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LG Saarbrücken entscheidet zu dem Werkstatt- und Prognoserisiko
LG Saarbrücken Berufungsurteil vom 23.1.2015 – 13 S 199/14 –

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Am 24.12.2012 ereignete sich im Amtsgerichtsbezirk Saarlouis ein Verkehrsunfall, bei dem der Pkw des späteren Klägers, ein zur Unfallzeit zwei Jahre alter Ford-Focus, beschädigt wurde.
Am 31.12.2012 beauftragte der Geschädigte den Kfz-Sachverständigen S. mit der Erstellung des Schadensgutachtens. Der kam zu einem voraussichtlichen Reparaturbetrag von 3.736,43 € brutto und einer Wertminderung von 450,-- €. Die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung ließ am 15.1.2013 das Gutachten durch die Firma Car Expert überprüfen, die auf voraussichtliche Reparaturkosten von 2.893,04 € brutto und einer Wertminderung von 350,-- € kam. Ab dem 25.2.2013 ließ der Geschädigte das verunfallte Fahrzeug in der Ford-Fachwerkstatt reparieren.

Der Werkstatt lagen sowohl das Schadensgutachten des Sachverständigen S. als auch das Gutachten der Car Expert vor. Die Reparaturkostenrechnung endete mit 5.306,88 €. In dem Rechnungsbetrag waren auch Kosten für einen vergeblichen Instandsetzungsversuch der Seitenwand enthalten. Die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung hat lediglich 2.893,04 € auf die Reparaturkosten gezahlt. Mit der Klage beansprucht der Geschädigte von dem Fahrer und dem Versicherer des schadenstiftenden Fahrzeugs den Restbetrag. Das zunächst zuständige Amtsgericht Saarlouis verurteilte am 10.10.2014 – 27 C 596/13 (13) lediglich zur Zahlung von 821,93 €, nachdem das Gericht ein weiteres Gutachten durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen eingeholt hat.Wegen des weiteren Restbetrages wurde Berufung eingelegt. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigte den zur Herstellung der beschädigten Sache erforderlichen Geldbetrag verlangen. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung hat der Schädiger danach die Aufwendungen zu ersetzen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte (vgl. BGHZ 155, 1; BGHZ 160, 377, 383 f.). Dabei wird der erforderliche Herstellungsaufwand nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens, die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten für seine Beseitigung, sondern auch von den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt, so auch durch seine Abhängigkeit von Fachleuten, die er zur Instandsetzung des Unfallfahrzeugs heranziehen muss (BGHZ 54, 82, 85; BGHZ 63,182 ff.; BGHZ 115, 364 ff.).

Gerade im Fall der Reparatur von Kraftfahrzeugen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten Grenzen gesetzt sind. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (vgl. BGHZ 63, 182 ff.). Denn bei dem Bemühen um eine wirtschaftlich vernünftige Objektivierung des Restitutionsbedarfs im Rahmen von § 249 II 1 BGB darf nicht das Grundanliegen dieser Vorschrift aus den Augen verloren werden, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll (vgl. BGHZ 155, 1 ff.; BGHZ 132, 373, 376). Der Schaden ist deshalb subjektbezogen zu bestimmen (BGHZ 54, 82, 85; BGHZ 63, 182 ff.; BGHZ 115, 364 ff.).

Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug reparieren, so sind die durch eine Reparaturrechnung der Werkstatt belegten Aufwendungen im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der eingegangenen Reparaturkosten (vgl. BGH VersR 1989, 1056 f.; BGHZ 63, 182 ff.). Diese tatsächlich angefallenen Reparaturkosten können regelmäßig auch dann für die Bemessung des nach § 249 II 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten – etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist – unangemessen sind (vgl. BGHZ 63, 182 ff.; OLG Stuttgart, OLGR Stuttgart 2003, 481 ff. mwN., OLG Köln, OLGR Köln 1992, 126 f.;LG Saarbrücken Urteil v. 16.12.2011 – 13 S 128/11 -).Nach diesen Erwägungen, von denen auch das Erstgericht dem Grundsatz nach ausgegangen ist, sind die hier geltend gemachten Reparaturaufwendungen des Klägers als erforderlich anzusehen. Dabei hat das vom Kläger eingeholte Gutachten des Sachverständigen S eine Reparatur einschließlich der Erneuerung der linken Seitenwand aus technischer Sicht als geboten und den damit verbundenen Aufwand im Wesentlichen entsprechend dem späteren tatsächlichen, durch Vorlage einer Reparaturkostenrechnung belegten Kostenanfall als notwendig bewertet. Unter diesen Umständen darf ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch an der Stelle des Klägers die Eingehung dieser Aufwendungen grundsätzlich für erforderlich halten.

Das von der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung in Auftrag gegebene Gegengutachten der Car Expert vermag die Erforderlichkeit der geltend gemachten Reparaturkosten aus der Sicht des Geschädigten hier nicht in Zweifel zu ziehen. Zwar ist das Gutachten hinsichtlich der Instandsetzung der linken Seitenwand vom gerichtlich bestellten Sachverständigen bestätigt worden. Die Bewertung der mit dem Gegengutachten erhobenen Einwendungen erforderte indes erheblichen technischen Sachverstand, über den der geschädigte Laie nicht ohne weiteres verfügt. Hinzu kommt,dass ausweislich der Rechnung die Werkstatt des Klägers den erfolglosen Versuch unternommen haben will, eine Instandsetzung vorzunehmen. Dass der Kläger angesichts dessen hätte erkennen können, dass nicht der Austausch, sondern lediglich die Instandsetzung zur Reparatur erforderlich gewesen sei, ist nicht nachvollziehbar. Soweit im Übrigen der erfolglose Ausbesserungsversuch auf eine unsachgemäße Behandlung durch die Werkstatt des Klägers hinweisen mag, spiegeln die dadurch entstandenen Mehraufwendungen das sog. Werkstattrisiko wider, das gerade nicht der Geschädigte, sondern der Schädiger zu tragen hat (BGHZ 63, 182 f. unter I 2 b).

Dem Kläger kann auch kein Verstoß gegen die Schadensgeringhaltungspflicht vorgeworfen werden. Nach § 254 II 1 BGB kann der Geschädigte zwar solche Mehrkosten nicht ersetzt verlangen, die durch sein Verschulden bei der Auswahl der Reparaturwerkstatt entstehen (vgl. BGHZ 115, 364, BGHZ 63, 182, 185). Ein Verschulden des Klägers bei der Auswahl seiner Reparaturwerkstatt ist hier allerdings nicht feststellbar.

Insbesondere wäre der Kläger nicht gehalten gewesen notfalls eine andere Werkstatt zu konsultieren. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger Zweifel an der fachlichen Qualifikation seiner Werkstatt hätte haben müssen, sind nämlich nicht erkennbar. Zum einen handelt es sich um eine autorisierte Markenwerkstatt der Fahrzeugmarke des Klägers, was für den Laien bereits für sich ein Qualitätskriterium darstellt. Zum anderen entsprach der von der Werkstatt letztlich durchgeführte Reparaturweg den Vorgaben des vom Kläger eingeschalteten Sachverständigen S. Da auch insoweit keine Umstände ersichtlich sind, wonach der Kläger Zweifel an der Unabhängigkeit oder an der Qualifikation des von ihm ausgewählten Sachverständigen hätte haben müssen, durfte er auf die übereinstimmende Bewertung des von ihm beauftragten Sachverständigen S. und der Markenfachwerkstatt vertrauen. Unter Abzug der vorgerichtlich gezahlten 2.893,04 € und der erstinstanzlich ausgeurteilten 821,93 € verbleibt daher noch ein Betrag von 1.591,91 €. Insoweit musste das erstinstanzliche Urteil abgeändert werden.

Fazit und Praxishinweis: Zutreffend hat die Berufungskammer des LG Saarbrücken auf das Werkstatt- und Prognoserisiko abgestellt. Das trägt bekanntlich der Schädiger (vgl. BGHZ 63, 182 ff.; Imhof/Wortmann DS 2011, 149 ff.). Lediglich, wenn ein Auswahlverschulden vorliegt, kann sich der Geschädigte nicht mehr auf die Ausgleichung der Reparaturkostenrechnung berufen. Im Übrigen konnte der Geschädigte auch auf die Indizwirkung der Rechnung vertrauen. Das gilt auch für Sachverständigenkostenrechnungen.
Quellen
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