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Assistenzsysteme: Nicht optimal auf die Landstraße abgestimmt
Wissenschaftler würdigen die Vorzüge von Notbremse & Co., entdecken aber unfallrelevante Defizite in den Konfigurationen

RobGal

Landstraßen sind ein gefährliches Pflaster für Autofahrer. 60 Prozent der Verkehrstoten waren 2015 Opfer von Landstraßencrashs, obwohl sich auf diesen Straßen „nur“ 25 Prozent aller Unfälle mit Personenschaden ereigneten. Mit anderen Worten: Wenn es hier kracht, dann besonders schwer – „obwohl kontinuierlich an der Implantierung und Optimieren von zahlreichen Fahrerassistenzsystemen gearbeitet und geforscht wind“, wundern sich Wissenschaftler vom Institut für Rechtsmedizin der Universität München. Sie vermuten, dass kritische Verkehrssituationen auf Landstraßen häufig komplexer sind, als es die Assistenzsysteme abdecken. Unter unabhängigen Fachleuten wird schon länger die Frage erörtert, ob die auf dem Markt befindlichen Assistenzsysteme mit bestimmten Unfallarten auf der Landstraße überfordert sind und verbessert gehören.
Typisch für die Landstraße sind mit einem Anteil von 43 Prozent die Fahrunfälle (Kontrollverlust), gefolgt von Auffahrunfällen (28 Prozent) und Zusammenstößen mit anderen Fahrzeugen beim Einbiegen oder an Kreuzungen (13 Prozent). Daher analysierten die Ingenieurwissenschaftler Klaus Bauer und Christoph Peltz, der Biomechaniker Steffen Peldschus und die Mediziner Matthias Graw und Silvia Schick „die Vermeidbarkeit von tödlichen Verkehrsunfällen auf Landstraßen“ durch Spurhalteassistent, automatischem Notbremsassistent und ESP. Dabei kritisierten die Wissenschaftler, dass die Assistenzsysteme nicht allein „vor dem Hintergrund der maximalen Sicherheit im Straßenverkehr“ entwickelt würden, sondern „oft auch der Steigerung des Fahrkomforts“ dienten.

Für die Analyse und Rekonstruktion der Crashs werteten die Wissenschaftler reale Landstraßenunfälle mit Todesfolge rechnerunterstützt aus. Dabei wurde der Einfluss von ESP (Fahrstabilität), automatischem Notbremsassistent (Längsdynamik) und Spurhalteassistent (Querdynamik) auf das Unfallgeschehen berücksichtigt. Einbezogen wurden zudem die Reichweite des Radars und die Kegelöffnung (darunter versteht man, wie weit das Radar rechts und links von der Mitte „schaut“) sowie der Zeitpunkt des Bremseneingriffs vor der Kollision. Die Fallzahlen waren je-doch zu gering, um sie „ohne Weiteres“ auf das Unfallgeschehen insgesamt übertragen zu können, bedauern die Münchner Wissenschaftler. Fasst man die gewonnenen Erkenntnisse trotzdem zusammen, „so finden sich Hinweise darauf, dass der Spurassistent und insbesondere der Notbremsassistent ein hohes Potential zur Vermeidung zukünftiger schwerer Verkehrsunfälle aufweisen“, bemerken die Forscher.

„Notbremsassistent kommt an seine Grenzen“
Nach ihren Erkenntnissen ist der Spurhalteassistent „heute schon als vielversprechend“ einzustufen. Eine „optimale Umsetzung“ sei jedoch „noch nicht realisiert“. Es wurde festgestellt, dass kamerabasierte Systeme beim Erkennen des Fahrstreifens Probleme haben, weil sie schlechte oder fehlende Leitlinien nicht ausgleichen können. „Hier müssen bei der Fahrzeugtechnik auch im Bereich der Infrastruktur Optimierungsmaßnahmen vorangetrieben werden“, erklärten die Forscher. Nach ihrer Meinung könnten Rand- und Mittelmarkierungen auf den Fahrbahnen deutliche Verbesserungen erreichen. Außerdem schien den Forschern, dass die ESP-Programmierung nicht ausreiche, um Unfallsituationen in Kurven zu vermeiden. Sie empfehlen, die Erkennung der Witterung in das System zu integrieren.

Wenig optimistisch fällt auch die Beurteilung des Notbremsassistenten aus. „Er kommt bei den betrachteten Landstraßen in den aktuellen Konfigurationen (2017) an seine Grenzen“, lautet das Urteil. Bei der Analyse habe sich gezeigt, dass der Zeitpunkt des frühesten Bremseingriffs vor der Kollision „noch nicht optimal gelöst“ sei und deshalb ein Problem darstelle. Schließlich hat die Eingriffsdauer „große Auswirkungen“ auf die Schwere eines Unfalls.

„Diskutiert“ werden müssten aus Sicht der Forscher zudem Fehlauslösungen bei Kreuzungsunfällen und das Erkennen eines Fahrzeugs, das von der Gegenfahrbahn abkommt. In solch einer Situation, so die Wissenschaftler, könnte die Reaktionsspanne zum Eingreifen eventuell zu kurz sein.
Quellen
    • Foto: © margaretzorgan - Fotolia.com | Text: Beate M. Glaser (kb)