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Ein generelles Nachbesichtigungsrecht existiert nicht, auch wenn die eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherer immer wieder auf ein solches Recht pochen. Ein Nachbesichtigungsrecht kann nur dann bestehen, wenn substantiierte Einwendungen gegen das Schadensgutachten vorgebracht werden, die die Nachbesichtigung erforderlich machen.
Am 1.7.2008 ereignete sich in Hagelsberg bei Fürstenwalde in Brandenburg ein Verkehrsunfall, bei dem das Kraftfahrzeug des späteren Klägers mit dem amtlichen Kennzeichen LOS… beschädigt wurde. Die einhundertprozentige Haftung des eintrittspflichtigen Kfz-Versicherers ist außer Streit. Der Geschädigte beauftragte den qualifizierten Kfz-Sachverständigen Q. mit der Erstellung des Schadensgutachtens, in dem die Reparaturkosten mit 3.083,74 € netto, der Wiederbeschaffungswert mit 3.105,86 € netto und der Restwert mit 800,-- € angegeben waren. Die eintrittspflichtige DEVK-Versicherung erstattete vorgerichtlich zunächst die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert , also 2.305,86 € sowie 20,-- € allgemeine Unkostenpauschale und die Sachverständigenkosten von 482,58 € direkt an den Sachverständigen Q. Gleichzeitig verlangte sie eine Nachbesichtigung durch einen von ihr beauftragten Sachverständigen, was der Geschädigte ablehnte. Nach Rechtshängigkeit zahlte die DEVK-Versicherung weitere 411,-- € , nämlich 406,-- € Nutzungsausfallentschädigung und weitere 5,-- € auf die allgemeine Unkostenpauschale . Die Parteien erklärten insoweit die Hauptsache für erledigt. Streit wurde jetzt nur noch über 1.421,45 € geführt. Der Klagebetrag ergibt sich aus der Differenz der tatsächlich vom Kläger aufgewandten Reparaturkosten von 3.727,31 € brutto und den von der DEVK insoweit gezahlten 2.305,86 €. Die Klage vor dem Amtsgericht Fürstenwalde hatte Erfolg.

Die Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch aus §§ 115 VVG, „$) BGB gegen die Beklagte auf Zahlung von 1.421,45 €. Die Haftung der Beklagten ist unbestritten. Zum Schadensersatz gehören auch die vom Kläger unstreitig aufgewandten Reparaturkosten von 3.727,31 € brutto. Die Beklagte hat darauf nur 2.305,86 € gezahlt, so dass der mit der Klage geltend gemachte Differenzbetrag gerechtfertigt ist. Die Reparaturkosten übersteigen den Wiederbeschaffungswert nicht. Maßgebender Zeitpunkt, zu welchem beide Beträge gegenüberzustellen sind, ist derjenige, zu welchem die Entscheidung über die Art der Schadensbeseitigung getroffen wird. Zu diesem Zeitpunkt, also vor Erteilung des Reparaturauftrages und der Durchführung der Reparatur, hatte der Kläger nach dem von ihm eingeholten Schadensgutachten des Sachverständigen Q. von Reparaturkosten in Höhe von 3.083,74 € netto, mithin 3.669,65 € brutto, auszugehen. Er konnte damit davon ausgehen, dass die Reparaturkosten geringer sind als die Wiederbeschaffungskosten. Wenn, wie im vorliegenden Fall, die Reparaturkosten nach durchgeführter Reparatur höher sind als der Wiederbeschaffungswert , führt das nicht zu einer anderen Betrachtung, denn das Prognoserisiko trägt der Schädiger. Im Übrigen sind bei dem anzustellenden Vergleich die Reparaturkosten und der Wiederbeschaffungswert trotz § 249 II 2 BGB jeweils brutto anzusetzen (vgl. Palandt-Heinrichs BGB 67. A. § 249 Rn. 28). Der Geschädigte hat zu entscheiden, ob er das verunfallte Fahrzeug reparieren lässt oder ein Ersatzfahrzeug anschafft. Diese Entscheidung kann er nur aufgrund des Schadensgutachtens treffen. Hat er sie im Sinne einer Reparatur getroffen und ist die Reparatur durchgeführt, kann diese Entscheidung nicht mehr nachträglich korrigiert werden, denn auch das Werkstattrisiko geht zu Lasten des Schädigers. Bei seiner Entscheidung, ob repariert oder eine Ersatzbeschaffung vorgenommen werden soll, braucht der Geschädigte nur die Bruttobeträge beider Werte gegenüber zu stellen, und zwar nach der Regelbesteuerung. Da nach alledem der Geschädigte weder das Prognose- noch das Werkstattrisiko trägt und er bei der Gegenüberstellung der Werte nach dem Gutachten von der Regelbesteuerung ausgehen darf, dürfen Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nicht mit einer solchen Begründung statt der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten im Nachhinein nur die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert zahlen. Insoweit liegt hier kein Fall der 130-Prozent-Regelung vor. Auch ein Nachbesichtigungsrecht hat der Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zugestanden. Ein generelles Nachbesichtigungsrecht steht dem Schädiger und seinem Haftpflichtversicherer nicht zu.

Fazit und Praxishinweis: Zu Recht hat das erkennende Gericht ein generelles Nachbesichtigungsrecht dem Schädiger und dem Haftpflichtversicherer verneint. Ein derartiges generelles Nachbesichtigungsrecht existiert nicht, auch wenn die eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherer immer wieder auf ein solches Recht pochen. Ein Nachbesichtigungsrecht kann nur dann bestehen, wenn substantiierte Einwendungen gegen das Schadensgutachten vorgebracht werden, die die Nachbesichtigung erforderlich machen. Wird jedoch nur pauschal und unsubstantiiert die sach- und fachgerechte Durchführung der Reparatur bestritten, besteht kein Recht zur Nachbesichtigung (vgl. dazu auch LG Kleve ZfS 1999, 239).
Quellen
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