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Summend durch die Fußgängerzone
Elektro-Lkw auf der Zielgeraden

RobGal

Es mutet zunächst etwas gespenstisch an, wenn ein ausgewachsener Lkw lautlos um die Ecke kommt. Aber mit Gespenstern hat das nichts zu tun, sondern mit Stuttgarter Ingenieurskunst.
"Vor 120 Jahren hat Gottlieb Daimler in Stuttgart den Lkw erfunden – jetzt erleben wir hier die Geburtsstunde des Elektro-Lkw", sagte Wolfgang Bernhard, Daimler-Vorstandsmitglied und zuständig für Lkw und Busse, bei der Präsentation vor Journalisten.

Durch zwei Phänomene wurde die Entwicklung des Elektro-Trucks vorangetrieben: durch die drastische Zunahme des Warenverkehrs, ausgelöst durch den Internethandel, und weil sich die Städte weltweit gegen den zunehmenden Verkehr wehren. In London dürfen Lastwagen über 18 Tonnen nur noch nachts und an den Wochenenden auf den großen Durchgangsstraßen fahren, und ab 2020 ist die Zufahrt in die Stadt nur noch Euro-VI-Lkw erlaubt. Paris will ab 2020 überhaupt keine Lkw mit herkömmlichen Antrieben in die City lassen, und auch Köln beabsichtigt, die Innenstadtstraßen für den Lkw-Durchgangsverkehr zu sperren, um die Lärm-, Abgas- und Feinstaubbelastungen zu reduzieren. Doch Industrie und Handel in den Städten müssen jeden Tag mit Waren versorgt werden, und auch die Entsorgung muss gesichert sein - was ohne Lkw nicht zu schaffen wäre. Als Ausweg bieten sich Laster mit Elektroantrieb an. "Die Zeit ist reif für Elektro-Lkw", meinte Bernhard. Zum einen gebe es große technische Fortschritte, zum anderen sei die Nachfrage nach Fahrzeugen, welche die Citys nicht mit Abgasen verpesten und die Bevölkerung nicht mit dem Lärm ihrer Motoren belasten, bereits heute "riesengroß", wie Bernhard feststellte.

Zwischen 1997 und 2025 werden die Batteriekosten nach Daimlers Schätzungen um 60 Prozent gesunken sein, gleichzeitig wird ihre Leistung um den Faktor 2,5 steigen. Bernhard: "Das macht Elektro-Pkw wirtschaftlich, und das macht bald auch Elektro-Lkw wirtschaftlich." Zwar reicht die Leistung der Batterien (noch) nicht für die großen Trucks im Fernverkehr, aber sie reicht für den Verteilerverkehr, betonte Daimlers Nutzfahrzeuge Chef und kündigte den weltweit ersten batterieelektrischen Lkw für den schweren Lkw-Verteilerverkehr mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 26 Tonnen an: den Mercedes-Benz Urban E-Truck.

Das Antriebskonzept des dreiachsigen Wagens wurde von vornherein auf Elektro ausgelegt. Die elektrisch angetriebene Hinterachse (sie stammt aus den Hybrid- und Brennstoffzellenbussen von Mercedes) ist mit zwei Elektromotoren in Radnabennähe ausgestattet. Sie leisten jeweils 125 kW und bieten ein Drehmoment von jeweils 11.000 Newtonmetern. Der Lithium-Ionen-Akku mit 212 Kilowattstunden sorgt nach Angaben von Mercedes für eine Reichweite von bis zu 200 Kilometern, was für den täglichen Verteilerbedarf ausreiche. Dazu trägt auch die Rekuperation (Bremsenergierückgewinnung) mit dem Elektromotor als Generator bei, was zudem den Verschleiß der Betriebsbremse minimiert.



Die Batterie ist modular aufgebaut und mit einem intelligenten Managementsystem versehen, so dass der Käufer Batteriesätze hinzufügen oder weglassen kann, wie er es mit Blick auf Reichweite, Nutzlast und Investitionssumme braucht. Mercedes verspricht, dass für das vollständige Aufladen nur zwei, maximal drei Stunden erforderlich sind. Der Mercedes Urban E-Truck kann aber nur an festinstallierten Ladegeräten im Fuhrpark "betankt" werden, weil er ohne schwere Ladetechnik ausgestattet ist.

Der Urban E-Truck wiegt 1,7 Tonnen mehr als sein dieselnder Bruder, doch geht Mercedes davon aus, dass die EU-Kommission den Elektro-Lkw künftig eine Tonne "schenken" wird. Das verbleibende Mehrgewicht von 700 Kilogramm würden die Kunden "kaum merken", weil im Verteilerverkehr das Volumen oft wichtiger sei, sagte Sven Ennerst, Lkw-Entwicklungschef bei Daimler. Ansonsten sei der emissionsfreie Lkw "in Nutzlast und Performance ebenbürtig".

Premiere auf der IAA

Publikumspremiere des Mercedes-Benz Urban E-Truck ist im September bei der Nutzfahrzeug- IAA in Hannover, danach wird er unter Einbeziehung von Kunden erprobt. Die Serienproduktion sei "Anfang des nächstens Jahrzehnts denkbar", kündigte Ennerst an.

Deutlich weiter ist der Elektro-Lkw für den leichten Verteilerverkehr. Der Canter E-Cell der japanischen Daimler-Marke Fuso wurde, um Erfahrungen zu sammeln, über ein Jahr in Portugal zu Kunden in den Praxistest geschickt, wo insgesamt acht Fahrzeuge 50.000 Kilometer absolvierten. "Sie senkten die CO2-Emissionen unter Berücksichtigung der Stromproduktion um 37 Prozent im Vergleich zu Dieselmotoren", resümiert Daimler, "die Betriebskosten waren im Schnitt um 64 Prozent günstiger."

Dass der elektrische Leicht-Lkw für die Stadt geeignet ist, beweist er seit dem Frühjahr auch in Stuttgart, wo es topographisch anspruchsvoll "bergauf und runter" geht, wie Bernhard anmerkte. Fünf Modelle werden beim ersten Flottentest für E-Lkw in Deutschland eingesetzt. Vier fahren im Dienst der Stadt: zwei Kipper im Straßen- und Landschaftsbau und zwei Laster mit Kofferaufbau für den Möbeltransport und die Mülltonnenauslieferung. Ein weiteres Fahrzeug "läuft" beim Paketdienst Hermes, der in London schon seit Weihnachten 2015 in der Paketzustellung ausschließlich Elektrofahrzeuge einsetzt und auch hierzulande Erfahrungen mit Stromern gesammelt hat. Die Fuso Canter E-Cell sind in der Stuttgarter Innenstadt unterwegs und haben bereits fünfzig Einsatztage mit rund 1.000 Kilometern auf dem Buckel. Weil sie auch in Fußgängerzonen unterwegs sein dürfen, können sich die Fahrer durch einen gut wahrnehmbaren, zuschaltbaren Summton bei Passanten bemerkbar machen.

Die Hermes-Fahrer seien vom geräuschlosen Fahren "begeistert", sagte ein Unternehmenssprecher, sie lobten den kleinen Wendekreis (von Bordstein zu Bordstein 12,20 Meter) und die überraschend einfache Bedienung, weshalb sie sich beim Umstieg von einem herkömmlichen Verteiler-Lkw auf den E-Canter "kaum umstellen" müssten.

Der Elektromotor des Fuso Canter E-Cell ist direkt hinter der Fahrerkabine untergebracht. Er leistet 110 Kilowattstunden bei einem maximalen Drehmoment von 650 Newtonmetern. Mit Schnellladesystem (360 Volt) ist der Elektro-Canter bereits nach einer Stunde zu 80 Prozent und bei einem normalen 230-Volt-System binnen sieben Stunden voll aufgeladen.

Wie alle Elektrofahrzeuge springt der Sechstonner sofort an und kommt gleich zur Sache, weil die Durchzugskraft vom Start weg da ist. Durch Rekuperation beträgt die Reichweite 100 Kilometer, im Kurzstreckeneinsatz reiche das aus, so Daimler. Allerdings wünschen sich die Canter-Fahrer bei Hermes ein paar Kilometer mehr.

Den Canter E-Cell gibt es seit 2010, vier Jahre später trat die zweite Generation an, und Fuso tüftelt bereits an der dritten Generation, die dann einfach "E-Canter" heißen soll. Mehr will Daimler erst bei der IAA verraten.
Quellen
    • Text: Beate M. Glaser (Kb)
    • Foto: Hersteller