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BGH entscheidet über Unfall durch ausbrechendes Pferd und Beteiligung eines Pkw
BGH - VI. Zivilsenat - Beschluss vom 13.1.2015 – VI ZR 204/14 –

RFWW

Am 7.4.2009 führte die spätere Klägerin ihr Dressur- und Reitpferd auf der rechten Seite eines nur für land- und forstwirtschaftlichen Verkehr freigegebenen Weges. Sie selbst ging auf dem Asphalt. Das Pferd lief auf dem neben dem Weg befindlichen Grünstreifen.
Von hinten näherte sich ein Pkw, der bei der beklagten Versicherung haftpflichtversichert war. Ob der Pkw die Klägerin mit ihrem Pferd überholt hat, ist streitig. Er bog nach links auf ein Feld ab, um zu dem dort befindlichen Misthaufen zu gelangen. Das Pferd brach auf jeden Fall aus und fügte der Klägerin schwere Verletzungen zu.

Die Klägerin begehrt den Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens. Die Kfz-Haftpflichtversicherung lehnte eine Schadensersatzleistung ab. Die Klage bei dem Landgericht Hannover blieb erfolglos. Das LG Hannover wies mit Urteil vom 25.7.2013 – 3 O 398/12 – die Klage ab. Die Berufung gegen das abweisende Urteil hatte keinen Erfolg. Das OLG Celle wies mit Urteil vom 26.3.2014 – 14 U 128/13 – die Berufung zurück. Das OLG ließ die Revision nicht zu. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hatte Erfolg und führte zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand und verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör. Während das LG Hannover eine Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 VVG deswegen verneint hat, weil sich nicht feststellen lasse, dass die von dem Pkw ausgehende Betriebsgefahr für das Ausbrechen des Pferdes ursächlich gewesen sei, insbesondere deshalb nicht, weil nicht aufgeklärt werden könne, wo sich die Klägerin befunden habe, als das Pferd ausbrach, hat das Berufungsgericht dahinstehen lassen, ob nähere Feststellungen zur Position der Klägerin zum Zeitpunkt des Scheuens des Pferdes möglich seien und der Betrieb des Kraftfahrzeugs für das Ausbrechen des Pferdes ursächlich gewesen ist.

Für die Revisionsinstanz ist deshalb zugunsten der Klägerin zu unterstellen, dass die Betriebsgefahr aufgrund der örtlichen Gegebenheiten für das Ausbrechen des Pferdes ursächlich war. Die Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten wegen eines überwiegenden Eigenverschuldens der Klägerin verneint hat. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht der Klägerin ein unfallursächliches Fehlverhalten ohne Einholung des von ihr beantragten Sachverständigengutachtens allein auf der Grundlage angeblicher eigener Sachkunde der Senatsvorsitzenden angelastet hat. Das Berufungsgericht hat verkannt, dass der Tatrichter, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten darf, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag (vgl. BGH NJW-RR 2007, 357 Rn. 14 mwN).

Zudem muss das Gericht, wenn es bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen (vgl. BGH NJW-RR 1997, 1108 mwN). Dies ist nicht geschehen. Mit Erfolg beanstandet die Nichtzulassungsbeschwerde auch, dass sich das Berufungsgericht nicht hinreichend mit dem von der Klägerin vorgelegten Privatgutachten befasst hat, aus dem sich im Einzelnen ergebe, dass diese sich bei der Annäherung des Pkw völlig richtig verhalten und insbesondere ihr Pferd so ausgerichtet habe, dass es den herannahenden Pkw habe wahrnehmen können. Wenn das Gericht den auf eine privatgutachterliche Stellungnahme gestützten Vortrag einer Partei übergeht, kann deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sein (BGH VersR 2010, 72). Dies ist hier der Fall.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, naheliegend und richtig wäre für die Klägerin ein Vorgehen dergestalt gewesen, das neben ihr auf dem Grünstreifen grasende Pferd unverzüglich möglichst weit nach rechts auf die dortige Grasfläche zu verbringen, mithin also so weit wie möglich aus dem Gefahrenbereich heraus. Dabei hätte das Pferd zugleich seitwärts zur Fahrbahn gedreht werden können, um es in die Lage zu versetzen, das herannahende Fahrzeug optisch wahrzunehmen. Wie die Privatgutachterin W. dargelegt hat, hätte die Klägerin, wenn sie auf der rechten Seite des Weges geblieben wäre und ihr Pferd dort gewendet hätte, mit ihrem Pferd abschüssig auf einen bepflanzten Acker und vor allem in einem größeren Bogen rechts außen um ihr Pferd herum gehen und damit weiter ausholen müssen. Sodann hätte sie nicht, wie es zweckmäßig gewesen wäre, zwischen Pferd und Verkehr, sondern, was gefährlich gewesen wäre, genau in der Fluchtrichtung des möglicherweise vor dem Auto scheuenden Pferdes gestanden. Stattdessen sei die Klägerin auf dem kürzesten Weg in Richtung einer größeren, für sie und ihr Pferd in diesem Moment sichereren Fläche gewechselt. Zudem habe sie ihr Pferd so ausgerichtet, dass es den herannahenden Pkw habe erkennen können. Die Klägerin habe deshalb gerade nicht in der Fluchtrichtung des Pferdes gestanden. Dieses Vorbringen hat das Berufungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt.Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt auch mit Erfolg, dass das Berufungsgericht die Beweislastverteilung verkannt hat. Da die Beklagten für ein Mitverschulden der Klägerin beweisbelastet sind, darf für dessen Bejahung nur ein Sachverhalt zugrunde gelegt werden, den diese selbst vorgetragen hat oder der zu ihrem Nachteil bewiesen ist (vgl. BGH VersR 2014, 80 mwN).

Die Klägerin hat jedoch vorgetragen, dass sie von der rechten auf die linke Straßenseite gewechselt und habe auf dieser - etwas breiteren - Seite sich und ihr Pferd in die Richtung des Autos gedreht hat. Wenn dies zuträfe, hätte die Klägerin aber zwischen ihrem Pferd und dem Verkehr gestanden, so dass das Pferd im Falle des Fliehens von der Gefahr weg - also vom Verkehr weg - auch von ihr weg zur anderen Seite, also in Richtung Misthaufen hätte fliehen können. Bei dieser Sachlage könnte der Klägerin kein unfallursächliches Mitverschulden angelastet werden. Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben. Die Sache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch das weitere Vorbringen in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen.

Fazit und Praxishinweis: Das Gericht hat grundsätzlich den Beweisanträgen der Parteien zu folgen. Es darf nicht eigene Sachkenntnis an die Stelle des Parteivortrages stellen. Wenn es aus eigener Sachkenntnis ohne Sachverständigengutachten entscheiden will, muss es zwingend die Parteien darauf hinweisen. Wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, darf der Tatrichter auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag. Zudem muss das Gericht, wenn es bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen.
Quellen
    • Foto: Archiv Unfallzeitung