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Wer sich die diesjährige IAA angeschaut hat, den beschleicht vielleicht der Eindruck, dass mancher Hersteller buchstäblich in letzter Minute vor dem Messestart sein Ausstellungskonzept änderte: Die vielen SUV wurden in den Hintergrund gerückt, dafür die Elektro- und Wasserstoffmodelle mehr ins Scheinwerferlicht geschoben. Auffällig sind auch die vielen Studien und neuen Modelle im Premium- und Sportwagenbereich, die geradezu martialisch designt sind: mal mit einem brutal großen Kühlergrill der Marke „Platz da!“, mal mit unheimlich anmutenden Ecken und Kanten wie bei einem Militärfährzeug.
Der Verkehrsunfall von Berlin mit vier Toten kurz vor Beginn der IAA ist zum Menetekel geworden. Es ist kein Zufall, dass er durch ein SUV verursacht wurde. Denn eine Kollision mit einem schwereren, leistungsstärkeren und gefährlich hoch konstruierten Auto (man beachte die Höhe der Stoßfänger) führt nun einmal zu schwereren Verletzungen. Von der Versuchung des über allen anderen Verkehrsteilnehmern thronenden Fahrers ganz zu schweigen, seine PS auch zu nutzen.

Ein Verbot ist dennoch keine Lösung, denn das Problem liegt viel tiefer. Es stimmt auch nicht, dass der Fuß- und Radverkehr der menschen- und umweltgerechteste ist. Denn es kann sehr gute Gründe geben, schnell zum Ziel gelangen zu wollen, und dafür ist das Auto oft das Mittel der Wahl. Die Befürworter eines SUV-Verbotes übersehen, dass der Wunsch, sicher durch den schwierigen Verkehr zu gelangen, genauso legitim ist, wie es für viele Zeitgenossen eine Erleichterung ist, ohne schmerzhafte Verrenkung in ein Gefährt einzusteigen. Die Alternative zu den problematischen SUV ist nicht kein SUV, sondern: andere Autos und ein besseres Verkehrssystem.

Automobilverkehr und -wirtschaft befinden sich in der größten Krise ihres Bestehens. Krise heißt Entscheidung, also gibt es Hoffnung, dass man in der Sackgasse zur Einsicht kommt und die Richtung ändert. Worin besteht aber die Sackgasse, worin die Krise? Die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft haben in den letzten Jahrzehnten das Nachdenken über den Sinn und Nutzen des Autos vernachlässigt. Der Schwerpunkt lag zu lange darauf, wie man mehr und noch mehr Autos verkauft bekommt als der Wettbewerb oder andere Standorte. Die Politik verlor das Allgemeinwohl aus den Augen, die Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung.

In dieses Korsett wurde und wird manch technologische Entwicklung gezwängt und bis zur Unkenntlichkeit aufgeplustert oder sogar deformiert, nur damit der Käufer den Neid anderer kann. Was aber allzuoft nur Enttäuschung und Ärger über die dann doch unpraktische oder unausgereifte Technik hervorruft.

So sind den Verantwortlichen der Kompass und der Sinn verlorengegangen. Daher rühren Abgasmanipulationen und Kartellabsprachen, entstehen Verkehrskollaps in den Städten und abgehängte Regionen auf dem Land. Daher wurden Schädigungen an Gesundheit und Umwelt in Kauf genommen und die selbstgesteckten Ziele einer „Vision Zero“, der Halbierung der Zahl an Unfalltoten, immer wieder gerissen, obwohl jeder tödlich Verletzte wirklich einer zuviel ist.

Nach dem Unfall von Berlin musste ein Autohersteller seine SUV-Werbekampagne mit dem Slogan „Sie jagen gern Abenteuer in der Großstadt?“ einstellen. Das ist gut, denn der Verkehr ist nicht zum Austoben von Allmachtsphantasien da. Die Verkehrsteilnehmer sind Partner und sollten sich nicht als Gegner begegnen (was den Verkehr vor allem sicherer und stressfreier macht, aber auch flüssiger und schneller).

Miteinander statt gegeneinander
Es muss überhaupt darum gehen, dass der Verkehr als das verstanden, genutzt und weiterentwickelt wird, was er ist: ein gesellschaftlich organisiertes System, um den menschlichen Bedarf an Mobilität und Transport zu befriedigen, und zwar – wir leben im 21. Jahrhundert – für alle Menschen und erschwinglich, zudem sicher für Leib und Leben, umweltgerecht und komfortabel. Das sind die Herausforderungen, welche die Zeit stellt, an der zu arbeiten aller Ehren und Mühen wert ist und für welche die Politik die Rahmenbedingungen zu schaffen hat.

Mit jedem Stau, mit jedem Unfall wächst die Notwendigkeit eines grundlegend anderen, besseren Verkehrssystems. Deshalb ist das Auto in der Krise. Es wird auch künftig seinen – wahrscheinlich dann geänderten – Platz in einem integrierten, kooperativen Verkehrssystem haben, in dem Zug, Auto, Schiff, Flugzeug und nicht zuletzt Fahrrad und Fußverkehr ihren Vorteil entfalten und durch ineinandergreifende Verknüpfung sogar potenzieren können.

Das ist durch die technologische Entwicklung selbst längst zum Erfordernis geworden. Arbeiten doch weit über die Grenzen der Automobilwirtschaft hinaus Legionen von Forschern, Entwicklern und Ingenieuren am automatisierten Auto, an der Vernetzung der Verkehrsmittel und an umweltgerechten Antriebssystemen. Warum tun sie es nicht zusammen statt gegeneinander?

Dass angesichts anstehender milliardenschwerer Investitionen in sogenannte Zukunftstechnologien einst verfeindete Weltkonzerne zur Kooperation geradezu gezwungen werden, zeigt nur, dass die Zusammenarbeit über alle Konzern-, Branchen- und Ländergrenzen hinweg zu einem Muss geworden ist, Voraussetzung für den Weg aus der Sackgasse.
Quellen
    • Foto: © Romolo Tavani - Fotolia.com | Text: Kristian Glaser (kb)