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AG Wesel urteilt zur Bagatellschadensgrenze
AG Wesel Urteil vom 30.1.2015 – 26 C 404/14 –

RFWW

Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall beauftragte der Geschädigte die DEKRA mit der Erstellung eines Schadensgutachtens bezüglich der Unfallschäden an seinem Fahrzeug. Die DEKRA berechnete 428,10 €.
Die DEKRA ermittelte Reparaturkosten in Höhe von 1.055,92 € netto. In dem Gutachten waren auch Verbringungskosten und Ersatzteilzuschläge kalkuliert. Selbst unter Abzug dieser Schadenspositionen verblieb noch ein Schadensbetrag von 882,55 €. Die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung verweigerte die Ausgleichung der Sachverständigenkosten mit der Begründung, dass ein Bagatellschaden vorläge und insoweit die Gutachterkosten nichtersatzfähig seien. Der Geschädigte klagte die berechneten Sachverständigenkosten bei dem zuständigen Amtsgericht Wesel ein. Die Klage hatte Erfolg.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von 428,10 € für die Einholung des Sachverständigengutachtens aus § 7 Abs. 1 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG gegen die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung zu. Die Haftung der Beklagten für den von ihrem Versicherungsnehmer verursachten Verkehrsunfall ist zwischen den Parteien unstreitig. Der Kläger hat einen Anspruch auf Schadensersatz nach Maßgabe der §§ 249 ff. BGB. Dem Kläger ist ein Schaden entstanden. Denn er ist mit einem Anspruch der DEKRA auf Zahlung der Sachverständigenkosten in Höhe von 428,10 € belastet. Der Kläger hat eine auf ihn ausgestellte Rechnung der DEKRA zur Akte gereicht. Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Hierzu zählen auch die Kosten für die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach einem Verkehrsunfall, soweit die Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind (vgl. BGH NJW 2014, 1947 = DS 2014, 90; Palandt-Grüneberg, Kommentar zum BGB, 74. Aufl. 2015, § 249 Rn. 58 m. w. N.).

Bei Verkehrsunfällen darf der Geschädigte grundsätzlich ein Gutachten einholen, es sei denn es handelt sich um einen sogenannten Bagatellschaden . Ein solcher wird gemeinhin bei Schäden bis zu einem Betrag von 700,-- € angenommen (vgl. BGH NJW 2005, 356; Palandt-Grüneberg, § 249 Rn. 58; für einen Betrag bis zu 1.000,00 Euro: Münchener Kommentar zum BGB-Oetker, 6. Aufl. 2012, § 249 Rn, 398 m. w. N.). Hingegen ist die von der Beklagten angeführte Entscheidung des Landgerichts München mit dem Aktenzeichen 19 S 10340/01, in welcher besondere Gründe für die Einholung eines Gutachtens sogar bei Schäden im Bereich von 2.500,00 bis 3.000,00 DM verlangt werden, weder mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, noch mit der überwiegenden Rechtsprechung der Instanzgerichtevereinbar.Die Entscheidung des Landgerichts München ist deshalb vereinzelt geblieben. Der Kläger durfte daher ein Sachverständigengutachten einholen. Ausweislich des Gutachtens der DEKRA sind Reparaturkosten in Höhe von 1.055,92 € netto entstanden, die die Bagatellgrenze von 700,-- € übersteigen. Selbst wenn die in dem Gutachten ausgewiesenen Verbringungskosten und UPE-Aufschläge in Abzug gebracht werden, verbleiben Reparaturkosten in Höhe von 882,55 €netto und damit ein Reparaturbetrag, der immer noch über der Bagatellgrenze von 700,-- €liegt. Unerheblich ist der Einwand der Beklagten, für einen Laien sei anhand des Schadensbildes offensichtlich gewesen, dass es sich um einen Bagatellschaden gehandelt habe.

Zum einen handelt es sich nach den von der Beklagten nicht beanstandeten Feststellungen des Privatgutachters gerade nicht um einen Bagatellschaden . Zum anderen kann von einem Laien nicht erwartet werden, bei einer Verformung und Verschrammung des vorderen Stoßfängers, einem Bruch der Halterung des Luftgitters und des Gitters des Stoßfängers zu erkennen, wie hoch der Schaden ist. Insoweit ist auch unerheblich, dass der Kläger keine Lichtbilder von dem Schaden zur Akte gereicht hat. Denn der Zustand des Schadens ist in dem Gutachten beschrieben und wird auch von der Beklagten nicht angegriffen. Aufgrund der Schadenshöhe und des sichtbaren Schadensbildes war der Kläger auch berechtigt, ein Gutachten in Auftrag zu geben und musste sich nicht auf die Einholung eines Kostenvoranschlages verweisen lassen. Der Kläger kann Zahlung statt Freistellung verlangen. Denn ein Freistellungsanspruch wandelt sich in einen Zahlungsanspruch um, wenn der Schuldner die Freistellung ernsthaft und endgültig verweigert (vgl. BGH NJW 2004, 1868). So liegt es hier. Denn die Beklagte hat die begehrte Freistellung sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich durch Stellung des

Klageabweisungsantrages abgelehnt.

Fazit und Praxishinweis: Das erkennende Richter des Amtsgerichts Wesel hat zu Recht eine Bagatellschadensgrenze von etwa 715,-- € angenommen. Ein Bagatellschadensbetrag von rund 715,-- € ist durch den BGH revisionsrechtlich nicht beanstandet worden. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine starre Grenze. In der Regel ist der Geschädigte ohnehin nicht in der Lage, den Schadensumfang und die Schadenshöhe zu überblicken. Insoweit ist er grundsätzlich immer berechtigt, sachverständige Hilfe zur Feststellung der Schadenshöhe in Anspruch zu nehmen. Erst wenn für den Geschädigten erkennbar ist, dass der Schaden unter 700,-- € liegt, darf er kein Gutachten mehr in Auftrag geben und muss sich mit einem Kostenvoranschlag begnügen, obwohl dieser keinerlei Beweisfunktion hat. Auch wird durch den Kostenvoranschlag kein Beweis hinsichtlich des Schadensumfangs gesichert. Das Gutachten hat aber gerade diese Funktion. Vgl. hierzu auch das Urteil des AG Albstadt, das die Unfallzeitung am 28.4.2015 hier ebenfalls veröffentlicht hatte, sowie auch das Urteil des AG Böblingen vom 21.1.2015, das die Unfallzeitung am 30.4.2015 veröffentlicht hatte. Vgl. aber auch die Ausführungen in FAQ unter der Rubrik Bagatellschadensgrenze in dieser Unfallzeitung.
Quellen
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