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Offen- oder Defensive der Wolfsburger?
Hegemoniekampf zwischen Silicon Valley und den traditionellen Autoherstellern um das Fahrzeug der Zukunft

RobGal

Als Lehre aus dem Abgasskandal orientiert sich Volkswagen neu. Es wird nichts weniger als die dritte Epoche des Wolfsburger Autokonzerns eingeleitet. Für die erste stand symbolhaft der Käfer, für die zweite der Golf, die dritte wird durch ein Elektroauto repräsentiert werden.
Immerhin denkt VW-Chef Matthias Müller bereits laut über das Ende des Dieselmotors nach, weil es zu teuer ist, die strenger werdenden Grenzwerte für Selbstzünder zu erfüllen, auch, weil der Imageschaden durch den Abgasskandal sehr hoch ist.

Die Neuausrichtung ist gleichbedeutend mit einem Umbruch in der Automobilindustrie, denn mit dem Einzug der Elektromobilität wird nicht einfach nur ein Antriebsstrang gegen den anderen ausgetauscht. In der Elektromobilität kulminieren vielmehr die Anforderungen an den Klima- und Umweltschutz, an den sicheren Straßenverkehr ("Vision Zero") und an komfortable, schnelle und einfach zu bedienende Mobilität in einem integrierten und aufeinander abgestimmten Verkehrssystem vom Fahrrad bis zum Flugzeug, Stichwort: benutzen statt besitzen.

Müller geht davon aus, dass im Jahr 2025 jeder fünfte bis vierte vom VW-Konzern verkaufte Wagen elektrifiziert sein wird. Bis 2020 wollen VW, Audi, Škoda, Porsche und Co. zwanzig neue Elektroautos auf den Markt bringen. Der seit 2014 erhältliche E-Golf wird noch im Laufe dieses Jahres über eine langstreckentaugliche Reichweite von 300 Kilometern verfügen, verkündete VW. Als nächstes stehen zwei Plug-in-Hybride für China an. Für seine langfristige E-Strategie tüftelt VW an einem modularen Elektrifizierungsbaukasten (MEB) für eine eigenständige"E-Mobilität"-Baureihe.

Volkmar Tanneberger, Leiter von VWs Elektrik- und Elektronikentwicklung, geht davon aus, dass Digitalisierung, Elektrifizierung und damit verbundene Dienste an Bedeutung zunehmen werden, gedacht wird an einen Stauassistenten, Stop-and-Go-Funktion bis zu 210 km/h oder an einen Parkassistenten auch für Anhänger. Tanneberger nennt auch das Internet im Auto und die Fernsteuerung einzelner Funktion wie die Klimaanlage oder die Abfrage des Batteriestandes. Wenn Tanneberger von den Wettbewerbern spricht, gewinnt man einen Eindruck, unter welchem Druck VW steht. Gemeint sind nicht Daimler, Toyota und Co., sondern Silicon Valley. Die Apple und Google wollen aus dem Auto ein rollendes Smartphone machen und ihre IT-Führerschaft für die Errichtung einer Dominanz gegenüber den "Hardware" Herstellern im Auto ausnutzen, wie es ihnen mit den Betriebssystemen gegenüber den Smartphonefabrikanten bereits gelungen zu sein scheint. Hinzu kommen neue Geschäftsmodelle wie Carsharing oder Fahrdienste sowie "neue Kundenbedürfnisse", wie Tanneberger die scheinbar allgegenwärtige Präsenz von digitaler Werbung, Kaufangeboten und Konsumanreizen nennt. Kurzum: Es tobt ein veritabler Hegemoniekampf um das Auto. Wird es ein rollendes Smartphone oder bleibt es ein Fortbewegungsmittel?

Man weiß nicht, ob VW sich in der Offensive oder in der Defensive befindet, wenn der Konzern in Anlehnung an Apple sein eigenes "Ökosystem" aufbaut. Der Grundgedanke ist, dass das Auto nicht als abgeschlossenes Produkt gekauft wird, vielmehr soll das Geschäft über den gesamten Lebenszyklus gehen, wie Tanneberger vor Journalisten erklärte: Der VW-Kunde erhält einen Benutzernamen, der für alle Konzernmarken gilt, und kann sich damit bei der Service-Infrastruktur anmelden, um beispielsweise Multimedia- oder Infotainmentangebote abzurufen, Mobilitätsdienstleistungen zu bestellen oder bestimmte Fahrzeugfunktionen einzurichten. Eines Tages soll man etwa eine Verkehrszeichenerkennung fürs Auto gerade nur für den Urlaub ordern können. Sie würde drahtlos per Software-Aktualisierung ins Auto geladen und nach der Nutzungsdauer wieder entfernt. Der Eintritt in dieses Ökosystem soll für den Kunden möglichst einfach sein, schließlich will man darüber dauerhaft Geld verdienen. Umso schwerer soll dem Kunden der Ausstieg gemacht werden. So, wie bei Apple. Deren Nutzer haben teils hohe Summen etwa für Musiktitel ausgegeben. Würden sie Apple verlassen, beispielsweise weil ein Wettbewerber ein besseres Handy anbietet, wären die Musikstücke für den Kunden futsch, weil sie nicht übertragbar sind.

Datenschutz und -sicherheit?

Denkbar wäre auch die Einbindung anderer Dienstleister. "Dann muss man nicht mehr umständlich den nächsten Pizzalieferservice suchen, sondern bestellt nur noch per Knopfdruck seine Lieblingspizza", schwärmt Tanneberger. Die Bezahlung erfolgt automatisch, denn im Ökosystem hat man seine Bezahldaten hinterlegt.

Ähnlich ist die Idee des "fliegenden Services": Der Fahrer wird vom Auto an die anstehende Wartung erinnert. Er gibt die Daten ein, wann das Auto wo für längere Zeit steht, etwa am Arbeitsplatz oder zu Hause. Werkstätten schicken ihm daraufhin ihre Angebote zu, und wenn er sich für eins entschieden hat, wird das Auto per zeitlich befristetem digitalem Schlüssel von der Werkstatt abgeholt und durch einen Werkstattwagen ersetzt, bis das Auto fertig ist und zurückgestellt wird. Oder man erfährt durch die Vernetzung mit den Millionen anderen VW-Nutzern, wo sich ein freier Parkplatz befindet. "Google Maps kann auch nur deshalb Angaben zum Verkehrsfluss auf Straßen machen", erläuterte Tanneberger, "weil die Daten aller Smartphonenutzer mit Androidsystem zu Aufenthaltsort und Geschwindigkeit ausgewertet werden." Oder man nimmt bestimmte persönliche Einstellungen in seinem Auto vor, beispielsweise zum Sitz, zur Klimaanlage oder Radiopräferenzen. Diese Vorgaben werden im Ökosystem gespeichert und ins nächste Auto, das man etwa als Leihwagen benutzt, übertragen. Vorausgesetzt, es stammt aus dem VW-Konzern.
Quellen
    • Text: Kristian Glaser (Kb)
    • Foto: Hersteller