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AG Hattingen urteilt zum Wiederbeschaffungswert und zur Differenzbesteuerung bei Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs
AG Hattingen Urteil vom 25.3.2019 – 6 C 181/17

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Immer wieder streiten der Unfallgeschädigte und die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung nach einem Verkehrsunfall über die Höhe der eingetretenen Schäden. Besonders streitig sind dabei die Kosten der Ersatzbeschaffung im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens. Für die Berechnung des Schadens ist dabei von größter Wichtigkeit der Wiederbeschaffungswert, weil von diesem der Wiederbeschaffungsaufwand maßgeblich abhängt. Der Wiederbeschaffungsaufwand errechnet sich aus dem Wiederbeschaffungswert abzüglich dem zu erzielenden Restwert.
Die weitere Frage ist, ob der Wiederbeschaffungswert steuerneutral oder differenzbesteuert anzunehmen ist. Das hängt in der Regel davon ab, ob ein Fahrzeug überwiegend auf dem Privatmarkt angeboten wird oder nicht. Nimmt die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung einen niedrigen Wiederbeschaffungswert mit Differenzbesteuerung an und einen hohen Restwert , so ist ihre Schadensersatzleistung relativ gering. Der für den Geschädigten das Schadensgutachten erstellende Kfz-Sachverständige wird jedoch zur Feststellung der Daten Anfragen bei örtlichen Firmen halten bzw. Angebote von Privatpersonen untersuchen. Gleichwohl minimiert die einstandspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung ihre Schadensersatzleistung, so dass der Rechtsstreit quasi von der Kfz-Haftpflichtversicherung initiiert wird. So lag es auch in dem Fall, den das Amtsgericht Hattingen am 25.3.2019 zu entscheiden hatte.

Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall hatte der Unfallgeschädigte bei einem örtlichen Kfz-Sachverständigen ein Schadensgutachten in Auftrag gegeben. Der Privatgutachter kam zu einem wirtschaftlichen Totalschaden und ermittelte einen Wiederbeschaffungswert von 4.800,-- € und einen Restwert von 920,-- €. Die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung zahlte unter Hinweis auf eine Differenzbesteuerung einen um 117,07 € geringeren Betrag. Damit konnte und wollte sich der Geschädigte nicht abfinden und klagte vor dem örtlich zuständigen Amtsgericht Hattingen. Das erkennende Gericht gab dem Kläger Recht, nachdem es eine Beweisaufnahme durchgeführt und einen gerichtlich bestellten und öffentlich vereidigten Kfz-Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt hatte. Das Gericht hat sich den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen in vollem Umfang angeschlossen.

Die zulässige Klage ist begründet. Dem Kläger steht gegen den beklagten Kfz-Haftpflichtversicherer ein Anspruch auf Zahlung restlicher 117,07 € aus den §§ 115 VVG, 7, 17 StVG, 823 I BGB zu. Die Haftung dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig. Der Streit zwischen den Parteien betrifft die von der Beklagten ermittelte Differenzbesteuerung bei der Wiederbeschaffung des klägerischen Fahrzeugs sowie die Höhe des Wiederbeschaffungswertes an sich.

1. Zum Wiederbeschaffungswert :

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für das erkennende Gericht gem. § 286 ZPO zur Überzeugung fest, dass der Wiederbeschaffungswert für das Fahrzeug des Klägers in einer ex-post-Betrachtung unter Berücksichtigung beurteilungsrelevanter Parameter 4.800,-- € beträgt. Das ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen des Gutachters R.. Der vom Gericht bestellte Sachverständige ermittelte einen Wiederbeschaffungswert von 4.800,-- € netto steuerneutral. Hierzu führte der Sachverständige eine Recherche bei der Plattform mobile.de durch, die nach Eingrenzung der Fahrzeugsuche mit den im Gutachten des Privatsachverständigen aufgeführten Fahrzeugen dazu führte, dass noch 14 Händlerangebote und 18 Privatangebote bei der Suche ausgewiesen wurden. Der Sachverständige fasste zunächst alle Privatangebote oberhalb von 3.500,-- € zusammen, da lediglich diese Angebote mit den Parametern des klägerischen Fahrzeugs übereinstimmten. Die Addition zu en im Gutachten des Sachverständigen vom 18.10.2018 genannten Angeboten ergibt einen Betrag von 24.540,-- €, dividiert durch die Anzahl der Angebote ergibt einen Betrag von 4.090,-- €, den der Sachverständige multipliziert hat mit dem Faktor 1,15, so dass sich ein Betrag von 4.715,-- € ergibt, der unter anderem aufgrund der Kilometerleistung auf 4.800,-- € aufzurunden war. Die von dem Privatgutachter ebenfalls ausgewerteten Händlerangebote waren insoweit nicht mi den Fahrzeugdaten des klägerischen Fahrzeugs vergleichbar, da sich eine deutlich geringere Fahrleistung, nämlich durchschnittlich lediglich 73.111 km, während das klägerische Fahrzeug einen Kilometerstand von 99.481 im Unfallzeitpunkt aufwies. Den Einwendungen gegen die Feststellungen des Sachverständigen, die seitens der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung erhoben wurden, vermag das Gericht nicht zu folgen. Der vom Gericht bestellte Sachverständige hat verständlich dargestellt, warum er manche Angebote unberücksichtigt gelassen hat und dass er eine Unterscheidung in Privat- und Händlerangebote vorgenommen hat. Auch die Berechnungsweise ist verständlich dargestellt, was sich auch aus dem Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 17.1.2019 ergibt. Das Gericht schließt sich den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen an.

2. Zur Differenzbesteuerung

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für das erkennende Gericht auch gemäß § 286 ZPO zur Überzeugung fest, dass das Fahrzeug des Klägers überwiegend auf dem Privatmarkt angeboten wird, so dass eine Besteuerung nicht verifizierbar ist. Der vom Gericht bestellte Sachverständige stellte überzeugend fest, dass dem Klägerfahrzeug vergleichbare Fahrzeuge sowohl für den Bereich Nordrhein-Westfalen als auch für den bundesweiten Gesamtbereich unter Berücksichtigung des Alters und der Laufleistung zwischen 90.000 und 100.000 km überwiegend auf dem Privatmarkt angeboten werden, was sich im Übrigen auch mit den Erfahrungssätzen aus der Rechtsprechung deckt (siehe dazu LG Wiesbaden Urt. v. 9.12.2005 – 9 S 12/05 -). Auch in diesem Rechtsstreit stellt der vom Gericht bestellte Gutachter fest, dass vergleichbare Fahrzeuge überwiegend auf dem Privatmarkt angeboten werden. Daher ist eine Besteuerung nicht verifizierbar. Dabei hat der vom Gericht bestellte Gutachter eine Recherche anhand der Internetportale autoscout24.de, mobile.de sowie ebay.de durchgeführt und kam zu dem Ergebnis, dass das betreffende Fahrzeug überwiegend von Privatleuten angeboten wird, was dem Gericht vor dem Hintergrund der Laufleistung von knapp 100.000 km und des Altes des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Unfalls plausibel erscheint. Das Gericht schließt sich auch insoweit den Ausführungen des Sachverständigen an. Es ergibt sich somit ein Anspruch des Klägers gegen die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung auf Zahlung von 117,07 €, da von einem Wiederbeschaffungsaufwand von 3.880,-- €, der sich aus der Subtraktion des Wiederbeschaffungswertes von 4.800,-- € abzüglich Restwert von 920,-- € ergibt, auszugehen ist, worauf die Beklagte lediglich 3.762,93 € gezahlt hat.

Fazit und Praxishinweis: Mit Recht hat das erkennende Gericht die von der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung behaupteten Werte und die behauptete Differenzbesteuerung überprüfen lassen. Das Gericht hat zur Klärung dieser Fragen ein gerichtliches Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Da auch Kfz-Haftpflichtversicherungen gewinnorientierte Unternehmen sind, sind diese an einer möglichst geringen Schadensersatzleistung interessiert. Dabei spielt dann hin und wieder die bestehende Rechtslage keine Rolle mehr. Leider, muss man sage, denn auch Kfz-Haftpflichtversicherungen sind an Recht und Gesetz gebunden. Gerade bei älteren Fahrzeugen stellt sich die Frage nach der Höhe des Wiederbeschaffungswertes und des Restwertes, denn daraus errechnet sich der Wiederbeschaffungsaufwand . Auch gerade bei älteren Fahrzeugen, die bereits etliche Kilometer gelaufen sind, stellt sich bei der Wiederbeschaffung eines gleichwertigen Fahrzeugs die Frage der Besteuerung. Werden ältere Fahrzeuge mit viel Laufleistung beschädigt, sind Ersatzfahrzeuge meist nur von Privat zu erwerben. In diesem Fall fällt keine Steuer an.
Quellen
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