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Im KB von 1978 geblättert: 40 Jahre ABS „der bedeutendste Fortschritt an den Bremsen
Volle Lenkfähigkeit auch bei Vollbremsung - Voraussetzung war eine technologische Neuerung namens „Mikroprozessor“

RobGal

Ein jeder hat in der Fahrschule gelernt, in Kurven nicht zu bremsen, sonst blockieren die Räder, und der Wagen schleudert oder rutscht aus der Kurve, nicht selten gegen den nächsten Baum. „Morgen wird das nicht mehr gelten“, prognostizierte der kraftfahrt-berichter im Spätsommer des Jahres 1978, denn mit einer neuen Erfindung namens „Antiblockiersystem“ lasse sich auch in Kurven bremsen. „Selbst auf Glatteis können die Räder nicht mehr blockieren.“ Noch Ende desselben Jahres sollte das erste Serienauto, ein Mercedes, mit ABS verkauft werden. Genau vierzig Jahre ist das her.
Der wichtigste Effekt der neuartigen Bremstechnologie: Auch beim kraftvollsten Druck auf das Bremspedal behält der Wagen seine Lenkfähigkeit. „Der Fahrer muss bei einem plötzlichen Hindernis nicht mehr entscheiden, ob er bremst oder lenkt“, erläuterte der kb, nun könne er „voll auf die Bremse treten und trotzdem ausweichen“. Zudem lässt sich der Bremsweg auf nasser Straße um bis zu 40 Prozent reduzieren. Beides kann Leben retten.

Der kb-Autor warnte aber vor Übermut. Denn auch das ABS sei nicht in der Lage, die physikalischen Gesetze auszuhebeln. „Wer freilich unaufmerksam ist und zu spät bremst, dem können die kürzeren Bremswege nicht helfen.“ Und wer zu schnell in eine Kurve fährt, der wird hinausgetragen – „mit Blockierschutz genauso wie ohne“.

Die Ingenieure mussten sehr lange tüfteln, bis sie am Ziel waren. Erste Überlegungen reichen bis in die 50er Jahre zurück. Ähnliche Systeme waren für Flugzeug und Eisenbahn viel früher ausgereift. Weil sich das Auto aber in komplexeren Situationen bewegt, sind die Anforderungen an die Technik viel höher. In den USA konnte man erste Anlagen bereits in den 60er Jahren für sein Auto bestellen, die befand der kb allerdings als ungenügend, weil sie „sehr einfach“ waren und „nur an der Hinterachse arbeiteten“. 1970 kündigte Daimler endlich an, dass das System – in Zusammenarbeit mit Bosch – zwei Jahre später erscheinen werde, exklusiv in der ersten S-Klasse.
1972 kam zwar die neue Baureihe W 116, „von ABS aber war nicht die Rede“, stellte der kraftfahrt-berichter enttäuscht fest. Sechs weitere Jahre musste gewartet werden, weil der Blockierschutz sich als schwierigere Nuss herausstellte, als selbst von Pessimisten angenommen worden war. „Wieder und wieder mussten die Prototypen, die nicht nur bei Daimler-Benz und BMW, sondern beispielsweise auch bei Volvo und VW in Erprobung waren, umkonstruiert werden, wieder und wieder mussten die Bremsenspezialisten wie etwa von Bosch oder Ate den Lieferbeginn verschieben“, berichtete der kb.

Der Durchbruch kam etwa 1975 mit einer technologischen Neuerung auf einem ganz anderen Gebiet: Die „sogenannten hochintegrierten Schaltkreise“ wurden erfunden. Der kraftfahrt-berichter erklärte sie so: „Das sind die modernen elektronischen Alleskönner, die unter dem Namen ‚Mikroprozessoren’ bekannt sind.“ Erst jetzt konnte die Steuerelektronik, „quasi das ‚Gehirn’ der Anti-Blockier-Vorrichtung“, schnell und zuverlässig arbeiten, nämlich digital „statt wie früher analog“.

Das Grundprinzip ist eigentlich ganz einfach. Die Steuerelektronik überwacht mittels Sensoren die Drehzahlen der vier Räder. Fällt während des Bremsens die Drehzahl eines Rades jäh ab, so bedeutet das, dass das Rad zu blockieren droht. „Der Computer erteilt der Hydraulikeinheit den Befehl, die Bremse an dem betreffenden Rad so weit zu lösen, dass keine Blockiergefahr mehr besteht.“ Daraufhin lässt der Computer den Bremsdruck wieder erhöhen, bis die Raddrehzahl wieder steil abfällt und sich der Vorgang wiederholt, mehrfach innerhalb von Sekunden. „Die Bremse pendelt gewissermaßen immer um den Blockierpunkt herum.“ Wie die von Sportfahrern beherrschte Technik der „Stotterbremse“, nur automatisch.

Zuerst hatte Bosch sein System fertiggestellt, eingebaut im Mercedes-Benz 450 SEL 6,9, zu einem Mehrpreis von exakt 2.217,60 Mark. Das war weitaus mehr als ein Viertel des Betrages, den der erste VW Golf vier Jahre zuvor gekostet hatte. Heute gehört ABS, zumindest in den entwickelten Ländern, wie selbstverständlich zur Ausstattung eines Autos.

Das Ur-Fahrerassistenzsystem

Die Einführung von ABS war nicht nur eine technologische Sensation. Dadurch wurde die gesamte Autoentwicklung geradezu auf eine neue Stufe gehoben, denn nun hielt die Digitaltechnik Einzug ins Automobil. „Es nimmt künftig die Aufgabe eines Partners auf vier Rädern ein, der den Menschen am Steuer zunehmend aktiv unterstützt“, erklärte Daimler im Rückblick.

ABS ist das Ur-Fahrerassistenzsystem. Unter anderem auf seiner Technologie basieren spätere Assistenten wie die Antriebsschlupfregelung (ASR), die Fahrdynamikregelung (ESP), der Bremsassistent und der Abstandsregeltempomat (ACC). Weitere und immer leistungsfähigere Sensoren hielten und halten Einzug ins Auto: Radar, Ultraschall und Kameras.

Doch früher wie heute beschäftigt die Autofahrer eine Frage, wenn sie im Cockpit plötzlich die ABS-Warnlampe aufleuchten sehen: Muss ich wirklich in die Werkstatt, oder ist es ein Fehlalarm?
Quellen
    • Foto: © jro-grafik - Fotolia.com | Text: Kristian Glaser (kb)