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BGH hält an bisheriger, gefestigter Rechtsprechung zum Restwert fest
BGH - VI. Zivilsenat – Urteil vom 27.9.2016 – VI ZR 673/15 –

RFWW

Am 3.2.2014 ereignete sich im Münsterland ein Verkehrsunfall, bei dem das Kraftfahrzeug des späteren Klägers erheblich beschädigt wurde. Am 4.2.2014 holte der Geschädigte ein Schadensgutachten ein.
In diesem Gutachten wurde der Restwert auf der Grundlage von vier auf dem regionalen Markt eingeholten Angeboten mit 10.750,-- € angegeben und der Wiederbeschaffungswert mit netto 27.804,88 €. Am 7.2.2014 übersandte der Geschädigte über seinen Anwalt das Gutachten mit einerSchadensaufstellung an die später beklagte eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung. Die Beklagte bestätigte, dass die Unterlagen am 8.2.2014 bei ihr eingegangen seien. Mit Telefax vom 11.2.2014 teilte sie mit, dass die Schadensunterlagen geprüft würden. Am 11.2.2014 veräußerte der Geschädigte das verunfallte Fahrzeug zu dem im Gutachten angegebenen Restwert an einen nicht ortsansässigen Aufkäufer.

Mit Schreiben vom 13.2.2014 legte die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung mehrere höhere Restwertgebote vor, darunter ein verbindliches Angebot eines nicht ortsansässigen Händlers über 20.090,-- €. Unter Zugrundelegung dieses Wertes rechnete die beklagte Kfz-Versicherung den Schaden ab. Der Kläger verlangt den Differenzbetrag von 9.090,-- €, der sich aus dem tatsächlich erzielten Verkaufserlös von 11.000,-- € und dem von der Versicherung zugrunde gelegten Wert von 20.090,-- € ergibt.Das in erster Instanz örtlich zuständige Landgericht Münster hat mit Urteil vom 22.12.2014 – 15 O 30/14 – die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg. Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 11.11.2015 – I-11 U 13/15 – das landgerichtliche Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung ihr Ziel der Klageabweisung weiter. Die Revision blieb ohne Erfolg.

Die vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Auf der Grundlage der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Zivilsenates des BGH hat das OLG Hamm der Schadensberechnung zutreffender Weise einen Restwertvon 11.000,--, dem tatsächlichen Verkaufserlös, zugrunde gelegt. Das Urteil des OLG Hamm beruht auf der Rechtsprechung des erkennenden Zivilsenates. Es besteht kein Grund, von der bisherigen, gefestigten Rechtsprechung abzuweichen. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats kann der Geschädigte Ersatz des Wiederherstellungswertes abzüglich des Restwertes beanspruchen. Zwar steht auch die Variante der Ersatzbeschaffung unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit. Das bedeutet, dass der Geschädigte auch bei einer Ersatzbeschaffung im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage den wirtschaftlicheren Weg zu wählen hat.

Das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt daher auch für die Frage, in welcher Höhe der Restwert des verunfallten Fahrzeugs bei der Schadensabrechnung berücksichtigt werden muss. Denn auch bei der Verwertung des beschädigten Fahrzeugs muss sich der Geschädigte im Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft halten ( vgl. BGH VersR 2010, 963 Rn. 3 mwN.). Weiter ist in der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats anerkannt, dass der Geschädigte dem Wirtschaftlichkeitsgebot im Allgemeinen Genüge leistet und sich in den für die Schadensbehebung durch § 249 II 1 BGB gezogenen Grenzen hält, wenn er die Veräußerungdes beschädigten Fahrzeugs zu dem Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das mindestens drei Restwertangebote des örtlichen Marktes enthält, auf dem allgemeinen, örtlichen Restwertmarkt ermittelt hat (BGH VersR 2010, 963 Rn. 7 mwN.).

Der Geschädigte ist weder verpflichtet, über die Einholung des Sachverständigengutachtens hinaus noch eine eigene Marktforschung zu betreiben und dabei Angebote auch entfernterer Interessenten einzuholen ( BGH VersR 2005, 381, 382; BGH VersR 1993, 769, 770) oder einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen (BGH VersR 2010, 963). Auch ist der Geschädigte nicht gehalten abzuwarten, um dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung vor der Veräußerung des verunfallten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und gegebenenfalls bessere Restwertgebote vorzulegen (vgl. BGH VersR 1993, 769, 770). Die vom OLG Köln vertretene Gegenansicht (in NJW- RR 2013, 224, 225) ist abzulehnen, wie es auch bereits das Berufungsgericht mit zutreffender Begründung getan hat. Ein vom Geschädigten tatsächlich erzielter, über den im Gutachten ermittelten Restwert hinausgehender Betrag ist zu berücksichtigen, wenn ihm keine überobligatorischen Anstrengungen des Geschädigten zugrunde liegen (BGH VersR 2005, 381, 382ersR 1992, 457, 458).

Nach den Feststellungen des OLG Hamm beruhte der im Schadensgutachten ermittelte Restwert auf vier bei verschiedenen Unternehmen des regionalen Marktes eingeholte Angebote. Das entspricht der Rechtsprechung des erkennenden Senates (BGH VersR 2009, 413 Rn. 13; BGH VersR 2010, 130 Rn. 11). Damit durfte der Geschädigte von einem Restwert , wie er im Gutachten ermittelt wurde, nämlich in Höhe von 10.750,-- € ausgehen und muss sich unter Einschluss der weiterhin erzielten 250,-- € Mehrerlös einen Restwert von 11.000,-- € anrechnen lassen. Auf einen höheren Betrag muss er sich nicht verweisen lassen. Insbesondere muss der Geschädigte unter dem Gesichtspunkt der Schadensgeringhaltungspflicht nicht dem Versicherer des Schädigers die Gelegenheit einräumen, ihm höhere Restwertgebote zu übermitteln. Denn der Gesetzgeber hat dem Geschädigte in § 249 II 1 BGB die Möglichkeit eingeräumt, die Behebung des Schadens gerade unabhängig von dem Schädiger und dessen Versicherer in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen (vgl. nur: BGH VersR 1993, 769, 770; BGHZ 183, 21 Rn. 13; BGH VersR 2014, 849 Rn. 29). Diese gesetzgeberische Grundentscheidung würde unterlaufen, wenn man den Geschädigten verpflichtet sähe, vor der von ihm beabsichtigten Schadensbehebung Alternativvorschläge der Versicherung des Schädigers einzuholen und diesen dann gegebenenfalls zu folgen.

Soweit die Revision meint, der regionale Markt sei durch die auf dem Gebrauchtwagenmarkt eingetretene Entwicklung und die allgemeine Zugänglichkeit der Online-Gebrauchtwagenbörsen überholt, so irrt die Revision gewaltig. Vorrangig ist und bleibt, auf den regionalen Markt abzustellen. Denn es muss ihm möglich sein, das beschädigte Fahrzeug einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler vor Ort beim Erwerb eines Ersatzfahrzeuges in Zahlung zu geben (BGH VersR 1992, 457; BGH VersR 2009, 413 Rn. 9; Steffen ZfS 2002, 161; ders. DAR 1997, 297, 300). Es ist und bleibt daher sachgerecht, den Restwert nur in der Höhe zu berücksichtigen, der bei einer Veräußerung auf dem vom Geschädigten maßgeblichen regionalen Markt erzielt werden kann. Der von der Revision bevorzugte Fahrzeughandel über Onlinegebrauchtwagenbörsen ist nach wie vor nicht maßgeblich.

Fazit und Praxishinweis: Mit diesem hervorragend begründeten Urteil hat der BGH in Fortführung seiner Rechtsprechung aus dem Urteil vom 1.6.2010 – VI ZR 316/09 – die Rechte des Unfallopfers gestärkt. Mit diesem Urteil ist wieder einmal dem von den Versicherungen immer wieder bevorzugten Internetfahrzeughandel auf der Basis der Online-Restwertbörsen eine klare Absage erteilt worden. Der Geschädigte darf die Veräußerung des verunfallten Fahrzeugs zu dem Preis vornehmen, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten mit mindestens drei örtlichen Restwertgeboten auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, über die Einholung des Sachverständigengutachtens hinaus noch eigene Marktforschung zu betreiben und dabei auch Angebote räumlich entfernterer Interessenten einzuholen oder gar einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen.

Damit hat der BGH nun explizit die Rechtsprechung des OLG Köln aus dem Beschluss vom 16.7.2012 – 13 U 80/12 – abgelehnt. Denn der Geschädigte ist auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Schadensgeringhaltungspflicht gehalten, vor der Veräußerung des verunfallten Fahrzeugs Angebote des Schädigers oder dessen Versicherers abzuwarten. Nachdem der Geschädigte das Gutachten in Händen hält, kann er zu dem im Gutachten angegebenen Höchstbetrag das verunfallte Fahrzeug veräußern. Der von einer Mindermeinung hoffähig gemachte Restwertsondermarkt aus dem Internet ist für den Geschädigten grundsätzlich nicht maßgeblich. Für ihn – wie auch für den Sachverständigen – ist der regionale Markt maßgeblich. Damit hat sich der BGH erneut gegen den Restwertsondermarkt aus Onlinerestwertbörsen ausgesprochen.
Quellen
    • Foto: Archiv Unfallzeitung