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Trotz Dieselkompromiss: Regierung und Hersteller unter wachsendem Druck
Umtauschprämien und Nachrüstungen vereinbart | Kommunen fordern rasche Umsetzung

RobGal

Nach langem und zähem Ringen haben sich die Spitzen der Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD Anfang Oktober auf einen Weg verständigt, wie die gesundheitsschädliche Stickoxidbelastung (NOx) in Ballungszentren durch Diesel-Pkw zu verringern seien. Dadurch sollen auch drohende oder bereits ausgesprochene Fahrverbote umgangen werden. Doch bereits wenige Stunden nach Bekanntwerden des „Dieselkompromisses“ äußerten etliche Autohersteller Vorbehalte oder kündigten an, sich nicht am Gesamtpaket zu beteiligen. Anders als von den Koalitionsparteien erhofft, reißt die öffentliche Kritik nicht ab: Die Vereinbarungen seien zu wage und nicht ausreichend, heißt es von verschiedenen Seiten.
Das Konzept von CDU, CSU und SPD sieht Umtauschprämien für den Kauf neuer Pkw und Nachrüstungen für ältere Fahrzeuge vor. Demnach sollen Autofahrer eine Prämie erhalten, wenn sie ihren Diesel-Pkw der Abgasnorm Euro 4 (ab 2005/2006) oder Euro 5 (ab 2009/2011) abgeben und im Gegenzug ein neues, saubereres Auto, in der Regel von derselben Marke, kaufen. Dieser Zuschuss wird vom Autohersteller auf den Restwert des alten Wagens aufgeschlagen, um die Anschaffungskosten für den Käufer zu begrenzen. Die Hersteller wollen ihren Kunden dafür mehrere tausend Euro anbieten, einige bis zu 10.000 Euro.

Wer sich trotzdem keinen neuen Wagen leisten kann oder will, soll nach dem Willen der Regierungskoalition seinen Euro-4- oder Euro-5-Diesel mit einem SCR-Katalysator gegen Stickoxide nachrüsten lassen, finanziert vom jeweiligen Hersteller. Die Bundesregierung geht dabei von durchschnittlichen Kosten in Höhe von 3.000 Euro aus.

Umtauschprämie und Nachrüstung sollen nur für Autobesitzer in Gebieten mit besonders hoher NOx-Konzentration gelten. Konkret geht es um 14 Städte: Backnang, Bochum, Darmstadt, Düren, Düsseldorf, Hamburg, Heilbronn, Kiel, Köln, Limburg an der Lahn, Ludwigsburg, München, Reutlingen und Stuttgart, einschließlich der angrenzenden Landkreise und erweitert um Städte wie Frankfurt am Main, die vor gerichtlich angeordneten Fahrverboten stehen. Darüber hinaus sollen Pendler, Selbständige mit Firmensitz in einer betroffenen Stadt sowie Kranke und andere Menschen mit Härten in das Maßnahmenpaket einbezogen werden. Nach Schätzungen der Bundesregierung kommen so insgesamt 1,4 Millionen Dieselfahrzeuge in Betracht. Experten zufolge müssten die Hersteller insgesamt mehrere Milliarden Euro aufwenden.
Außerdem soll eine gesetzliche Ausnahmeregelung eingeführt werden, wonach alle Euro-4- und Euro-5-Diesel-Pkw von einem verhängten Fahrverbot ausgenommen werden, sofern sie eine gewisse NOx-Emissionsgrenze einhalten. Die wird in der Regel bereits durch Software-Updates erreicht, wie sie von den Herstellern zugesagt wurden.

Der Dieselkompromiss hielt nicht lange

Kaum wurde dieses Paket öffentlich, erklärten BMW und Opel, bei den Nachrüstungen nicht mitzumachen. Daimler und Volkswagen stellen die Bedingung, dass es zertifizierte und zugelassene Nachrüstsysteme gibt. Außerdem will VW nur bei Beteiligung der Wettbewerber mitziehen. Seit längerem ist jedoch bekannt, dass die im Verband der internationalen Kfz-Hersteller (VDIK) zusammengeschlossenen ausländischen Marken „Bedenken“ gegenüber Nachrüstungen haben. Der VDIK bezweifelt, dass dadurch eine kurzfristige Verbesserung der Luftqualität erreicht wird, und pocht darauf, dass viele Fahrzeuge technisch nicht dafür geeignet seien, zum Beispiel weil der Platz fehle. Viele skeptische Hersteller argumentieren zudem damit, dass sich die SCR-Katalysatoren negativ auf Motorleistung, Verbrauch und CO2-Emissionen auswirken. Verschärfend kommt hinzu, dass die Zulassungen für die Nachrüstsysteme durch das Kraftfahrt-Bundesamt noch fehlen, weil das Bundesverkehrsministerium die technischen Vorgaben bislang nicht lieferte.

Nun wird der politische Druck erhöht. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) riefen die Autoindustrie auf, die Kosten für die Nachrüstung einschließlich des Einbaus zu übernehmen. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) sagte: „Das ist jetzt die Verantwortung der Industrie, dass wir mit diesem Kompromiss hinter das ganze Thema Dieselskandal, Schummelsoftware, Innenstadtproblematik mal einen Haken machen können.“ Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert, dass der Dieselkompromiss „zügig und unbürokratisch“ umgesetzt wird, auch um weitere Fahrverbote zu vermeiden. Die Hersteller sollten ihre Verantwortung „anerkennen“. Der Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe (ZDK) erklärte, dass die Werkstätten auf die Nachrüstung durchaus vorbereitet seien. Aus den Reihen der Nachrüstanbieter wurde zugesagt, dass mit den Umbauten im kommenden Jahr begonnen werden könne.

Von verschiedenen Seiten wird der Dieselkompromiss allerdings auch als unzureichend kritisiert. So moniert der Zentralverband des Deutschen Handwerks, dass nicht auch Transporter berücksichtigt werden. Ein Vertreter des Deutschen Städtetages äußerte Zweifel, ob die Luftqualität durch die vereinbarten Maßnahmen ausreichend verbessert wird. Die Kommunen schlagen zur einfacheren Unterscheidung von sauberen und dreckigen Diesel-Pkw bei Kontrollen eine „blaue Plakette“ vor und verlangen aus Gründen der Gerechtigkeit, dass die Nachrüst- und Umtauschangebote auch für Autofahrer gelten, die nicht in den betroffenen Städten wohnen. Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock hält das Konzept der Koalition für unzureichend. Sie fordert eine Verkehrswende mit Ausbau von ÖPNV und Radwegen sowie deutlichere Emissionsgrenzwerte für die Autoindustrie.

Es hängt noch vieles in der Luft. Klar ist nur eins: Sie muss sauberer werden.
Quellen
    • Foto: © mattz90 - Fotolia.com | Text: Kristian Glaser/Olaf Walther (kb)