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BGH entscheidet zur fiktiven Abrechnung in der Fahrzeugkaskoversicherung
BGH – IV. Zivilsenat – Urteil vom 11.11.2015 – IV ZR 426/14 –

RFWW

Der Kläger erlitt einen Unfallschaden mit seinem Mercedes-Pkw. Dieser war bei der beklagten Versicherung vollkaskoversichert. Der Geschädigte beauftragte einen Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Gutachtens.
Das Gutachten gelangte zu einem voraussichtlichen Reparaturbetrag von rund 9.400,-- €. Der Geschädigte ließ sein Fahrzeug nicht reparieren, sondern beanspruchte die Entschädigungsleistung aus der Kaskoversicherung entsprechend der Angaben im Gutachten. Im Gutachten waren die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde gelegt. Die beklagte Versicherung regulierte dagegen auf der Basis eines von ihr eingeholten Gutachtens nur rund 6.400,-- €. Diesem Gutachten der Versicherung lagen die Lohnkosten einer ortsansässigen, nicht markengebundenen Werkstatt zugrunde. Die Differenzist Gegenstand des Rechtsstreites.

Das Amtsgericht Mitte in Berlin verurteilte die beklagte Vollkaskoversicherung mit Urteil vom 1.2.2013 – 114 C 3032/12 – nach dem Antrag des Klägers. Auf die Berufung der beklagten Versicherung hat das Landgericht Berlin mit Urteil vom 15.10.2014 – 44 S 106/13 – das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Dabei hat das Berufungsgericht darauf abgestellt, dass der Versicherte nur Anspruch auf die in einer freien Werkstatt anfallenden Preise hätte, wenn die Reparatur dort zu einer vollständigen und fachgerechten Wiederherstellung führt. Das Berufungsgericht meinte, dass eine Übertragung der Grundsätze aus dem gesetzlichen Haftungsrecht, wie es das Amtsgericht bejaht hat, nicht möglich sei. Die dagegen gerichtete Revision hatte Erfolg.

Die durch die Revision angefochtene Entscheidung des LG Berlin hält revisionsrechtlicher Überprüfungen nicht stand. Zwar sind bei einer Abrechnung eines Kaskofalles alleindie in der Kaskoversicherungvereinbarten Vertragsbedingungen maßgeblich. Deshalb sind grundsätzlich die für den Schadensersatz geltenden gesetzlichen Regelungen – insbesondere für die Ersatzpflicht des Unfallgegners – nicht anwendbar. Allerdings sind die Aufwendungen für die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs in einer markengebundenen Fachwerkstatt nach der maßgeblichen Auslegung der Versicherungsbedingungen aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers abhängig und von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalles. Danach kann der Versicherungsnehmer die Aufwendungen, die durch eine Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entstehen, als "erforderliche" Kosten im Sinne der vereinbarten Vollkaskoversicherungsbedingungen ansehen. Somit kann der Versicherungsnehmer im Vollkaskoschadensfall auch dann die Kosten der Reparatur in der markengebundenen Fachwerkstatt ersetzt verlangen, wenn es sich um ein neueres Fahrzeug handelt oder um ein solches, das der Versicherungsnehmer ständig in einer Markenfachwerkstatt hat warten und reparieren lassen. Dass ein solcher Fall vorliegt, hat der Versicherungsnehmer im Streitfall darzulegen und zu beweisen. Insoweit obliegt ihm die Darlegungs- und Beweislast bezüglich seiner Markentreue. Da das Berufungsgericht hierzu bislang keine Feststellungen getroffen hat, ist der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da der BGH hierzu im Revisionsverfahren keine eigenen Feststellungen treffen kann.

Fazit und Praxishinweis: Mit diesem Urteil hat der unter anderem für Versicherungsrecht zuständige IV. Zivilsenat zunächst die Rechte der Versicherungsnehmer gestärkt. Die von den Kaskoversicherungen bisher vorgenommenen grundsätzlichen Verweisungen der Anspruchsteller auf die niedrigeren Preise der markenfreien Werkstätten sind unter gewissen Umständen nicht mehr möglich. Die Ausnahmen lehnen sich an die Rechtsprechung des für Schadensersatz zuständigen VI. Zivilsenates des BGH bei fiktiver Schadensabrechnung an. Insbesondere hat der IV: Zivilsenat nun die Verweisungsmöglichkeiten, die der VI. Zivilsenat in dem sogenannten VW-Urteil vom 20.10.2009 – VI ZR 53/09 – (siehe hierzu auch die Hinweise zur fiktiven Abrechnung im FAQ der Unfallzeitung) angeführt hat, wie das geringe Alter des Fahrzeugs und die ständige Markentreue bei Wartung und Reparatur, übernommen. Auch bei der fiktiven Schadensabrechnung im Kaskoschadensfall sind unter bestimmten Voraussetzungen die Aufwendungen, die bei der Durchführung der Reparatur in einer Markenfachwerkstatt anfallen würden, ersatzfähig. In diesen besonderen Fällen muss sich der Versicherungsnehmer nicht mehr auf die niedrigeren Kosten einer freien Werkstatt verweisen lassen.
Quellen
    • Foto: Archiv Unfallzeitung