufgabe des Schädigers bzw. seines Haftpflichtversicherers zeitnah die Schadensbeseitigung zu finanzieren. Der Schädiger hat Anspruch auf sofortigen Schadensersatz. Kann der Geschädigte wegen Beschädigung einer Sache Wiederherstellung gemäß § 249 I BGB oder den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag nach § 249 II BGB beanspruchen, so tritt die Fälligkeit des Schadensersatzanspruchs in der Regel sofort mit der Rechtsgutsverletzung ein (BGH Beschl. v. 18.11.2008 – VI ZR 22/08 -). Es ist daher sofort nach dem Schadensereignis Aufgabe des Schädigers bzw. dessen Haftpflichtversicherers, der mit dem Schädiger gesamtschuldnerisch haftet, für eine umgehende Reparatur und für die Vermeidung von weiteren Kosten zu sorgen Leistet daher der eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherer nicht zeitnah die Finanzierung der Schadensbeseitigung, so trägt er das Risiko weiterer Schadensausweitungen.
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