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AG Pasewalk misst Nebenkosten nach dem JVEG
Amtsgericht Pasewalk (Mecklbg-Vorp.) Urt. vom 13.5.2015 – 100 C 11/14 –

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Die Parteien streiten vor dem örtlich zuständigen Amtsgericht um restlichen Schadensersatz nach einem für den Geschädigten unverschuldeten Verkehrsunfall. Die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung, die Württembergische Versicherung AG, kürzte die von dem Kfz-Sachverständigen berechneten Gutachterkosten.
Dieser Kürzungsbetrag ist Gegenstand des gerichtlichen Streitverfahrens. Das erkennende Gericht verurteilte zur Zahlung restlicher 100,55 €.

Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung kann der Geschädigte eines Verkehrsunfalls einen Sachverständigen mit der Begutachtung der entstandenen Schäden und der Berechnung der voraussichtlichen Kosten der Schadensbeseitigung beauftragen und die angefallenen Kosten als Schadensersatz geltend machen. Nach § 249 Absatz 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigteden zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beauftragung eines Sachverständigen ist der Geschädigte eines Verkehrsunfalls grundsätzlich nicht zu einer Marktforschung verpflichtet, um die Kosten für den Schädiger möglichst gering zu halten und auf dem Markt einen möglichst günstigen Sachverständigen zu finden. Vielmehr ist er berechtigt, auf dem ihm zugänglichen Markt einen zur Begutachtung bereiten Sachverständigen zu beauftragen und die entsprechenden Kosten als Schadensersatz zu verlangen, wenn sich ihm nicht aufdrängt und aufdrängen muss, dass der Sachverständige eine erheblich übersetzte Vergütung fordert. Allerdings trägt der Geschädigte im Rahmen der vorstehenden Ausführungen das verbleibende Risiko, dass sich ein Sachverständiger im nachfolgenden Rechtsstreit als zu teuer erweist.

Den Nachweis der Erforderlichkeit der angefallenen Kosten im Sinne des § 249 Absatz 2 Satz 1 BGB führt der Geschädigtegrundsätzlich durch Vorlage der Rechnung des Sachverständigen. Diese hat Indizwirkung für die Erforderlichkeit der Herstellungskosten insoweit. Es obliegt sodann dem Schädiger, darzutun und zu beweisen, warum der Geschädigte gleichwohl gegen seine Schadensminderungspflicht des § 254 Absatz 1 BGB verstoßen habe oder sonst die geltend gemachte Schadensposition zur Wiederherstellung nicht erforderlich gewesen sei. Ausgehend hiervon ergibt sich im vorliegenden Streitfall folgendes: Der Kläger hat als Anlage zur Anspruchsbegründung die Rechnung vorgelegt. Es wäre daher an der Beklagten gewesen, darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, dass der geltend gemachte Betrag überhöht, nicht erforderlich oder sonst gegen die Schadensminderungspflicht des Geschädigten verstoßend sei. Soweit die Beklagte dartut, der Aufwand zur Erstellung des streitigen Gutachtens habe allenfalls eine Stunde betragen, ist dies ohne Bedeutung.

Auch für eine etwa einstündige Arbeit eines Sachverständigen kann bei entsprechender Qualifikation und Güte der Leistung ein hohes Honorar angemessen sein. Lediglich soweit die Beklagte Einwendungen gegen die berechneten Nebenkosten in Form von Schreibkosten und Fotokosten erhebt, waren ihre Einwendungen erheblich und vom Gericht zu überprüfen. Gegen die sonstigen aus der Rechnung des Klägers ersichtlichen Einzelpositionen hat die Beklagte nichts konkret erinnert, wie vorstehend ausgeführt wurde. In dem vorstehend bezeichneten Rahmen der durch die Beklagten veranlassten gerichtlichen Überprüfung haben die Einwendungen der Beklagten allerdings teilweise Erfolg. Die geltend gemachten Foto- und Schreibkosten erscheinen als übersetzt. Es geht hierbei nicht – wie der Kläger meint – um die Angemessenheit derVergütung, sondern um die Angemessenheit des begehrten Aufwendungsersatzes, der zusätzlich zur Grundvergütung beansprucht wird.

Ob die Grundvergütung üblich im Sinne des § 632 Absatz 2 BGB ist, wofür allerdings einiges spricht, hatte das Gericht wegen diesbezüglich fehlender substantiierter Einwendungen der Beklagten nicht zu prüfen. Bei der von der Beklagten gerügten Angemessenheit der geltend gemachten Schreib- und Fotokosten hat das Gericht die Angemessenheit der Aufwendungen des Klägers nach § 287 Absatz 1 ZPO geschätzt und sich dabei an den Vorschriften des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen (JVEG) orientiert. Nach § 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2, 3 JVEG kann ein gerichtlich bestellter Sachverständiger für jedes zur Vorbereitung und Erstattung des Gutachtens erforderliche Foto 2 Euro und, wenn die Fotos nicht Teil des schriftlichen Gutachtens sind, 0,50 Euro für den zweiten Abzug fordern, weiterhin für die Erstellung des schriftlichen Gutachtens 0,90 Euro je angefangene tausend Anschläge. Ausgehend von diesen Beträgen kann der Kläger aus abgetretenem Recht für die 9 Seiten der ersten Ausfertigung seines Gutachtens je 0,90 Euro fordern, was einen Gesamtbetrag von 8,10 Euro ergibt. In Anbetracht der üblichen Kopierkosten auf dem Markt erschien es als angemessen, pro kopierter Seite 0,20 Euro zuzusprechen, was bei 9 Seiten einen Betrag von 1,80 Euro ergibt.

Fazit und Praxishinweis: Die Entscheidung des AG Pasewalk ist abzulehnen, denn zur Feststellung des nach § 249 BGB erforderlichen Geldbetrages wird eine JVEG-basierte Schadensschätzung vorgenommen. Dabei verkennt das Gericht, dass der vom Geschädigten beauftragte Kfz-Sachverständige privatrechtlich beauftragt worden ist und nicht vom Gericht. Nur bei gerichtlich bestellten Gutachtern ist das JVEG nach § 1 JVEG anwendbar. Schon der BGH hat mit Urteil vom 23.1.2007 (BGH DS 2007, 144 m. zust. Am. Wortmann) festgestellt, dass die Grundsätze des JVEG nicht auf Privatgutachter angewendet werden können. Insoweit widerspricht das erkennende Gericht der BGH-Rechtsprechung. In jüngster Zeit ist das OLG München durch Beschluss zum gleichen Ergebnis wie der BGH gelangt. Daher ignoriert das Urteil höchstrichterliche und obergerichtliche Rechtsprechung.
Quellen
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