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AG Siegen lehnt Anwendung des JVEG auf Privatgutachter ab
AG Siegen Urteil vom 27.10.2015 – 14 C 821/15 –

RFWW

Der Pkw Citroen des Geschädigten wurde durch einen bei der späteren beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung versicherten Pkw bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Der geschädigte Eigentümer des Pkw Citroen beauftragte einen Kfz-Sachverständigen mit der Erstellung des Schadensgutachtens.
Der Kfz-Sachverständige berechnete hierfür 712,81 €. Die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung kürzte die Sachverständigenkosten im 44,79 € und meinte, der Sachverständige müsse die geringeren Werte des JVEG bei den Nebenkosten zugrunde legen. Da die restlichen Sachverständigenkosten erfüllungshalber an den Sachverständigen abgetreten waren, klagte dieser den Differenzbetrag bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht Siegen ein. Die Klage war vollumfänglich erfolgreich.

Die Klage ist zulässig und begründet. Die erfüllungshalber erfolgte Abtretung begegnet keinen Bedenken. Die Abtretung ist zulässig. Dem Geschädigten stand auch der Schadensersatzanspruch auf Erstattung der vollen Gutachterkosten zu. Dem Geschädigten stand gegen den Beklagten unstreitig dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch zu, denn bei dem Betrieb des beim Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs ist der im Eigentum des Zedenten stehende PKW Citroen beschädigt worden. Dieser Schadensersatzanspruch umfasst auch die Kosten für die Einholung eines Sachverständigengutachtens, denn diese Kosten gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (BGH NJW 2007, 1450 ff = DS 2007, 144 m. zust. Anm. Wortmann). Dies wird dem Grunde nach von dem Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen, streitig ist allein, ob die Sachverständigenkosten in voller Höhe ersatzfähig sind.

Als erforderlich- und damit als ersatzfähig-sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde (vgl. BGH NJW 2014, 1947 f = DS 2014, 90). Es kommt mithin für die Höhe des Schadens nicht auf den tatsächlichen Aufwand an, der sich im Nachhinein als erforderlich herausstellt. Entscheidend ist vielmehr, welcher Aufwand zur Schadensbeseitigung erforderlich ist, wobei der tatsächliche Aufwand (ex post gesehen) bei der Schadensschätzung nach § 287 BGB oft einen Anhalt zur Bestimmung des zur Herstellung "erforderlichen" (ex ante zu bemessenden) Betrages im Sinne von §249 Abs. 2 Satz 1 BGB darstellt (BGH aaO.).

Bei der Prüfung, ob der Geschädigte den Aufwand zur Schadensbeseitigung in vernünftigen Grenzen gehalten hat, ist auf eine subjektbezogene Schadensbetrachtung abzustellen, somit Rücksicht zu nehmen auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten (vgl. AG Siegen, Urt. v. 10.06.2015 -14 C 1219/15-). Danach sind Gutachterkosten nur dann nicht ersatzfähig, wenn der Geschädigte bei der Auswahl des Sachverständigen schuldhaft seiner Schadensminderungspflicht nach § 254 II BGB nicht nachgekommen wäre. Anhaltspunkte für ein Auswahlverschulden sind weder von dem Beklagten dargelegt noch ersichtlich. Insbesondere traf den Geschädigten keine Obliegenheit zur Erkundigung oder Nachforschung bezüglich der Sachverständigenkosten. Dies folgt auch nicht aus der von der Beklagtenseite heran gezogene Entscheidung des BGH in NJW 2007, 1450.

Der Geschädigte kann grundsätzlich von der Erforderlichkeit der anfallenden Sachverständigenkosten ausgehen. Anders als etwa im Mietwagengeschäft fehlt es hier an allgemein zugänglichen und gültigen Preislisten. Es bestand insbesondere auch keine Verpflichtung des Zedenten, sich bei anderen Gutachtern oder auch bei der DEKRA oder dem TÜV nach deren Preisvorstellungen zu erkundigen. Ein Geschädigter ist auch nicht gehalten, die Berechtigung der Ansprüche des Sachverständigen der Höhe nach von einem weiteren Sachverständigen überprüfen zu lassen, was weitere Kosten auslösen würde. Ein solches überobligationsmäßiges Verhalten kann vom Geschädigten nicht verlangt werden, wäre aber die Folge, wenn man ihn hierzu verpflichten würde (vgl. AG Siegen, Urt. v. 10.06.2015 -14 C 1219/15-; AG Siegen, Urt. v. 19.08.2015 -14 C 1270/15-).

Nur wenn für den Geschädigten als Laien erkennbar ist, dass der Sachverständige sein Honorar ohne jedwede Berechnung festsetzt und das Preis-Leistungs-Verhältnis ein auffälliges Missverhältnis aufweist, kann der Geschädigte nicht mehr den vollständigen Ausgleich gezahlter Aufwendungen verlangen. Solange einem Geschädigten aber-wie hier, wo bei einem Rechnungsbetrag von 757,60 EUR lediglich 44,79 EUR im Streit stehen – nicht vorgeworfen werden kann, dass er ganz konkrete und für ihn sichtbare Anhaltspunkte ignoriert und das Gutachten oder die Rechnung nicht zurückgewiesen hat, kommt ein Verschulden gegen sich selbst nicht in Betracht (vgl. AG Siegen, U. v. 19.08.2015 -14 C 1270/15-).

Soweit die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung sich darauf beruft, dass die geltend gemachten Nebenkosten, insbesondere die Fahrtkosten, überhöht seien, weil das JVEG niedrigere Beträge ausweist, so kann sie mit diesem Einwand nicht gehört werden. Sie ist darauf hinzuweisen, dass die nach dem JVEG ersetzten Kosten schon nicht den tatsächlich angefallenen Kosten entsprechen. Zudem ist die Anwendbarkeit des JVEG auf die in § 1 JVEG genannten Verfahren beschränkt. Einer analogen Anwendung des JVEG auf Privatgutachter steht schon die mangelnde Vergleichbarkeit aufgrund beispielsweiser unterschiedlicher Haftungsmaßstäbe gerichtlicher Gutachter und Privatgutachter entgegen, (vgl. BGH NJW 2007, 1947 = DS 2007, 144 m. Anm. Wortmann;AG Kassel, Urt. v. 20.10.2014, SP 2015, 97 f).

Fazit und Praxishinweis: Streit bestand in diesem Rechtsstreit insbesondere darin, ob das JVEG auf die Nebenkostenabrechnung des Privatgutachters anwendbar ist oder nicht. Zutreffend hat das erkennende Gericht darauf hingewiesen, dass die Normen des JVEG nach § 1 des JVEG nur auf gerichtlich bestellte Sachverständige anwendbar sind. Auch eine entsprechende Anwendung ist nicht möglich, da die Haftungsmaßstäbe völlig unterschiedlich sind (vgl. BGH DS 2007, 144 m. Anm. Wortmann). Daher ist eine entsprechende Anwendung der Grundsätze des JVEG auf Privatgutachter nicht angebracht.
Quellen
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