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Der Nutzfahrzeugsektor wird die Klimaschutzziele der Bundesregierung bis zum Jahr 2040 nicht erreichen. Das prognostizieren die Mineralölfirma Shell und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in der gemeinsam erstellten "Nutzfahrzeugstudie 2016". Demnach wird erwartet, dass die Menge der transportierten Güter bis 2040 von 4,1 Milliarden auf 4,6 Milliarden deutlich ansteigt. Den mit Abstand größten Teil wird wie schon heute der Lkw bewältigen; schätzungsweise wird sein Anteil dann 69 Prozent betragen.
Die Klimaschutzziele fordern eine sektorenübergreifende Reduzierung der direkten Treibhausgasemissionen um 70 Prozent zwischen 1990 und 2040. Weil alternative Antriebe bei den Schwer-Lkw "momentan noch nicht in Sicht" seien, sehen die Forscher schwarz. Die Batterien für den Elektroantrieb seien zu schwer und zu groß und daher eher für leichte Lkw und Busse geeignet. Für verflüssigtes Erdgas (LNG) fehlt es an Infrastruktur, beim komprimierten Erdgas (CNG) reicht das Volumen der Tanks für die erforderliche Reichweite nicht, und der Brennstoffzellenantrieb steckt noch tief in den Kinderschuhen.

Die Nutzfahrzeughersteller mögen sich dieser pessimistischen Sicht nicht anschließen. Wolfgang Bernhard, Chef der Nutzfahrzeugsparte von Daimler, betonte bei einer Veranstaltung des Verbandes der Automobilindustrie Ende Juni vor Journalisten, dass die Batterietechnik "große Fortschritte" mache. Gesunkene Kosten und erhöhte Reichweiten machten es möglich, den Elektroantrieb zwar nicht im Fern-, "in einigen Jahren" aber im Verteilerverkehr einzusetzen, sagte Bernhard. Das könnte im Zusammenhang mit immer intensiver geführten Diskussionen rund um ein Dieselverbot in Innenstädten noch interessant werden.

Das größte Entwicklungspotential sieht der Daimler-Lkw-Chef aber im autonomen Fahren und in der digitalen Vernetzung. Diese Technologie sei "für unsere Branche prädestiniert", sagte Bernhard. Die Zahl der Unfälle und der Verbrauch würden zum Beispiel durch Platooning (Kolonnenfahrt) reduziert, und der Gütertransport würde effektiver. "Wenn wir den Lkw in die Cloud bringen", fuhr Bernhard fort, "kann er Informationen in Echtzeit austauschen, und zwar mit allen, die am Transport beteiligt sind". Gemeint sind Speditionen, Frachtterminals, die Infrastruktur, andere Fahrzeuge, Hersteller und Werkstätten. "Das Ausmaß dieses Mehrwerts können wir heute noch gar nicht abschätzen", zeigte sich Bernhard euphorisch. Der vernetzte Lkw könne viele Probleme lösen, "die heute zum Alltag eines Spediteurs oder Fahrers gehören", zum Beispiel lange Wartezeiten beim Be- und Entladen, Leerfahrten und Staus. Um die CO2-Ziele der Europäischen Union zu erreichen, fordert Bernhard, "alle Hebel, die uns zur Verfügung stehen", zu betätigen: "Zugmaschine, Auflieger, Reifen, Kraftstoff, Betrieb, Infrastruktur, Flottenerneuerung und nicht zuletzt der Fahrer".

"Wir sprechen hier von einer Revolution", betonte in seinem Vortrag Andreas Renschler, vormaliger Daimler-Manager und jetziger Vorsitzender der eigenständigen Nutzfahrzeugsparte von Volkswagen mit den Marken Scania, MAN und VW Nutzfahrzeuge. Der Lkw des Jahres 2040 wird nach Ansicht von Renschler anders aussehen als der heutige: "vollkommen vernetzt, deutlich effizienter und vor allem effektiver", im wesentlich ermöglicht durch Digitalisierung. Das werde "Akzeptanzhürden", die der Lkw in der Öffentlichkeit habe, ebenso beenden wie Ineffizienzen und Belastungen von Umwelt und Infrastruktur. Mit fahrerlosen Fahrzeugen, "die sich in vernetzten, intermodalen Transportsystemen bewegen, in denen Verkehrsflüsse durch künstliche Intelligenz optimiert werden", sei nicht mehr denkbar, dass wie heute noch "Luft" in Höhe von zweistelligen Milliardenbeträgen herumkutschiert werde. Auch Staus, Lärm und Feinstaub würden gesenkt werden.

Vision und Realität

Die Nutzfahrzeugbranche nimmt nach Renschlers Auffassung eine "führende Rolle" bei der Digitalisierung und Gestaltung intelligenter Mobilität ein, beispielsweise werden in Minen und im Bergbau bereits jetzt vollautomatisierte Fahrzeuge eingesetzt, die teils doppelt so viel bewältigen wie Fahrzeuge mit Menschen am Steuer. Durch die Vernetzung der Fahrzeuge untereinander oder mit der Infrastruktur könne die "Reduzierung von Lieferausfällen, Leerfahrten oder Wartezeiten" Renschler zufolge ebenso erreicht werden wie "schnellere, präzisere und individualisierte Lieferungen durch optimale Nutzung von Ladeflächen" und Automatisierung der "letzten Meile" bis zur Zustellung. "Der klassische Lkw", meint das Mitglied im VW-Konzernvorstand, "wird langfristig durch intelligente, fahrerlose Transportsysteme ersetzt". Die Fahrzeugbauer würden die "Hardware-Fokussierung" verlassen und "weit mehr sein als nur ‚Hersteller’", nämlich "saubere und intelligente Transportlösungen anbieten". So umreißt Renschler seine Vision.

Die wohl realistischste und gleichzeitig verstörendste Vorausschau wurde nicht mündlich vorgetragen, befand sich aber im verteilten Redemanuskript von Andreas Renschler. Dort hieß es: "Bei immer komplexeren Rahmenbedingungen greift manche ‚schnelle Lösung’ schlicht gefährlich zu kurz." Nur wenige Tage später erreichte die Öffentlichkeit die Nachricht vom ersten tödlichen Unfall eines autonom fahrenden Autos.
Quellen
    • Text: Kristian Glaser (Kb)
    • Foto: kalafoto - Fotolia.com