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Auch bei 588,63 € Nettoschaden sind die Sachverständigenkosten zu ersetzen
AG Hattingen Urteil vom 28.3.2017 – 5 C 157/15 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Dieses Urteil des Amtsgerichts Hattingen zeigt exemplarisch, dass es eine starre Bagatellschadensgrenze nicht geben kann. Auch in besonderen Fällen ist bei geringen Beschädigungen der Geschädigte berechtigt, zur Feststellung des Schadensumfangs und der Schadenshöhe ein schriftliches Gutachten eines qualifizierten Kfz-Sachverständigen einzuholen. Nur bei ganz geringfügigen leichten Lackschäden, nicht jedoch bei anderen Blechschäden liegt ein Bagatellschaden vor.
Am 21.10.2014 ereignete sich in Hattingen an der Ruhr ein Verkehrsunfall, bei dem das Fahrzeug der späteren Klägerin mit dem amtlichen Kennzeichen EN … beschädigt wurde. Die Klägerin ging nicht von einem sogenannten Bagatellschaden aus. Sie beauftragte einen qualifizierten Kfz-Sachverständigen aus Bochum, der einen Schaden über 700,-- € kalkulierte. Das Fahrzeug der Klägerin war annähernd 20 Jahre alt. Der Sachverständige berechnete unter Zugrundelegung der VKS/BVK-Honorarumfrage 2012/2013 ein Grundhonorar von 232,92 € sowie Nebenkosten von 141,94 €. Die eintrittspflichtige Kfz-Versicherung des Unfallverursachers, die Bruderhilfe, deren volle Einstandspflicht unbestritten ist, kürzte jedoch die berechneten Sachverständigenkosten um 90,08 €. Diesen Betrag klagte die Geschädigte gegen den Unfallverursacher persönlich bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht Hattingen ein. Das Gericht hat zu der vom Privatgutachter kalkulierten Schadenshöhe ein gerichtliches Sachverständigengutachten des Dipl.-Ing. F. eingeholt. Dieser ging von einem Reparaturschaden in Höhe von 588,63 € netto aus. Gleichwohl hatte die Klage auf Zahlung der restlichen Sachverständigenkosten Erfolg.

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch gegen die beklagte Schädigerin auf Zahlung von weiteren 90,08 € gemäß der §§ 7, 18 StVG, 249 BGB zu. Die Haftung der Beklagten aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls ist zwischen den Parteien dem Grunde nach unstreitig. Der Anspruch auf Ersatz der Sachverständigenkosten ist zugunsten der Klägerin ebenfalls dem Grunde nach gegeben. Auch der Höhe nach besteht der Schadensersatzanspruch. Die Klägerin durfte – entgegen der Ansicht der Beklagten – im vorliegenden Fall ausnahmsweise auch ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Schadensumfangs und der Schadenshöhe einholen. Zwar ist der Beklagten insoweit zuzustimmen, dass vorliegend nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von einem Schaden von 588,63 € netto auszugehen ist, wie ihn der gerichtlich bestellte Sachverständige F. ihn f4estgestellt hat. Damit ist die in der Rechtsprechung üblicherweise angenommene Grenze von Bagatellschäden von 700,-- € (vgl. dazu: Palandt-Grüneberg BGB, 74. A. 2015, § 249 BGB Rn. 58) unterschritten. Allerdings kann in Ausnahmefällen auch bei Bagatellschäden die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich im Sinne des § 249 BGB sein (vgl. Münchner Kommentar BGB 7. A. 2016, § 249 BGB Rn. 398). Das ist hier der Fall. Bei dem beschädigten Fahrzeug handelt es sich um ein älteres Liebhaberfahrzeug, das zum Zeitpunkt des Unfalls immerhin fast 20 Jahre alt war. Insoweit handelt es sich einen im Münchner Kommentar genannten Ausnahmefall. Schließlich wird die Bagatellschadensgrenze von verschiedenen Gerichten teilweise auch zwischen 500,-- € und 800,-- € festgelegt (vgl. Münchner Kommentar aaO unter Hinweis auf LG Düsseldorf SP 2009, 257; AG Gelsenkirchen-Buer SP 2013, 28; AG Hamm BeckRS 2012, 19417 mwN.).

Das erkennende Gericht schließt sich dieser Auffassung an und hält daher die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch einen freien Gutachter für erforderlich im Sinne des § 249 BGB. Damit durfte die Klägerin in diesem besonderen Fall ein Kfz-Schadensgutachten durch den Sachverständigen ihrer Wahl einholen. Auch bezüglich der Höhe der berechneten Sachverständigenkosten ist grundsätzlich nichts auszusetzen. Der BGH führt in seinem Grundsatzurteil vom 23.1.2007 – VI ZR 67/06 – (= BGH NJW 2007, 1450 = DS 2007, 144 m. Anm. Wortmann) aus, dass ein Kfz-Sachverständiger allein dadurch, dass er eine an der Schadenshöhe orientierte angemessene Pauschalierung des Honorars vornimmt, die Grenzen der rechtlich zulässigen Preisgestaltung grundsätzlich nicht überschreitet. Schadensgutachten dienen in der Regel dazu, die Realisierung von Schadensersatzforderungen zu ermöglichen. Damit ist die vom Privatgutachter vorgenommene Pauschalierung des Honorars bezüglich des Grundhonorars nicht zu beanstanden. Die Frage, ob das vom Privatgutachter berechnete Honorar zu teuer ist, muss entweder durch eine Beweisaufnahme mit Einholung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen ermittelt werden oder vom Gericht gemäß § 287 ZPO geschätzt werden. Bei der Schadenshöhenschätzung richtet sich das erkennende Gericht unter anderem auch nach der VKS/BVK-Honorarumfrage, weil der von der Klägerin herangezogene Sachverständige Mitglied des VKS ist. Danach ist das Grundhonorar nicht zu beanstanden. Die vom BGH im Urteil vom 22.7.2014 – VI ZR 357/13 – geäußerten Bedenken bezüglich der Anwendung der BVSK-Honorarumfrage bezüglich der vom Landgericht Saarbrücken festgestellten unterschiedlichen Abrechnungsweise im Saarland gelten für den hiesigen Bereich nicht. Das AG Hattingen hat bislang für den hiesigen Bereich nicht feststellen können, dass hier die Sachverständigen mit uneinheitlichen Preisansätzen abrechnen. Im Ergebnis sind daher auch die Nebenkosten nicht zu beanstanden (vgl. BGH Urt. v. 112.2014 – VI ZR 225/13 - = BGH NJW 2014, 1947 = DS 2014, 90). Letztlich kommt es aber auf die Streitfragen gar nicht an, da das sogenannte Prognoserisiko nicht zu Lasten der Klägerin geht. Das Prognoserisiko trägt eindeutig der Schädiger.

Fazit und Praxishinweis: Dieses Urteil des Amtsgerichts Hattingen zeigt exemplarisch, dass es eine starre Bagatellschadensgrenze nicht geben kann. Auch in besonderen Fällen ist bei geringen Beschädigungen der Geschädigte berechtigt, zur Feststellung des Schadensumfangs und der Schadenshöhe ein schriftliches Gutachten eines qualifizierten Kfz-Sachverständigen einzuholen. Nur bei ganz geringfügigen leichten Lackschäden, nicht jedoch bei anderen Blechschäden liegt ein Bagatellschaden vor (vgl. BGH DS 2008, 104, 106). Auch wenn es sich bei dem beschädigten Fahrzeug um ein älteres Liebhaberfahrzeug handelt, kann die Begutachtung zur Geltendmachung der Schadensersatzansprüche erforderlich und zweckmäßig sein, auch wenn der Reparaturaufwand gering ist (vgl. dazu auch die Ausführungen in der Unfallzeitung zum Bagatellschaden ).
Quellen
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