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Auto fahren - Chance für Schwerstbehinderte
Vom Fensterheber bis zum Gangeinlegen: Paravans Sprachsteuerung kennt 40 Sprachbefehle und versteht auch Hochdeutsch mit Akzent

RobGal

Nur wenige Autohersteller bieten Fahrzeuge mit Sprachsteuerung an, Ford etwa, Hyundai oder Mercedes. In der Regel reagieren die Systeme in den Serienautos nur auf relativ wenige Befehle, zum Beispiel zur Bedienung von Navi, Radio oder Smartphone.
Probleme sind dabei aber nicht selten. Zwar werden Sprachsteuerungen gern als Beitrag zur Verkehrssicherheit angepriesen ("die Hände bleiben am Steuer"), doch in zwei aktuellen US-Studien musste das Gegenteil festgestellt werden. Es zeigte sich, dass der Fahrer durch das Sprachsystem sogar abgelenkt wird.
Da sind die Umrüster von Behindertenautos wie Paravan oder Zawatzky bereits viel, viel weiter. Im Herbst letzten Jahres stellte Zawatzky eine Sprachsteuerung vor, die vom Forschungs- und Entwicklungsunternehmen EML in Heidelberg erarbeitet wurde. Gut ein Jahr später folgt nun Umrüstspezialist Paravan von der schwäbischen Alb mit dem selbstentwickelten System "Voice Control", das mehr als 40 unterschiedliche Befehle kennt.
Das System muss verlässlich und sicher funktionieren und einfach zu bedienen sein. Nur so ermöglicht es schwerstbehinderten Menschen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind und vielleicht nur eingeschränkt die Hände bewegen können, selbstständig und autonom Auto zu fahren – meistens einen Van mit seitlicher Schiebetür. Oft schafft ihnen ein Auto mit Sprachsteuerung zum ersten Mal die Voraussetzung, allein zu Bekannten, dem Arbeitsplatz oder zur Uni zu fahren. Dabei reagiert der Van bei einigen seiner Funktionen praktisch auf Zuruf. So öffnet sich auf Sprachbefehl die Seitentüre, die Rollstuhlrampe fährt heraus, und der Fahrer gelangt bequem hinter das Lenkrad, wo der Rolli automatisch arretiert und die Gurte angelegt werden.
Alle "Sekundärfunktionen" des Autos wie Heizung, Blinker, Hupe, Sonnenblende oder Fensterheber werden mittels Voice Control betätigt oder gesteuert. "Als besonderes Highlight sind sogar das Motorstarten, das Gangeinlegen oder die Aktivierung der Feststellbremse per Spracheingabe möglich", sagt Paravan-Sprecher Alexander Nerz. "Eine immense Erleichterung für schwerbehinderte Menschen." Das ist auch der Grund, weshalb das Paravan-Konzept so ausgelegt wurde, dass der Fahrer die Sprachsteuerung nicht an seine Stimme gewöhnen muss. Es versteht problemlos auch ein schwäbisch, bayerisch oder westfälisch gefärbtes Hochdeutsch. Zudem lässt sich die Sprachsteuerung "individuell und persönlich" (Paravan) an den Kunden anpassen. Auch andere Sprachen wie Russisch, Italienisch oder amerikanisches oder britisches Englisch stellen kein Problem dar. Nur bei Menschen, die sehr leise sprechen oder sich nicht gut artikulieren können, ist das System überfordert.
Selbst autonomes Fahren macht die Steuerung bereits möglich. Ein Spezialfahrzeug wurde von den Paravan-Ingenieuren bereits so ausgebaut, dass es lediglich per Sprachbefehle auf einem Testparcours fährt. "Möglich machte dies die digitale Voice Control in Verbindung mit dem vollelektronischen Drive-by-wire-Fahrsystem Space Drive 2" von Paravan, so Nerz.
In Deutschland leben 8,6 Millionen Menschen mit einer Behinderung, jährlich kommen 270.000 allein durch einen Schlaganfall hinzu. Über 2.000 Menschen sind hochgradig querschnittsgelähmt, und rund 12.000 leiden an einer Muskelerkrankung wie multipler Sklerose (MS). Potentiell können sie alle von der Sprachsteuerung profitieren und erstmals eigenständig, ohne fremde Hilfe mobil sein.
Quellen
    • Text: Beate M. Glaser (Kb)
    • Foto: psdesign1 - Fotolia.com