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Berufungskammer des LG Dortmund urteilt im 130%-Bereich
LG Dortmund Berufungsurteil vom 25.4.2018 – 21 S 117/17 -

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Wenn ein verunfalltes Kraftfahrzeug, dessen Reparaturkosten ein qualifizierter Kfz-Sachverständiger im 130%-Bereich kalkuliert, und das dann in einer Markenfachwerkstatt, in der es immer gewartet und repariert wurde, fachgerecht und nach den Vorgaben des außergerichtlichen Gutachtens repariert wurde, kommt es häufig bei der Schadensabrechnung mit der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung zum Streit, weil diese den Wiederbeschaffungswert niedriger ansetzt. Einen derartigen Fall hatte in der Berufungsinstanz das Landgericht Dortmund zu entscheiden.
Zunächst hatte das Amtsgericht Dortmund bei seiner Entscheidung den von der Versicherung genannten geringeren Wiederbeschaffungswert zugrunde gelegt. Die dagegen gerichtete Berufung hatte Erfolg.

Am 10.3.2016 ereignete sich ein in Dortmund ein Verkehrsunfall, bei dem der zur Unfallzeit 13 Jahre alte Pkw Opel-Corsa der Klägerin durch das bei der späteren beklagten Allianz Versicherung AG haftpflichtversicherte Fahrzeug. Nach dem Unfall zog die Geschädigte einen qualifizierten Kfz-Sachverständigen zur Feststellung der Schadenshöhe hinzu. Gleichzeitig brachte die Geschädigte das verunfallte Fahrzeug in die Opel-Fachwerkstatt in Bochum, bei der sie das Fahrzeug erworben hat und regelmäßig hat warten lassen. Der Kfz-sachverständige kalkulierte Reparaturkosten in Höhe von brutto 5.949,24 €. Den Wiederbeschaffungswert gab er mit 4.600,-- € ohne Mehrwertsteuer an. Nach dem Gutachten kann das Fahrzeug im Rahmen der Vorkalkulation unter Vorbehalt noch repariert werden. Das Fahrzeug wurde bei der Opel-Fachwerkstatt für brutto 5.885,30 € repariert. Die Geschädigte rechnet gegenüber der eintrittspflichtigen Allianz Versicherung AG den konkret entstandenen Schaden bezüglich der angefallenen Reparaturkosten ab.

Die eintrittspflichtige Kfz-Versicherung meint, dass ein wirtschaftlicher Totalschaden vorliegt und rechnet auf dieser Basis ab. Vorgerichtlich zahlt sie 2.675,-- €, wobei sie den Wiederbeschaffungswert mit 3.575,-- € in Ansatz bringt. Den Restwert gibt sie, ebenso wie der vorgerichtliche Sachverständige, mit 900,-- € an. Mit der Klage macht die Geschädigte den Differenzbetrag von 3.210,30 € sowie Nutzungsausfall von 455,-- € und vorgerichtliche Kosten geltend. Das angerufene Amtsgericht Dortmund hat Beweis erhoben durch Einholung eines gerichtlichen Gutachtens bezüglich des Wiederbeschaffungswertes. Der vom Gericht bestellte Sachverständige gab den Wiederbeschaffungswert mit 3000,-- € an. Daraufhin hat das Amtsgericht mit Urteil vom 15.11.2017 – 404 C 9194/16 – der Klägerin die Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 455,-- € und den betrag von 1.225,-- € zugesprochen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Soweit die Klage abgewiesen worden ist, wendet sich die Klägerin gegen das Urteil des AG Dortmund. Die Berufung hat Erfolg.

Die Berufung ist begründet. Derjenige, der die Entscheidung zu treffen hat, ob sein Fahrzeug repariert werden soll oder stattdessen eine Ersatzbeschaffung vorgenommen werden soll, wird geschützt, wenn und soweit er auf die Feststellungen eines allgemein anerkannten Sachverständigen vertraut. Derjenige, der das beschädigte Fahrzeug tatsächlich über einen nicht unerheblichen Zeitraum weiter benutzen möchte, darf eine Reparatur veranlassen, wenn nach den Informationen des vorgerichtlichen Schadensgutachtens davon ausgegangen werden kann, dass die Reparaturkosten brutto maximal 130 % des Bruttowiederbeschaffungswertes betragen. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts reicht der Schutz nicht nur so weit, dass dann eine Entscheidung für eine Reparatur von der Rechtsordnung überhaupt akzeptiert wird, sondern betrifft auch dann den Fall, dass sich letztlich herausstellt, dass die tatsächlich anfallenden Reparaturkosten den wirklichen Wiederbeschaffungswert um mehr als nur 30 % übersteigen. Eine solche Situation kann zum einen entstehen, wenn die Bruttoreparaturkosten zu gering kalkuliert waren und sich die Reparatur letztlich als noch teurer erweist. Zum anderen kann es sich herausstellen, dass der Wiederbeschaffungswert zu hoch kalkuliert wurde. Das Vertrauen des Geschädigten in das vorgerichtliche Schadensgutachten wird grundsätzlich in beiden Fällen geschützt. Nach dem gutachten des vorgerichtlichen Sachverständigen betrug der Wiederbeschaffungswert 4.600,-- €. Grundsätzlich war daher eine Reparatur bis zu einem Betrag von 5.980,-- € möglich. Tatsächlich betrugen die Reparaturkosten nur brutto 5.885,30 €. Mithin durfte die Klägerin grundsätzlich reparieren lassen. Dass die Klägerin wusste, dass der Schadenssachverständige einen zu hohen Wiederbeschaffungswert angegeben hat, konnte die Kammer nicht feststellen.

Fazit und Praxishinweis: Der von dem Geschädigten zur beweissichernden Feststellung des Schadensumfangs und der Schadenshöhe hinzugezogene Sachverständige ist der Erfüllungsgehilfe des Schädigers (vgl. OLG Naumburg DS 2006, 283 ff). Eventuelle Fehler des Sachverständigen gehen zu Lasten des Schädigers, denn dieser trägt das Prognoserisiko. Der Geschädigte kann grundsätzlich auf die Richtigkeit des Sachverständigengutachtens vertrauen, wenn kein Auswahlverschulden vorliegt. Im zu entscheidenden Rechtsstreit hatte die Geschädigte einen öffentlich bestellten und vereidigten Kfz-Sachverständigen beauftragt. Sie konnte daher auf die Richtigkeit der vom Sachverständigen kalkulierten Beträge vertrauen. Dass sie bessere Kenntnis gehabt hätte, konnte die Kammer nicht feststellen. Dementsprechend war die Geschädigte auch berechtigt, innerhalb der 130%-Grenze reparieren zu lassen, und zwar in einer Markenfachwerkstatt, weil sie dort das Kraftfahrzeug erworben hat. In dieser Markenfachwerkstatt hat sie auch das Fahrzeug bisher immer warten lassen.
Quellen
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