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Continental: Neue Technologie für Sicherheit, Effizienz und Fahrkomfort (1. Teil von 3)
Der Zulieferer will das Auto mit einer Technologieoffensive aus der Krise führen | Highlights aus den unterschiedlichen Bereichen zur IAA angekündigt

RobGal

Continental will die Krise des Automobils mit einer Technologieoffensive beantworten. Bei der in Frankfurt ausgerichteten Internationalen Automobilausstellung (IAA) im September, der größten ihrer Art, will der Zulieferer mit Sitz in Hannover zeigen, was in der näheren und weiteren Zukunft technisch möglich ist. Der Vorstandsvorsitzende, Elmar Degenhardt, hat als Leitlinie ausgegeben: „Null Unfälle, null Emissionen, null Stress.“
Neue Technologien, davon ist er überzeugt, müssten „ökoeffizient“ und „gesellschaftlich akzeptiert“ sein: „So schützen wir nicht nur das ökologische Klima, sondern auch das ökonomische und das soziale“, sagte Degenhardt, sichtlich beeindruckt von den jüngsten Klimaprotesten, beim Technologie-Tag des Konzerns vor Journalisten Anfang Juli.

Die Digitalisierung schafft die technischen Voraussetzungen beispielsweise für eine vorausschauende Stabilitätskontrolle, bei Continental „ESC“ genannt. Die Idee: Kameras und andere Sensoren eines Autos registrieren etwa bei einer Landstraßenfahrt Regenwasser und eine rutschige Kurve. Diese Informationen werden in eine Datenwolke gesendet, wo sie mittels künstlicher Intelligenz zusammen mit Wetter- und Straßenzustandsdaten ausgewertet und den nachfolgenden Fahrzeugen zur Verfügung gestellt werden. Deren Systeme sind also durch das „eHorizon“ genannten System gewarnt. Unterschätzt nun ein Fahrer die glitschige Kurve und geht sie zu schnell an, sorgt das vorausschauende ESC im Auto durch gezielte Bremseingriffe dafür, dass der Wagen in der Spur bleibt und nicht ausbricht. Selbst aus 70 km/h erfolgt die automatische Verzögerung für die Insassen sehr komfortabel, wie der kb bei ersten Tests erfahren konnte.

eHorizon ist ein Beispiel für die vielbeschworene Vernetzung der Fahrzeuge untereinander und könnte auch zur Bestimmung eines Stauendes oder zur situationsgerechten Auslegung des Notbremsassistenten genutzt werden.

Rechtsabbiegeunfälle in der Stadt sind ein Alptraum, die Folgen vor allem für ungeschützte Verkehrsteilnehmer oft fatal. Bislang sind präventive Abbiegeassistenten nur für Lastwagen in der Diskussion. Das technische Problem: Ein Pkw ist kleiner und mit höherem Tempo unterwegs, daher muss sein Abbiegeassistent noch präziser und schneller sein, wenn sich ein Radfahrer mit geringem Abstand im toten Winkel zügig nähert. Ein von Continental entwickelter Nahbereichsradar macht ein solches System nun realisierbar. Er arbeitet mit 77 statt mit bislang 24 Gigahertz. Dadurch ist die Auflösung höher, die Trennschärfe der erfassten Personen und Objekte besser. Vier solcher Sensoren am Auto ermöglichen laut Continental eine 360-Grad-Rundumsicht. Ein darauf basierender Prototyp eines Pkw-Abbiegeassistenten funktioniert bereits so gut, dass sich mit ihm befasste Techniker für Abbiegetests als „lebende Dummys“ auf einem Fahrrad zur Verfügung stellen.

Mit dem neuen Radar ließe sich ebenso ein Schutzsystem gegen das verfrühte Öffnen von Autotüren bei sich von hinten nähernden Fahrzeugen entwickeln oder ein Ausweichassistent, der das Auto zum Schutz vor einer drohenden Kollision in einen als sicher erkannten Bereich lenkt.

Aus der Vogelperspektive

So nützlich Radar, Kamera und Co. am Auto sein mögen, es gibt Situationen, da versagen auch sie, denn um die Ecke oder durch Hindernisse hindurch vermögen sie nicht zu schauen. Daher setzen Continental-Entwickler ihre Technologie auch an Verkehrsampeln oder Straßenlaternen ein. Von dort beobachten die Sensoren den Verkehr aus der Vogelperspektive und senden Warnungen vor verdeckten Verkehrsteilnehmern an die Autosysteme wie vor schlecht einsehbaren Stauenden oder Unfallstellen.

Auf diese Weise könnte auch der Verkehr gesteuert werden, etwa bei hohem Aufkommen oder starker Luftverschmutzung. Zudem ließen sich Empfehlungen zur grünen Welle aussenden, oder die Straßenbeleuchtung würde stromsparend gesteuert. Auch die Parkraumbewirtschaftung ließe sich so organisieren. Die gesammelten Daten sollen direkt nach der Erhebung anonymisiert verarbeitet und sofort gelöscht werden, wie Continental-Ingenieure gegenüber dem kraftfahrt-berichter versicherten. Testprojekte mit „intelligenten“ Kreuzungen und Straßenlaternen laufen bereits in China und den USA.

Überwachung funktioniert auch im Innenraum, damit zum Beispiel ein automatisiertes Fahrzeug dem Fahrer zum richtigen Zeitpunkt das Steuer zurückgibt. Eine von Continental entwickelte Infrarotkamera beobachtet den Fahrer, „ob er aufmerksam oder abgelenkt ist, ob er die Hände am Lenkrad hat oder hinter dem Kopf verschränkt“. Auf diese Weise ließen sich auch die Sicherheitsgurte und Airbags im entscheidenden Moment optimieren, indem sie exakter auf die Sitzposition der Insassen abgestimmt werden.

Für welche konkreten Systeme die neuen Technologien schlussendlich eingesetzt werden und welcher Art die Assistenten sind, die Eingang in die Autowelt finden, wird maßgeblich von der gesellschaftlichen Akzeptanz sowie dem Bedarf und den finanziellen Möglichkeiten der Verbraucher abhängen. Darüber hinaus wird ein gesellschaftlicher Trend zur Kooperation allein durch die technologische Entwicklung immer deutlicher: „Die Systeme sind einzeln nicht mehr verstehbar oder entwickelbar“, stellte Continentals Technikchef Dirk Abendroth fest. Die fachliche Zusammenarbeit wird zum Erfordernis, und zwar umfassend: konzern-, branchen- und länderübergreifend. Auch aus diesem Grund muss die Gesellschaft bei der Ausgestaltung des tiefgreifenden Wandels einbezogen werden.
Man darf auf die IAA 2021, wenn die ersten Systeme der Zukunft serienreif sein werden, gespannt sein.

(Der zweite Teil wird sich damit beschäftigen, wie auch kleine Autos zu einem Vollhybrid werden können und wie man sieht, um gesehen zu werden.)
Quellen
    • Foto: Continental | Text: Kristian Glaser (kb)