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Keine Unabwendbarkeit bei vorhersehbarer Vorfahrtsverletzung an winterlicher Kreuzung
LG Wuppertal Beschluss vom 5.1.2018 – 9 S 207/17

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

So langsam beginnt wieder die winterliche Zeit mit schneebedeckten Straßen. Wenn die Straßen schneebedeckt sind, heißt es vorsichtig und umsichtig zu fahren. Auf schneeglatten Straßen kann es dann schnell zu einem Verkehrsunfall kommen. Auch wenn man auf der Vorfahrtsstraße fährt, muss damit gerechnet werden, dass aus einer Seitenstraße ein Fahrzeug in die Hauptstraße hineinrutscht, zumal es sich bei der Seitenstraße um eine abschüssige Straße handelt. Es kam, wie es kommen musste, im Einmündungsbereich kollidierten die Fahrzeuge.
Letztendlich musste die Berufungskammer des Landgerichts Wuppertal den Rechtsstreit entscheiden. Es gab auch dem auf der Vorfahrtsstraße befindlichen Fahrer eine Mitverantwortung am Zustandekommen des Unfalls, weil er nicht die von einem Idealfahrer zu erwartende äußerste Sorgfalt wahrt, wenn er mit einer Verletzung seines Vorfahrtsrechts nicht rechnet und entsprechend sorglos fährt, obwohl die Umstände die Möglichkeit einer Vorfahrtsverletzung wegen der schneebedeckten abschüssigen untergeordneten Straße nahelegen.

Der spätere Kläger befuhr bei winterlichen Straßenverhältnissen in Wuppertal die M-Straße, die zur bevorrechtigten W-Straße hin abschüssig ist. Kurz vor der Einmündung in die W-Straße begann sein Fahrzeug zu rutschen. Er entschloss sich daher nicht mehr abzubiegen. Im Einmündungsbereich, aber schon auf der bevorrechtigten W- Straße kam sein Kraftfahrzeug zum Stillstand. Kurz darauf stieß ein auf der Hauptstraße fahrendes bevorrechtigtes Fahrzeug gegen das stehende Fahrzeug des Klägers. Das in erster Instanz zuständige Amtsgericht Wuppertal nahm eine 50-prozentige Haftung beider Fahrer an. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung ein. Die Berufungskammer des Landgerichts Wuppertal wies mit Hinweisbeschluss vom 5.1.2018 – 9 S 207/17 – darauf hin, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg bietet.

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Beklagtenseite haftet nicht in einem größeren Umfang für die Unfallfolgen als 50 Prozent, wie vom Amtsgericht Wuppertal in erster Instanz angenommen. Eine weitergehende Haftung der Beklagtenseite ist selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn mit dem Vorbringen des Klägers davon ausgegangen würde, dass das Fahrzeug des Klägers schon eine Weile gestanden hatte, als es zu der streitgegenständlichen Kollision kam. Denn der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs hat den Verkehrsunfall schuldhaft mitverursacht, indem er bei stark winterlichen Verhältnissen und erkannter Fahrbahnglätte in die abschüssige Straße eingebogen war und im Einmündungsbereich der bevorrechtigten Straße zum Stillstand kam. Gegen den Kläger spricht der Beweis des ersten Anscheins, den Unfall wegen einer Nichtbeachtung der sich aus § 8 II StVO ergebenden Wartepflicht gegenüber dem vorfahrtsberechtigten Beklagten zumindest mitverursacht zu haben. Kommt es im Einmündungsbereich von vorfahrtsberechtigter und untergeordneter Straße zu einem Unfall, so nimmt die Rechtsprechung regelmäßig einen gegen den Wartepflichtigen sprechenden Anscheinsbeweis für die unfallursächliche und schuldhafte Vorfahrtsverletzung an (BGH VersR 1964, 639, 640).

Im vorliegenden Fall ist auch der Anscheinsbeweis nicht erschüttert. Es liegt kein atypischer Geschehensablauf vor. Beim Einbiegen in die oder Überqueren der bevorrechtigten Straße darf der Wartepflichtige die freie Durchfahrt des Fahrers auf der bevorrechtigten Straße nicht beeinträchtigen. Warum der Kläger eine längere Zeit im Einmündungsbereich zur bevorrechtigten Straße gestanden hat, konnte er selbst nicht erklären. Im Übrigen ist das Verhalten des Klägers für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar. Vor diesem Hintergrund stellt sich für das Gericht eine weitere Frage. Offenbar geriet der Kläger mit seinem Fahrzeug ins Rutschen. Er konnte das Fahrzeug nicht vor dem Einmündungsbereich zur Hauptstraße zum Stillstand bringen. Er hat daher gegen § 3 I StVO verstoßen, wonach das Fahrzeug den Witterungsverhältnissen angepasst zu fahren ist. Auch ist nach der Rechtsprechung des BGH eine Quotierung der beiderseitigen Verschuldensverstöße nach § 1 StVO vorzunehmen (BGH VI ZR 285/92). Nach Ansicht der erkennenden Kammer gilt die Pflicht, in einen Einmündungsbereich nur dann einfahren zu können, wenn dieser Bereich auch wieder verlassen werden kann, wenn bevorrechtigter Verkehr sich nähert. Gegenüber dem Verschulden des Klägers wiegt ein Verschulden des Beklagten nicht schwerer. Das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Wuppertal hat daher zu Recht eine Haftungsverteilung von 50 zu 50 vorgenommen.

Fazit und Praxishinweis: Gerade bei winterlichen Straßenverhältnissen ist besonders vorsichtig zu fahren. Dies gilt insbesondere vor Kreuzungen und Einmündungen. Der Fahrer eines Kraftfahrzeuges muss auch bei winterlichen Straßenverhältnissen rechtzeitig vor einem Hindernis anhalten können. Angepasste Geschwindigkeit ist gerade bei Schneeglätte besonders wichtig. Im Falle eines Unfalls spricht zunächst der Beweis des ersten Anscheins gegen den unvorsichtig fahrenden Fahrzeuglenker.
Quellen
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