Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

Land haftet für Sturz an nicht geräumter Bushaltestelle außerhalb geschlossener Ortschaft
Landgericht Aachen Urteil vom 24.5.2018 – 12 O 430/17

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Gerade jetzt zur Winterzeit kommt es auf die sorgfältige Räumung von Gehwegen durch die Verantwortlichen besonders an, um Stürze auf schnee- oder eisglatten Flächen zu vermeiden. Kommt es dennoch zu einem Sturz, ist grundsätzlich der zur Räumung Verpflichtete für die Folgen des Sturzes verantwortlich. Das gilt auch für ein Bundesland, wenn es sich um eine Landstraße handelt. Das Landgericht Aachen musste über einen Sturz eines Fahrgastes eines Linienbusses entscheiden, der an einer nicht geräumten Bushaltestelle an einer Landstraße außerhalb geschlossener Ortschaften zu Fall kam. Das erkennende Gericht nahm eine gesteigerte Verkehrssicherungspflicht bei Schnee- oder Eisglätte im Bereich von Bushaltestellen an.
Die Klägerin wohnte zur Unfallzeit in Simmerath-Woffelsbach. Es handelt sich um einen Ortsteil, der über rund 500 Einwohner und eine Bushaltestelle an der Landstraße L 128 verfügt. Am 5.1.2017 fuhr die Klägerin mit dem Bus der Linie 68 vom Busbahnhof Simmerath in den Ortsteil Woffelsbach. Gegen 15.00 Uhr stieg sie an der Haltestelle an der Landstraße 128 aus. Obwohl sie sich festgehalten hatte und Winterschuhe trug, stürzte sie infolge winterlicher Schneeglätte an der Bushaltestelle. Sie verlangt von dem beklagten Land Nordrhein-Westfalen als Träger der Straßenbaulast für die Landstraße ein Schmerzensgeld, das etwa 2.000,--- € betragen sollte, weil das Land seine Zuständigkeit mehrfach geleugnet hat, sowie sonstigen Schadensersatz in Höhe von 62,56 €. Die Klage war dem Grunde nach erfolgreich. Das erkennende Gericht hielt lediglich ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,-- € für angemessen. Im Übrigen wurde das beklagte Land verurteilt.

Die zulässige Klage hat in der Sache zum Teil Erfolg. Der Klägerin steht gegen das beklagte Bundesland ein Anspruch auf Ersatz der sturzbedingten Schäden und insbesondere ein Schmerzensgeld von 1.000,-- €aus §§ 839, 253 BGB, Art, 34 I GG, in Verbindung mit § 9 a Straßen- und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (StrWG NRW) zu. Die Verletzungen der Klägerin beruhen auf einer Amtspflichtverletzung des beklagten Landes NRW, denn das beklagte Land hat aus Gründen der Verkehrssicherung die Pflicht, die streitgegenständliche Bushaltestelle an der Landstraße zu räumen und die Fläche zu streuen. Als Träger der Straßenbaulast am Unfallort trifft das beklagte Land nach 3 9a StrWG NRW die winterliche Räum- und Streupflicht. Aufgrund dieser Vorschrift hat das beklagte Land durch Bestreuen mit abstumpfenden Mitteln diejenigen Gefahren zu beseitigen, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt drohen (BGH Urt. v. 13.3.1969 – III ZR 101/68 -; OLG Karlsruhe Urt. v. 6.7.2000 – 19 U 170/99 – Rn. 5). Inhalt und Umfang dieser Pflichten richten sich dabei nach den konkreten Umständen des Einzelfalles (BGH Urt. v. 15.11.1984 – III ZR 97/83 – Rn. 16; OLG Hamm Urt.v. 12.8.2016 – I-11 U 121/15 – Rn. 5). Dabei gilt die obliegende Räum- und Streupflicht nicht uneingeschränkt, sondern steht sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht unter dem Vorbehalt des wirtschaftlich Zumutbaren, wobei es vor allem auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt (BGH Urt. v. 9.10.2003 – III ZR 8/03 – Rn. 8; OLG Köln Urt. v. 13.1.2011 – 7 U 132/10 Rn. 16; OLG Hamm Urt. v. 18.11.2016 – I-11 U 17/16 -Rn. 5).

Der Rechtsauffassung des beklagten Landes, eine Winterwartung an der streitgegenständlichen Bushaltestelle scheide infolge ihrer Lage außerhalb einer geschlossenen Ortschaft aus, schließt sich das erkennende Gericht nicht an. Nach § 9a StrWG NRW hat der Träger der Straßenbaulast die Verkehrssicherheit als Amtspflicht zu gewähren. Für eine Landstraße einschließlich der Ortsdurchfahrten nach § 5 StrWG NRW trifft das beklagte Land selbst die Verkehrssicherungspflicht. Zwar sind nach §§ 1 ff. Straßenreinigungsgesetz NRW für Gemeindestraßen und auch für Ortsdurchfahrten Übertragungen von Reinigungspflichten und Winterwartung möglich, aber nach Ansicht des erkennenden Gerichts ist dies bei Landstraßen außerhalb geschlossener Ortschaften nicht möglich. Insofern hatte das beklagte Land neben der Räumung der Landstraße auch die unmittelbar neben der Landstraße liegende Bushaltestelle zu räumen. Im Bereich von Bushaltestellen gehen Rechtsprechung und Schrifttum von einer gesteigerten Verkehrssicherungspflicht aus (vgl. OLG Schleswig-Holstein Urt. v. 14.5.2013 – 11 U 51/12 -; LG Bonn Urt. v. 21.4.2004; OLG Hamm Urt. v. 14.1.2005). Neben der ohnehin durch das beklagte Land zu räumenden Landstraße auch die unmittelbar daneben liegende Bushaltestelle ab zu streuen, ist kein unverhältnismäßiger Aufwand. Die Streupflicht an der streitgegenständlichen Bushaltestelle ergibt sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts aber daraus, dass diese Haltestelle unstreitig die einzige für den Ortsteil Woffelsbach ist. Immerhin leben in dem Ortsteil rund 500 Menschen. Zwar liegt die Bushaltestelle nicht im Ortsmittelpunkt, sondern an der Landstraße. Ihre erhebliche Verkehrsbedeutung ergibt sich aber daraus, dass gerade die im Winter besonders wichtigen öffentlichen Verkehrsmittel für die Ortsteilbewohner nur über diese Haltestelle erreicht werden können. Damit dient die streitgegenständliche Bushaltestelle der Erschließung des Ortsteils mit rund 500 Einwohnern, dann kann ihr eine Verkehrsbedeutung für diesen Ortsteil nicht abgesprochen werden. Da die Klägerin unstreitig an der nicht geräumten Bushaltestelle gestürzt ist, steht der Klägerin ein Schadensersatzanspruch zu. Die Kammer bewertet den Schmerzensgeldanspruch mit 1.000,-- €.. Sie erlitt laut Attest der Eifelklinik eine Schädelprellung sowie eine Handgelenkdistorsion. Hinsichtlich der Bemessung des Schmerzensgeldes richtet sich das erkennende Gericht an den Entscheidungen des AG Hamburg in ZfS 1991, 85 und AG Nörtlingen Urteil vom 9.11.1983. Der übrige materielle Schaden ist mit 62,65 €, wie mit der Klage geltend gemacht, auszugleichen.

Fazit und Praxishinweis: Obwohl es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt, bei der es um die Streupflicht an einer Bushaltestelle an einer Landstraße außerhalb geschlossener Ortschaften ging, so hat die Entscheidung gleichwohl allgemeine Bedeutung hinsichtlich der Verkehrssicherungspflicht an Bushaltestellen. Bei Landstraßen hat das entsprechende Land als Träger der Straßenbaulast die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich der Fahrbahn, aber auch bei an der Landstraße gelegenen Bushaltestellen, wenn über diese der Ortsteil erschlossen wird und sie daher eine Verkehrsbedeutung hat. Rechtsprechung und Schrifttum fordern für Bushaltestellen eine besondere Verkehrssicherungspflicht.
Quellen
    • Foto: Archiv Unfallzeitung