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OLG Celle zur Haftung des Busfahrers beim Sturz eines Fahrgastes beim Anfahren
OLG Celle Beschluss vom 26.6.2018 – 14 U 70/18 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Sie sind zwar selten, kommen aber hin und wieder vor: Stürze in Omnibussen. Dabei sind Stürze in Linienbussen häufiger als solche in Reisebussen. Über einen Sturz im Linienbus beim Anfahren von einer Haltestelle hatte der 14. Zivilsenat des OLG Celle letztinstanzlich zu entscheiden. Erstinstanzlich hatte das Landgericht Lüneburg eine Haftung des Busfahrers für den Sturz des Fahrgastes während des Anfahrens des Busses verneint. Die dagegen gerichtete Berufung des Geschädigten hatte keinen Erfolg.
Am 23. Dezember 2015 bestieg die spätere Klägerin in U. an einer Bushaltestelle einen Linienbus. Sie hatte noch nicht Platz genommen, als der Fahrer des Linienbusses abfuhr. Die spätere Klägerin stürzte und erlitt Verletzungen. Sie verlangt von dem Fahrer des Linienbusses Schadensersatz und Schmerzensgeld. Das in erster Instanz zuständige Landgericht Lüneburg hat mit Urteil vom 5.3.2018 – 1 O 65/17 – die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts Lüneburg bietet keine Aussicht auf Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht eine Haftung des beklagten Linienbusfahrers sowohl gemäß 18 I StVG als auch gemäß § 823 I BGB bzw. § 823 II BGB in Verbindung mit § 229 StGB wegen des Sturzes im Linienbus am 23.12.2015 verneint. Aus § 7 I StVG haftet der beklagte Fahrer nicht, da die Betriebsgefahr nach § 7 StVG nur den Halter bzw. über § 115 I 1 VVG den Kfz-Haftpflichtversicherer trifft. Der Fahrer ist aber nicht Halter des Linienbusses. Ein Schadensersatzanspruch aus § 18 StVG für vermutetes Verschulden des beklagten Busfahrers scheidet aber mangels schuldhaften Sorgfaltspflichtverstoßes ebenfalls aus. Die Verschuldenshaftung des Fahrers nach § 18 StVG ist auf den Sorgfaltsmaßstab des durchschnittlichen Fahrers im Sinne des § 276 BGB beschränkt. Die Anforderungen an den Idealfahrer gelten für ihn nicht. Der Fahrer hat demnach im Rahmen des § 18 StVG nicht eine Unabwendbarkeit des Unfalls nachzuweisen (BGH NJW 1983, 1326). Vielmehr reicht es, dass er den Nachweis führt, dass er sich verkehrsgerecht bei Beachtung der gewöhnlichen verkehrserforderlichen Sorgfalt verhalten hat (OLG Hamm NZV 2000, 376). Unter Beachtung der vorstehenden Maßstäbe ist eine Pflichtverletzung des beklagten Busfahrers beim Anfahren von der Haltestelle nicht erkennbar, während die Klägerin ein erhebliches Verschulden an ihrem Sturz trifft.

Aufgrund des erheblichen Verschuldens der Klägerin tritt die Haftung des beklagten Busfahrers gänzlich zurück. Es ist nämlich anerkannt, dass der Fahrer eines Linienbusses, der seinen Fahrplan einzuhalten hat, regelmäßig nicht verpflichtet ist, seine Fahrgäste dahingehend zu beobachten, ob diese einen Sitzplatz eingenommen oder fest Halt genommen haben. Vielmehr ist der Fahrgast nach Betreten des Busses oder einer Straßenbahn gehalten selbst für festen Halt zu sorgen. Weiterhin ist anerkannt, dass der Bus- oder Straßenbahnfahrer darauf vertrauen darf, dass seine Fahrgäste der Verpflichtung, festen Halt zu suchen, nachkommen. Nur bei erkennbar schwerer Behinderung des Fahrgastes muss er sich vergewissern, dass der Fahrgast festen Halt hat und beim Anfahren nicht stürzen kann. Eine erkennbar schwere Behinderung liegt etwa dann vor, wenn ein Gehbehinderter oder ein blinder Fahrgast den Bus oder die Straßenbahn bestiegen hat. Eine solche Ausnahmesituation lag beim Betreten des Busses durch die Klägerin nicht vor. Kommt ein Fahrgast bei normaler Anfahrt, was die Zeugen bestätigt haben, zu Fall, so spricht nach ständiger Rechtsprechung der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Sturz im Bus oder in der Straßenbahn auf mangelnde Vorsicht des Fahrgastes zurückzuführen ist. Diesen Anschein hat die Klägerin nicht erschüttern können. Mangels schuldhaften Pflichtverstoßes des Beklagten scheidet ein deliktischer Anspruch nach den §§ 823 I, 823 II BGB ebenfalls aus.

Fazit und Praxishinweis: Der Fahrer eines Linienbusses oder auch einer Straßenbahn braucht sich beim anfahren des Busses oder einer Straßenbahn von einer Haltestelle nur dann zu vergewissern, ob ein gerade eingestiegener Fahrgast einen Sitzplatz oder festen Halt gefunden hat, wenn er beim Einsteigen des Fahrgastes eine erkennbar schwere Behinderung festgestellt hat. In diesem Fall muss der Fahrer mit dem Abfahren warten, bis der erkennbar schwerbehinderte Fahrgast einen Sitzplatz oder festen Halt gefunden hat. Der Beweis des ersten Anscheins spricht gegen den Fahrgast, wenn er nach dem Anfahren im Bus oder in der Straßenbahn stürzt. Er ist dann nämlich seiner Verpflichtung, festen Halt zu suchen, nicht nachgekommen. Das bedeutet weiter, dass ein Fahrgast, der beim Anfahren stürzt, grundsätzlich alleine haftet, wenn er sich nicht sofort festen Halt verschafft. Stürzt ein Fahrgast beim Anfahren, so streitet der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Sturz auf mangelnde Vorsicht zurückzuführen ist.
Quellen
    • Foto: Archiv Unfallzeitung