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Auch unbezahlte Sachverständigenkosten sind nach Verkehrsunfall vom Schädiger zu ersetzen
Amtsgericht Dessau-Roßlau Urteil vom 20.7.2018 – 4 C 637/17

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Bei Schadensregulierungen nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall gibt es immer wieder Ärger mit den regulierungspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherungen, denn diese kürzen regelmäßig die von den Geschädigten geltend gemachten Schadenspositionen. Besonders beliebt bei Kfz-Haftpflichtversicherern sind Kürzungen bei den geltend gemachten Sachverständigenkosten. Dabei ist die Rechtslage eindeutig.
Der Bundesgerichtshof hat bereits Anfang 2007 entschieden, dass die Kosten des vom Geschädigten eingeholten Sachverständigengutachtens dem Grunde nach erstattungsfähig sind, denn diese Kosten des vom Geschädigten eingeholten Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 I BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. Ebenso können diese Sachverständigenkosten zu dem nach § 249 II 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH DS 2007, 144 m. zust. Anm. Wortmann). Gleichwohl wird seitens der einstandspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherer immer wieder diese Schadensposition gekürzt. Immer wieder müssen sich daher Gerichte der Entscheidung der Frage nach der vollständigen Regulierung der dem Geschädigten berechneten Sachverständigenkosten annehmen.

Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall im Jahre 2014 hatte der Geschädigte einen qualifizierten Kfz-Sachverständigen zur Erstellung des Schadensgutachtens beauftragt. Der Geschädigte und der Sachverständige trafen bei der Auftragserteilung eine Abtretungsvereinbarung. Die zunächst in Anspruch genommene Kfz-Haftpflichtversicherung regulierte den dem Geschädigten entstandenen Schaden jedoch nicht vollständig. Die vom Schadensgutachter berechneten Sachverständigenkosten wurden durch die regulierungspflichtige Kfz-Versicherung gekürzt. Daraufhin nahm der Kfz-Sachverständige aus abgetretenem Recht den Unfallverursacher persönlich in Anspruch. Nachdem auch dieser nicht bereit war, den von seiner Versicherung gekürzten Differenzbetrag zu zahlen, wurde die Restforderung durch den Sachverständigen bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht Dessau-Roßlau rechtshängig gemacht. Das angerufene Gericht gab dem Kläger Recht.

Die Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung restlichen Schadensersatzes in Form von Gutachtenkosten aus abgetretenem Recht. Anerkannte Schadensposition nach einem Verkehrsunfall mit Sachschaden sind die Kosten eines Sachverständigengutachtens, welche dem Grunde nach ersatzfähig sind. Sie gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 I BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (BGH DS 2007, 144 ff. = NJW 2007, 1450 ff). Ebenso können diese Kosten zu dem nach § 249 II 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist (BGH aaO.). Es begegnet dabei keinen Bedenken, nach einem Verkehrsunfall ein in Relation zur Schadenshöhe berechnetes Sachverständigenhonorar als erforderlichen Herstellungsaufwand im Sinne des § 249 II BGB zu verlangen.

Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei; er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint, so dass er im Regelfall berechtigt ist, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Sachverständigengutachtens zu beauftragen (BGH aaO.). Der Geschädigte kann jedoch vom Schädiger nach § 249 II BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann (BGH aaO.). Jedoch ist der Geschädigte grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Marktes verpflichtet, um einen für den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen (BGH aaO.). Bei der Beauftragung eines Kraftfahrzeugsachverständigen darf sich ein Verkehrsunfallgeschädigter damit begnügen, den ihm in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen, er muss nicht zuvor einer Marktforschung nach dem honorargünstigsten Sachverständigen betreiben (BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13 -). Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast zur Schadenshöhe regelmäßig durch Vorlage einer Rechnung des von ihm zur Schadensbeseitigung in Anspruch genommenen Sachverständigen.

Die tatsächliche Rechnungshöhe bildet bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages im Sinne von § 249 II 1 BGB. Es ist mithin bei der Prüfung, ob der Geschädigte den Aufwand zur Schadensbeseitigung in vernünftigen Grenzen gehalten hat, eine subjektbezogene Schadensbetrachtung anzustellen, das heißt Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen. Dem Geschädigten obliegt jedoch im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots grundsätzlich eine gewisse Plausibilitätskontrolle der vom Sachverständigen bei Vertragsabschluss geforderten oder später berechneten Preise. Bei Aufwendungen für Fahrten mit dem Auto wie auch denen für Fotos, Kopien und Druck handelt es sich um Kosten des täglichen Lebens, mit denen ein Erwachsener üblicherweise im Alltag konfrontiert ist und deren Höhe er typischerweise auch ohne besondere Sachkunde abschätzen kann. Als Orientierungshilfe können nach Ansicht des erkennenden Gerichts insofern die Bestimmungen des JVEG herangezogen werden.

Die zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung zu Grunde gelegt, durfte sich der Geschädigte damit begnügen, einen in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen. Er war nicht verpflichtet, zuvor eine Marktforschung nach dem honorargünstigsten Sachverständigen zu betreiben. Die angesetzten Preise lagen dabei für den im Sachverständigenwesen unkundigen Geschädigten nicht erkennbar erheblich über den üblichen Preisen. Zugunsten des Geschädigten als Laie, dem weder die Vorschriften des JVEG noch die Honorarbefragung 2013 des BVSK, die häufig als Schätzungsgrundlagen herangezogen werden, ist anzunehmen, dass ihm diese nicht geläufig sind. Bei der Schadenshöhenschätzung ist aber ein großzügiger Maßstab anzulegen. Die tatsächliche Rechnungshöhe bildet ein wesentliches Indiz bei der Bestimmung der üblichen Vergütung. Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls hat das Gericht nach freier Überzeugung die Auffassung gewonnen, dass die vom Kläger als Sachverständigen in Ansatz gebrachten Kosten, Grundkosten wie Nebenkosten, unter Berücksichtigung der Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten sich im Rahmen der erforderlichen Kosten im Sinne des § 249 II 1 BGB bewegen. Die gekürzten Sachverständigenkosten sind daher von dem Beklagten noch zu ersetzen.

Fazit und Praxishinweis: Wie das erkennende Gericht bereits zutreffend entschieden hat, gehören die Kosten des vom Geschädigten zur beweissichernden Feststellung des Schadensumfangs und der Schadenshöhe hinzugezogenen Kfz-Sachverständigen zu den mit dem Unfallschaden am Kraftfahrzeug unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen. Der Geschädigte ist mit der Rechnung des Sachverständigen mit einer Zahlungsverpflichtung belastet. Die Belastung mit einer Zahlungsverpflichtung ist nach allgemeiner höchstrichterlicher Rechtsprechung ein zu ersetzender Schaden (BGHZ 59, 149 f.; BGH NJW 1986, 581 ff.; BGH NJW 2005, 1112 f; BGH NJW 2007, 1809 Rn. 20; BAG NJW 2009, 2616 Rn. 18). Auf die Begleichung der Sachverständigenkostenrechnung durch den Geschädigten kommt es daher nicht an.
Quellen
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