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Geschädigter darf von Versicherung benannten SV-Net-Gutachter ablehnen
AG München Urteil vom 31.7.2017 – 343 C 7821/17 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Kfz-Haftpflichtversicherer versuchen mit allen Mitteln, seien sie rechtlich zulässig oder nicht, die vom Geschädigten nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall entstehenden Sachverständigenkosten zu kürzen. Die neueste Masche der Versicherer ist es, den Geschädigten an einen von ihr benannten Gutachter der Firma SV-Net zu verweisen, der das Schadensgutachten für 280,-- € erstellen würde. Dabei verkennt der eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherer, dass der Geschädigte nach schadensersatzrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei ist (vgl. BGH DS 2006, 144 ff. m. zust. Anm. Wortmann).
Er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint. Er ist daher im Regelfall berechtigt, einen qualifizierten Kfz-Sachverständigen seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen (BGH aaO Rn. 16; Wortmann VersR 1998, 1204, 1210; ders. ZfS 1999, 1, 2; Hörl NZV 2003, 305, 306 f.). Dementsprechend darf der Geschädigte einen von der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung benannten Schadensgutachter im Haftpflichtschadensfall ablehnen.

Grundlage des Rechtsstreits vor dem Amtsgericht München ist das von dem Kfz-Sachverständigen berechnete Honorar nebst Nebenkosten. Der Geschädigte hatte einen qualifizierten Kfz-Sachverständigen seiner Wahl mit der beweissichernden Feststellung der Schadenshöhe und des Schadensumfangs beauftragt. Dieser hatte dem Geschädigten Kosten von insgesamt 549,78 € berechnet. Die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung war nur bereit, einen Betrag von insgesamt 280,-- € zu erstatten, weil sie den Geschädigten darauf hingewiesen hatte, dass ein Gutachter der Firma SV/Net ein Gutachten zum Festpreis von 280,-- € brutto inklusive Nebenkosten erstellen könne. Der Sachverständige klagte aus abgetretenem Recht den Differenzbetrag bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht München ein. Der Klage wurde vollumfänglich stattgegeben.

Die Klage ist zulässig und begründet. Die geltend gemachten Sachverständigenkosten sind unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des OLG München (vgl. OLG München Urt. v. 26.2.2016 – 10 U 579/15 -) nicht übersetzt. Streitig war allenfalls die Frage, ob der geschädigte mit der Beauftragung des von ihm hinzugezogenen Kfz-Sachverständigen gegen die ihm grundsätzlich treffende Schadensgeringhaltungspflicht verstoßen hat. Wenn dem so ist, dann hätte er keinen über den Betrag von 280,-- € hinausgehenden Schadensersatzanspruch. Abzustellen war auf die objektive Erforderlichkeit der Aufwendungen. Als erforderlich sind diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten tätigen würde. In der Ablehnung des von der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung unterbreiteten Angebotes, einen Sachverständigen der SV-Net zum Festpreis von 280,-- € zu vermitteln, ist kein Verstoß gegen die Schadensgeringhaltungspflicht zu sehen. Das Angebot der einstandspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung, einen kostengünstigeren Sachverständigen zu vermitteln, lässt die Berechtigung des Geschädigten, ein Gutachten zur Schadensfeststellung durch einen Sachverständigen seiner Wahl einzuholen, nicht entfallen.

Der Geschädigte hat nämlich ein berechtigtes Interesse daran, den Schaden an seinem verunfallten Fahrzeug durch einen von ihm ausgewählten Sachverständigen feststellen zu lassen. Der Geschädigte muss sich nicht auf einen Gutachter des Schädigers verweisen lassen, auch wenn dieser in gleicher Weise qualifiziert ist. Das Privatgutachten lebt von dem Vertrauen des Auftraggebers in die Sachkunde des Sachverständigen und die Richtigkeit der getroffenen Feststellungen zum Schadenumfang und der Schadenshöhe. Auf der Basis der getroffenen Feststellungen im Gutachten des vom Geschädigten hinzugezogenen Gutachters beziffert der Geschädigte gegenüber dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer den Schadensersatzanspruch. Der Geschädigte darf daher zu Recht einen Gutachter des Schädigers ablehnen und seinen eigenen Sachverständigen beauftragen. Dies ergibt sich auch aus der in der Rechtsprechung anerkannten Tatsache, dass der Geschädigte aus Gründen der Waffengleichheit auch dann einen Sachverständigen beauftragen kann, wenn seitens der eintrittspflichtigen Versicherung bereits ein Gutachten erstellt wurde.

Fazit und Praxishinweis: Da in Rechtsprechung und Literatur seit längerem anerkannt ist, dass der Geschädigte auch dann noch ein eigenes Gutachten in Auftrag geben darf, wenn die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung bereits ein Gutachten eingeholt hat, was mit der Waffengleichheit begründet wird, ist es nicht anders zu beurteilen, wenn die eintrittspflichtige Versicherung einen günstigeren Sachverständigen vermitteln will. In beiden Situationen hat der Geschädigte ein Recht, einen von ihm ausgewählten Kfz-Sachverständigen mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen. Ein Sachverständiger der Versicherung darf dem Geschädigten nicht aufgezwungen werden. Daher hat das erkennende Amtsgericht mit überzeugender Begründung den Verweis auf einen Sachverständigen der SV-Net als für den Geschädigten nicht bindend angesehen.
Quellen
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