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Amtsgericht Kaufbeuren urteilt zum Bagatellschaden
AG Kaufbeuren Urteil vom 5.10.2015 – 6 C 926/15 –

RFWW

Nach einem für ihn unverschuldeten Verkehrsunfall beauftragte der Geschädigte einen anerkannten Kfz-Sachverständigen mit der Erstellung des Schadensgutachtens. Für die Erstellung des Gutachtens berechnete der Kfz-Sachverständige 457,91 €. Da die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung diesen Betrag nicht erstatten wollte, trat der Geschädigte seinen Schadensersatzanspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten an den Gutachter ab. Dieser verklagte den Unfallverursacher persönlich zur Zahlung des berechneten Betrages. Die Klage aus abgetretenem Recht hatte vor dem örtlich zuständigen Amtsgericht Kaufbeuren in vollem Umfang Erfolg.
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet. Der klagende Kfz-Sachverständige Kläger hat gemäß §§ 398, 249 ff. BGB, 17 I und II, 7 I StVG aus abgetretenen Recht Anspruch auf Ersatz der berechneten Sachverständigenkosten. Die volle Haftung für das streitgegenständliche Unfallereignis dem Grunde nach ist unstreitig. Streitig ist lediglich, ob die Hinzuziehung eines Sachverständigen zur Schadensermittlung erforderlich war. Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den gemäß § 249 I BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches erforderlich und zweckmäßig ist. Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen. Dabei ist ausschließlich darauf abzustellen, ob die durch die Begutachtung ermittelte Schadenshöhe einen bestimmten Betrag überschreitet oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkoste steht, denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters ist dem Geschädigten diese Höhe gerade nicht bekannt.

Allerdings kann der später ermittelte Schadensumfang im Rahmen tatrichterlicher Würdigung nach § 287 ZPO ein Gesichtspunkt für die Beurteilung sein, ob eine Begutachtung tatsächlich erforderlich war oder ob nicht möglicherweise andere, kostengünstigere Schätzungen, wie beispielsweise ein Kostenvoranschlag eines Reparaturbetriebes ausgereicht hätten (BGH, NJW 2005, 365 ff). Die Wertgrenze, unterhalb derer grundsätzlich die Annahme eines Bagatellschadens in Betracht kommen kann, liegt bei etwa 700,-- €. Vorliegend liegt der tatsächlich ermittelte Schaden zwar geringfügig unterhalb dieser Grenze. Allerdings handelte es sich um relativ massive Einbeulungen im Heckbereich, so dass für einen Laien gerade nicht erkennbar war, ob und wo ggfs. Folgeschäden in anderen Bereichen des Anhängers vorhanden sein könnten. Derartige Folgeschäden sind nämlich für einen Laien nicht ohne weiteres erkennbar.

Gerade bei einem relativ massiven Anstoß kann jedoch die Möglichkeit von Folgeschäden gerade im Voraus nicht verneint werden. Dass für einen Laien der Schadensumfang gerade nicht im Voraus ersichtlich war, ergibt sich daraus, dass selbst der Sachverständige nach der Begutachtung etwaige Schadenserweiterungen nicht ausschließen konnte, die sich ggfs. im Rahmen einer Vermessung des Fahrzeugs zeigen könnten. So stellt der Sachverständige fest, dass möglicherweise der Heckbereich verzogen sein könne und ein Schaden an der Anhängervorrichtung und der Auflaufbremseinheit nicht ausgeschlossen werden könne. Keine Rolle spielt auch der Umstand, dass der Sachverständige vorliegend aus abgetretenem Recht vorgeht. Ein dolo-agit-Einwand kann ihm nicht entgegen gehalten werden

Die tatsächliche Höhe der Reparaturkosten ergibt sich gerade erst durch die Begutachtung. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass der Sachverständige bereits vor der Begutachtung wusste, wie hoch die Reparaturkosten sein würden. Der tatsächlich ermittelte Schadensumfang liegt auch nicht so deutlich im Bagatellbereich, dass davon auszugehen ist, dass es bereits vor der Begutachtung für den Sachverständigen klar auf der Hand lag, dass es sich im Endeffekt um einen Bagatellschaden handeln würde.

Fazit und Praxishinweis: Bei der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 BGB kommt es grundsätzlich auf die Sicht des Geschädigten im Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen an. Der Geschädigte als technischer Laie kann kaum selbst einschätzen, welchen Umfang der eingetretene Schaden hat und welche Kosten seine Behebung verursachen werden. Deshalb beauftragt er einen Fachmann, der den Umfang des Schadens und die voraussichtlichen Kosten der Schadensbehebung angeben kann. Daher sind die Kosten eines Kfz-Sachverständigen grundsätzlich als erforderlicher Wiedererstellungsaufwand zu ersetzen.

Nur dann, wenn offensichtlich der Wiederherstellungsaufwand unter 715,-- € liegt, kann der Geschädigte nicht mehr die Kosten des Gutachtens erstattet verlangen. Wie dieses Urteil jedoch zeigt, ist die sogenannte Bagatellschadensgrenze, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei etwa 715,-- € liegt, fließend. Auch bei voraussichtlichen Wiederherstellungskosten von knapp unter 700,-- € sind die Gutachterkosten noch erforderlicher Wiederherstellungsaufwand. Vgl. auch die Ausführungen im FAQ der Unfallzeitung unter Bagatellschaden .
Quellen
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