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Am 29.4.2014 ereignete sich auf der Bundesautobahn A 7 an der Anschlussstelle Dietmannsried gegen 15.00 Uhr ein Verkehrsunfall, der darauf zurückzuführen war, dass die Zeugin M mit dem Fahrzeug des späteren Klägers von der Autobahnauffahrt über die rechte Fahrspur direkt auf die linke Fahrspur fuhr.
Dort fuhr der von hinten kommende Pkw der beklagten Kfz-Führerin, der sich erkennbar auf der linken Fahrspurbefand, auf das Fahrzeug des Klägers auf. Der auffahrende Pkw war zur Unfallzeit bei der ebenfalls beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung haftpflichtversichert.

Im Rahmen des Schadensersatzprozesses, in dem der Kläger zumindest einen Teil seines Schadens ersetzt erhalten wollte, gab das Amtsgericht Kempten (Allgäu) dem Kläger die alleinige Haftung für das Schadensereignis, nachdem es eine Beweisaufnahme durchgeführt hat und ein verkehrsanalytisches Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing W. eingeholt hat. Gegen das Urteil des AG Kempten vom 23.7.2015 – 2 C 844/14 – legte er Berufung ein. Die Berufungskammer des LG Kempten wies mit Beschluss vom 5.11.2015 darauf hin, dass es beabsichtigt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil hat keine Aussicht auf Erfolg. Ohne Erfolg wendet sich der Kläger dagegen, dass das Amtsgericht ihm die alleinige Haftung an dem streitgegenständlichen Unfall auferlegt hat. Bei Abwägung der Verursachungsanteile gemäß § 17 I und II StVG war auf Seiten des Klägers ein zurechenbarer schuldhafter Verstoß gegen §§ 18 III, 5 IV StVO zu berücksichtigen, da die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs das Vorfahrtsrecht der beklagten Fahrerin missachtet hatund sich beim Auffahren und Spurwechsel nicht so verhalten hat, dass die Gefährdung nachfolgender Fahrzeuge ausgeschlossen war. Verkehrsteilnehmer, die sich bereits auf der Autobahn befinden, haben gemäß § 18 III StVO Vorfahrt vor Fahrzeugen, die auf Autobahnen auffahren. Regelmäßig trifft daher den Fahrzeugführer des Fahrzeugs, das von der Autobahnauffahrt oder einem Autobahnkreuz kommend auf die Autobahn auffährt und dann einen Unfall verursacht (OLG Köln NZV 1999, 43; OLG Köln NZV 2006, 420).

Der auf die Autobahn Auffahrende muss sich grundsätzlich zunächst in den Verkehrsfluss auf der Normalspur einfügen. Zum Überholen darf er nicht ansetzen, wenn nicht die Gewissheit besteht, dass sich ihm kein schnelleres Fahrzeug nähert, das durch das Überholengefährdet werden könnte (OLG Hamm NZV 1992, 320). Dabei muss der Einfahrende angesichts fehlender Geschwindigkeitsbeschränkungen bei übersichtlichen Straßenverhältnissen damit rechnen, dass im Hochgeschwindigkeitsbereich gefahren wird (BGH NJW 1986, 1044). Diesen erhöhten Sorgfaltsanforderungen hat die Zeugin M im Fahrzeug des Klägers nicht genügt. Die Unfallanalyse des gerichtlich bestellten Sachverständigen hat ergeben, dass der Unfall für die Zeugin M im Fahrzeug des Klägers vermeidbar gewesen wäre, wenn sie den erkennbar auf der linken Fahrspur herannahenden Mercedes-Pkw der beklagten Fahrerin beachtet hätte und auf der rechten Fahrspur weitergefahren wäre.

Ein schuldhaftes Verhalten der beklagten Fahrerin kann nicht festgestellt werden. Ereignet sich nämlich ein Auffahrunfall im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Auffahren auf die Autobahn, so spricht der Beweis des ersten Anscheins nicht für ein Verschulden des Auffahrenden (vgl. BGH NJW 1982, 1595; Burmann, Straßenverkehrsrecht, 23. A. § 18 StVO Rn. 27). Im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der unfallursächlichen Umstände tritt die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten hinter das sorgfaltswidrige Verhalten der auf die Autobahn einfahrenden Fahrzeugführerin zurück. Mit dem sofortigen Wechsel der Fahrspur von der Beschleunigungsspur über die Normalspur direkt auf die Überholspur hat sie einen besonders gefährlichen Verkehrsverstoß begangen. Die Fahrgeschwindigkeit der Mercedes-Fahrerin lag nach dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen zwischen 130 und 146 km/h. Damit ist eine wesentliche Überschreitung der Richtgeschwindigkeit nicht festzustellen. Bei dieser Sachlage regt die Kammer die Berufungsrücknahme an.

Fazitund Praxishinweis: Der auf die Autobahn Einfahrende muss sich grundsätzlich zunächst in den Verkehrsfluss auf der Normalspur einfügen, um einerseits sich selbst in die konkrete Verkehrssituation auf der Autobahn einzuführen und zum anderen seine Rolle im Autobahnverkehr für die anderen Verkehrsteilnehmer berechenbar zu machen. Zum Überholen darf er erst ansetzen, wenn er Gewissheit hat, dass sich ihm kein schnelleres Fahrzeug von hinten nähert, das durch das Überholen gefährdet werden könnte. Auf keinen Fall darf der auf die Autobahn auffahrende Fahrzeugführer von der Beschleunigungsspur direkt auf die Überholspur wechseln. Macht er es trotz dem und kommt es zu einem Unfall, so trifft ihn die alleinige Schuld am Zustandekommen des Unfalls.
Quellen
    • Foto: Archiv Unfallzeitung