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Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall im Bereich Bünde in Westfalen hatte der Geschädigte einen anerkannten Kfz-Sachverständigen mit der Erstellung des Schadensgutachtens beauftragt. Die regulierungspflichtige Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung kürzte vorgerichtlich die vom Gutachter berechneten Sachverständigenkosten um 119,31 €.
Der Geschädigte trat seinen Anspruch auf Erstattung der restlichen Sachverständigenkosten an den Gutachter erfüllungshalber ab. Der Sachverständige nahm die Abtretung an. Da die Versicherung nicht bereit war, den Restschadensersatz zu leisten, erhob er Klage. Das AG Bünde sprach mit Urteil vom 27.10.2014 – 5 C 57/14 – dem Kläger die restlichen Sachverständigenkosten zu. Hiergegen legte die beklagte Versicherung Berufung ein. Die Berufungskammer des LG Bielefeld wies mit Beschluss vom 17.4.2015 – 20 S 123/14 – darauf hin, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg bietet.

Die Berufung bietet keine Aussicht auf Erfolg, da die angefochtene Entscheidung des AG Bünde weder auf einer Rechtsverletzung beruht noch die zugrunde liegenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Der klagende Sachverständige ist aus abgetretenem Recht aktivlegitimiert. Der restliche Schadensersatzanspruch des Geschädigten ist wirksam abgetreten worden. Dem Kläger steht auch der geltend gemachte Mehrbetrag in voller Höhe zu. Grundsätzlich kann ein Unfallgeschädigter einen Sachverständigen mit der Schätzung der Schadenshöhe an seinem durch den Unfall beschädigten PKW beauftragen und vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als Herstellungsaufwand den Ersatz der objektiv erforderlichen Sachverständigenkosten verlangen (vgl. BGH NJW-Spezial 2014, 169 = DS 2014, 90, m. w. N.; BGH VersR 2013, 1544 ;BGH VersR 2013, 1590;BGH DS 2007, 144 m. Anm. Wortmann = NJW 2007, 1450). Als erforderlich sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde (vgl. BGH aaO).

Unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht ist der Geschädigte gemäß § 254 Abs. 2 S. 1 BGB gehalten, den Aufwand zur Schadensbeseitigung in wirtschaftlich vernünftigen Grenzen zu halten, wobei insofern eine subjektbezogene Schadensbetrachtung anzustellen ist, d.h. Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen ist (BGH, NJW-Spezial 2014, 169; BGH VersR 2013, 1590). Dabei ist der Geschädigte regelmäßig nicht verpflichtet, sich nach dem günstigsten Sachverständigen zu erkundigen. Vielmehr darf er sich damit begnügen, den ihm in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen und muss nicht zuvor eine Marktforschung nach dem honorargünstigsten Sachverständigen betreiben (so etwa BGH DS 2014, 90).Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast zur Schadenshöhe regelmäßig durch Vorlage einer Rechnung des von ihm zur Schadensbeseitigung in Anspruch genommenen Sachverständigen. Die tatsächliche Rechnungshöhe bildet bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung "erforderlichen" Betrags im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB (vgl. BGH DS 2014, 90 = NJW-Spezial 2014, 169; BGH DS 2007, 144 = NJW 2007, 1450).Demnach ist die besondere Bedeutung der vorgelegten Rechnung für den konkreten Einzelfall und die Lage des Geschädigten bei der Beauftragung eines Sachverständigen zu berücksichtigen.

Nur wenn der Geschädigte erkennen kann, dass der von ihm ausgewählte Sachverständige Honorarsätze für seine Tätigkeit verlangt, die die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen, gebietet das schadensrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot , einen zur Verfügung stehenden günstigeren Sachverständigen zu beauftragen (vgl. BGH, NJW-Spezial 2014, 169). Vorliegend steht lediglich die Höhe der Nebenkosten im Streit. Ob diese Nebenkosten objektiv überhöht sind oder nicht, kann indes nach den vorstehenden Ausführungen dahinstehen. Dass die Geschädigte von vornherein hätte erkennen können, dass der Kläger – entsprechend der Behauptung der Beklagten – überhöhte Kosten ansetzen würde, vermag die Kammer nicht festzustellen. Der Geschädigte ist zu einer Recherche nach einem günstigeren Sachverständigen nicht verpflichtet, der innerhalb des von der Beklagten aufgezeigten Kostenrahmens abrechnet. Abgesehen davon, dass ein Geschädigter zu einem Preisvergleich vor Beauftragung des Sachverständigen gerade nicht verpflichtet istkann eine Verletzung der Schadensminderungspflicht durch die Geschädigte gemäß § 254 BGB aber auch vor dem Hintergrund nicht festgestellt werden, dass dem einseitig von der Beklagten festgelegten Honorartableau keine verbindliche Wirkung zukommt. Überdies ist auch nicht erkennbar, dass es sich bei den von der Beklagten aufgeführten Beträgen um die "in der Branche üblichen Preise" handelt, selbst wenn diese auf einer früheren BVSK-Befragungaufbauen, da teilweise eine Pauschalierung vorgenommen worden ist.

Weitere Umstände, anhand derer der Geschädigte erkennen konnte, ob der von ihm ausgewählte Sachverständige gegebenenfalls Honorarsätze für seine Tätigkeit verlangt, die die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen, sind nicht ersichtlich. Auch die Auswahl eines Sachverständigen im ortsnahen Bielefeld begegnet im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken. Der Kammer erscheint eine Fahrstrecke für den Sachverständigen von 27 km zum Besichtigungsort für noch vertretbar.Dabei ist berücksichtigt, dass es in Ostwestfalen sowohl Ballungsgebiete als auch ländliche Räume gibt und dem Geschädigten ein gewisses Auswahlermessen zuzugestehen ist. Stellt man darüber hinaus eine Gesamtschau an, ob das insgesamt abgerechnete Honorar im erkennbaren Rahmen der Üblichkeit liegt, ist auch dies hier im Ergebnis zu bejahen. Im Vergleich hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13 _ (= BGH DS 2014, 90) anlässlich eines Fahrzeugschadens von ca. 1.050,- € sogar Nebenkosten von 189,20 € netto bei einem Gesamtsachverständigenhonorar von nur 534,55 €nicht für beanstandungswürdig gehalten. Auch die Kosten für die Restwertermittlung können angesetzt werden.

Der Kläger hat substantiiert vorgetragen, dass die Ermittlung des Restwerts geschuldet war und über die Restwertbörse WinValue erfolgt ist. Dies hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt. Da sich vor diesem Hintergrund die in Rechnung gestellten Sachverständigenkosten nicht als unüblich darstellen, kann eine Verletzung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten durch den Kläger, wie die Beklagte geltend macht, nicht angenommen werden. Der Hinweis auf den dolo-agit-Einwand geht deshalb fehl.Da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten erscheint, beabsichtigt die Kammer, die Berufung der Beklagten nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Fazit und Praxishinweis: Die Berufungskammer des Landgerichts Bielefeld hat mit zutreffender Begründung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH daraufhingewiesen, dass das Amtsgericht die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung verurteilt hat, die vorgerichtlich gekürzten Sachverständigenkosten zu zahlen. Denn diese Kosten gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen. Ebenso können die Sachverständigenkosten auch zu dem nach § 249 II 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH DS 2007, 144 m. Anm. Wortmann). Soweit sich der Schädiger auf eine Überhöhung der Sachverständigenkosten beruft, ist darlegungs- und beweisbelastet. Die berechneten Sachverständigenkosten sind ein Indiz für die Erforderlichkeit der Höhe dieser Wiederherstellungsmaßnahme. Im Übrigen ist eine Kürzung der Sachverständigenkosten nur dann möglich, wenn der Geschädigte bereits bei der Beauftragung des Sachverständigen hätte erkennen können, dass der von ihm ausgesuchte Sachverständige erkennbar überhöhte Kosten berechnet. Da der Geschädigte in der Regel Laie ist und es auf seine Ex-ante-Sicht im Zeitpunkt der Beauftragung ankommt, ist regelmäßig von der Erforderlichkeit der berechneten Sachverständigenkosten auszugehen.
Quellen
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