OLG Hamm entscheidet zu einem Unfall des Tierarztes bei Behandlung eines TieresOLG Hamm Urteil vom 19.12.2016 – 6 U 104/15 –
Daraufhin begab sich der Kläger etwa 1 Meter weit in den vorderen Teil der Box, um das Fohlen von vorne am Kopf zu fixieren. Die Stute drehte sich jedoch um und trat aus. Sie verletzte den Tierarzt schwer. Dieser erlitt Frakturen, Muskel-, Kreuzband-, Gelenkkapsel- und Meniskusverletzungen. Er musste operiert und stationär behandelt werden. Aufgrund der Verletzungen forderte der Kläger Schadensersatz zu 100 Prozent. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten wollte den Schaden auf der Basis von 50 Prozent erledigt wissen. Das Vergleichsangebot lehnte der Kläger ab. In zweiter Instanz sah der 6. Zivilsenat des OLG Hamm nach Einholung eines tiermedizinischen Gutachtens ein Mitverschulden des Klägers von 25 Prozent gegeben.
Die Klage ist zu 75 Prozent gerechtfertigt. Der Beklagte haftet aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung als Tierhalter für den Schaden, den seine Stute dem Kläger bei dessen Verletzung zugeführt hat, denn in der Verletzung des Klägers hat sich die typische Tiergefahr realisiert.Der Kläger muss sich gegenüber der Tierhalterhaftung des Beklagten ein Mitverschulden gemäß § 254 BGB anrechnen lassen. Der Mitverursachungsanteil des Klägers ist mit 25 Prozent anzunehmen. Der Mitverursachungsanteil des Klägers ist in seinem tatsächlichen Verhalten vor der Verletzung begründet. Vor dem Betreten der Pferdebox ist für den Kläger unschwer erkennbar gewesen, dass er in der für beide Pferde erheblich zu gering dimensionierten Pferdebox an jeder Stelle vom Huf der - sichtlich erregten - Stute habe getroffen werden können. Am Unfalltage hatten er und der Beklagte mit einem Widerstand der Stute gegen die gebotene Trennung von Muttertier und Fohlen gerechnet, wobei das Anbinden der Stute ihren Erregungszustand noch erhöht hat.
In dieser Situation hat der Kläger die Pferdebox nicht betreten dürfen.
Nach den Ausführungen des vom Gericht gehörten tiermedizinischen Sachverständigen hat mit einer Reaktion der Stute gerechnet werden müssen, die keine menschliche Abwehrhandlung mehr zugelassen hätte. Um die beiden Pferde zu trennen, hat eine wesentlich weniger risikobehaftete Methode zur Verfügung gestanden, bei der der Schaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre. Das wäre dadurch möglich gewesen, indem durch Ein- und Herausführen der Tiere aus der Box, unter Umständen auch unter Zuhilfenahme der Nachbarbox, die Tiere getrennt worden wären. Dieses – zwar zeitaufwendige – Trennen der Tiere wäre dem Kläger auch zumutbar gewesen. Durch das Trennen der Tiere wäre auch die Gefahr einer Verletzung erheblich verringert worden. Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge - auf Seiten des Beklagten sei zu berücksichtigen, dass er die Pferde in einer zu kleinen Box gehalten und die Stute unsachgemäß mit dem Kopf vom Fohlen entfernt angebunden hat - verbleibt ein mit der Quote von ¼ zu bemessenes Mitverschulden beim Kläger.
Fazit und Praxishinweis: Verletzt eine Stute einen Tierarzt, der ihr Fohlen behandeln will, kann dem Tierarzt ein - im konkreten Fall mit einem Anteil von 25 % zu bemessendes - Mitverschulden anzurechnen sein, weil er sich der Stute in einer erkennbar gefährlichen Situation unsachgemäß genähert hat und dann durch einen Tritt des Pferdes verletzt wurde. Es handelt sich bei dieser Entscheidung um einen Einzelfall. Jeder Tierhalterhaftu8ngsfall mit Verletzung eines Tierarztes muss konkret einzeln behandelt und beurteilt werden.