Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

Miserable Noten für Fahrradklingeln
Nur eine von zehn Klingeln erfüllt die vorgeschriebene Dezibel-Norm | Einzig Außenanschlagsklingeln werden von hörgeschädigten Verkehrsteilnehmern wahrgenommen

RobGal

Hörgeschädigte Menschen haben es im Verkehr schwer, allein weil man ihnen die Behinderung nicht ansieht. Es sei denn, sie sind zu zweit oder zu dritt und unterhalten sich in ihrer Gebärdensprache. "Wie wichtig es ist, Fahrradfahrer rechtzeitig wahrzunehmen, zu sehen und zu hören, wissen wohl alle, die schon einmal versucht haben, Fußgängerüberwege an Verkehrskreiseln zu benutzen", betonen die Hörakustikerinnen Lea Jartkens und Mareike Hestermann von der Fachhochschule Lübeck. Es kommt an den Überwegen nämlich nicht nur auf gutes Sehen an, sondern auch auf ein relativ gutes Hörvermögen, damit man in der komplexen Situation auch die fast lautlosen Fahrradfahrer wahrnimmt.
Die beiden Hörakustikerinnen haben sich im Rahmen einer wissenschaftlichen Projektarbeit mit Fragen beschäftigt wie: "Wie steht es um die Sicherheit hörgeschädigter Menschen im Straßenverkehr? Ist es ihnen überhaupt möglich, die Klingel eines Fahrrads im Tumult der Umgebungsgeräusche rechtzeitig wahrzunehmen?" Zunächst prüften sie, ob die Standard-Fahrradklingeln die Vorgaben der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVO) erfüllen. Dazu maßen sie in einem Akustiklabor den Schalldruckpegel von zehn handelsüblichen Fabrikaten. Trauriges Ergebnis: Nur ein Klingeltyp, die Außenanschlagsklingel, erfüllte die vom Gesetzgeber geforderte 85-Dezibel-Norm.

Daraufhin testeten die Akustikstudentinnen, ob Hörgeschädigte die verschiedenen Fahrradklingeln in einer typischen Verkehrsumgebung hören können und bei welcher Lautstärke die Wahrnehmungsschwelle liegt. Sie benutzten dazu eine spezielle Aufnahmetechnik für Verkehrslärm von zwei unterschiedlichen Straßen: von einer viel befahrenen Hauptausfallstraße sowie von einem Platz in der Altstadt. Dafür setzten sie besonderen Mikrofone ein, die ein räumliches Hören der Umgebungsgeräusche ermöglich. Damit wurde der psychoakustische Faktor der Aufnahmen verstärkt. Im Studio wurden den Aufnahmen weitere Umgebungsgeräusche zugefügt, etwa anfahrende Busse, ein Martinshorn von Einsatzfahrzeugen und ähnliches, um eine typisch städtische Geräuschkulisse zu schaffen. Schließlich wurden die Aufnahmen Menschen mit leichten bis mittleren Hörverlusten im hochfrequenten Bereich vorgespielt.

Die Akustikerinnen erhielten eindeutige Ergebnisse: Am besten wahrgenommen wurde erneut die Außenanschlagsklingeln "mit dem einfachen Ping", so die Lübecker Studentinnen. Gleich danach folgen die Klingeln mit dem Ding-Dong, wie sie für Hollandräder typisch sind.

Nach der Auswertung aller Untersuchungsergebnisse empfehlen die beiden Hörakustikerinnen eigentlich Selbstverständliches: Um die Sicherheit von hörgeschädigten Menschen im Straßenverkehr zu verbessern, sollten alle im Handel erhältlichen Fahrradklingeln mindesten die gesetzlich vorgeschriebenen 85 Dezibel erfüllen. Lea Jartkens und Mareike Hestermann empfehlen jedoch die Herstellung von lauten Breitband-Fahrradklingeln – was auch für nicht hörgeschädigte Menschen eine Verbesserung, mindestens eine Erleichterung bedeutet.
Für Hörgeschädigte haben die angehenden Wissenschaftlerinnen außerdem einen Tipp parat: Betroffene sollten auch im Straßenverkehr ein Hörgerät nutzen. Es ermöglicht nicht nur ein besseres Sprachverstehen, sondern trägt auch erheblich zur mehr Sicherheit bei. Denn Hörgeräte erhöhen deutlich die Wahrnehmung im normalen Verkehr, und können so auch für mehr Selbstbewusstsein und Sicherheit sorgen.
Quellen
    • Text: Beate M. Glaser (Kb)
    • Foto: © freshidea - Fotolia.com

Aktualisierungen zur News 1

  • Die Verhaltensmuster von Radfahrern erkennen

    Sebastian Heldt

    Fahrradfahrer in den Städten haben es nicht leicht. Es gibt Konflikte mit Autofahrern und Fußgängern, Fahrradstreifen fehlen, sind in einem miserablen Zustand oder enden im Nirgendwo. Auf den Gehwegen dürfen erwachsene Radler nicht fahren – tun es aber doch, oft aus Mangel an sicheren Alternativen. Aber auch Fußgänger und Autofahrer haben es nicht leicht mit den meist eiligen Velofahrern, die plötzlich von der Straße auf den Gehweg und zurück düsen, sich eilig durch den Stau schlängeln oder fast hautnah an Passanten vorbeihuschen. Dem Verhalten der Radfahrer sind Wissenschaftlerinnen der Technischen Universität München (TUM) auf den Grund gegangen. Sie haben das Verhalten der Radler analysiert, um Daten zur Verbesserung der Fahrerassistenzsysteme zu erhalten.

    Seit das Wohnen in der Stadt in ist und immer mehr junge Menschen in die Städte ziehen, die das Rad dem Auto und dem öffentlichen Nahverkehr vorziehen, hat der Fahrradverkehr überall in den Citys zugenommen. So ist man schnell und wendig unterwegs – wenn auch nicht immer regelkonform. Dabei sind gerade die Radfahrer im Straßenverkehr besonders gefährdet. "Das bedeutet, zukünftige Assistenzsysteme, die motorisierte Fahrer vor Risiken warnen sollen, müssen die Verhaltensmuster von Radfahrern kennen", wie die Wissenschaftlerinnen Heather Twaddle und Silja Hoffmann vom Lehrstuhl für Verkehrstechnik an der TUM ihr Forschungsziel beschreiben.
    Ihnen zufolge geben Verkehrssimulationen den Radverkehr nicht realitätsgetreu wieder. Beispielsweise halten sich die virtuellen Radler immer an die Verkehrsregeln. Daher versuchten die Wissenschaftlerinnen, im Rahmen des vierjährigen Forschungsprojekts "Urban" (Urbaner Raum: Benutzergerechte Assistenzsysteme und Netzmanagement) statistisch signifikante Verhaltensmuster von Radfahrern zu erkennen. Zu diesem Zweck beobachteten sie mit einer Videokamera drei Tage lang vier Kreuzungen in München und erfassten dabei 5.050 Fahrradfahrer. Nach Auswertung der Positionen und Geschwindigkeiten konnten sie bestimmte Muster entdecken, wie sich Radfahrer in typischen Verkehrssituationen verhalten:

    Schwierigkeiten beim Linksabbiegen auf der Straße
    War ein Radweg vorhanden, wurde er von den allermeisten Radlern (89 Prozent) genutzt. Nur jeder zehnte fuhr dann auf Gehweg oder Straße. Fehlte der Radweg hingegen, nutzten neun von zehn Radfahrer die Straße, jeder zehnte den Gehweg.

    Das Rotlicht einer Ampel beachteten 80 Prozent, sieben Prozent ignorierten es und fuhren, falls möglich, trotzdem. Zwölf Prozent hielten an und nutzten dann den Fußgängerüberweg. Bildete sich an der Ampel auf dem Radweg eine Warteschlange, stoppten 79 Prozent hinter dem letzten Fahrer, 13 Prozent versuchten, sich an den Anfang der Schlange vorzumogeln. Acht Prozent nahmen lieber den Gehweg, nur jeder tausendste wich auf die Straße aus.
    Das Linksabbiegen ist für Radler offenbar nicht so einfach. Nur 18 Prozent der beobachteten Radfahrer bogen mit den Autos auf der Fahrspur ab, 36 Prozent fuhren zunächst geradeaus über die Kreuzung, um dann im rechten Winkel links abzubiegen. Fast die Hälfte nutzte gleich eine Fußgängerampel.

    Heather Twaddle beobachtete, dass breitere Radwege öfter genutzt werden als schmale. Genauso wenig überraschend ist, dass die Länge einer Rotphase Einfluss darauf hat, ob die Radfahrer warteten oder doch bei Rot losfuhren. Gefährlich ist dabei das "Pulkverhalten": Wird eine rote Ampel von einem Radler missachtet, folgen ihm andere in der Regel gleich nach.

    Weitere Beobachtungen sind von den Wissenschaftlerinnen geplant, sie wollen noch wissen, welche Rolle Wetter und Tageszeit im Verkehrsverhalten spielen, und mit Hilfe einer Infrarotkamera soll auch das nächtliche Verhalten von Radlern beobachtet werden.

    Die Modelle, die sie aus den erhobenen Daten entwickeln, sollen zuerst in Verkehrssimulationen und dann in Assistenzsysteme integriert werden. So könnten Fahrradunfälle künftig besser verhindert werden.