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Amtsrichterin des AG Neunkirchen bejaht Anwendbarkeit des JVEG auf Nebenkosten
AG Neunkirchen / Saar Urteil vom 27.4.2015 – 5 C 111/15 (52) –

RFWW

Die Parteien streiten um die vollständige Ausgleichung der vom Kfz-Sachverständigen dem Unfallopfer gegenüber berechneten Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall, für den der spätere Beklagte alleine haftet.
Die Sachverständigenkosten beliefen sich insgesamt auf 670,80 €. Die hinter dem Beklagten stehende Kfz-Haftpflichtversicherung zahlte darauf nur 540,-- €. Der Differenzbetrag war an den Sachverständigen erfüllungshalber abgetreten, so dass der Sachverständige vor dem am Unfallort zuständigen Gericht klagte. Die Klage hatte nur zum Teil Erfolg.

Die zulässige Klage ist nur in Höhe von 62,38 € begründet. Der sich aus § 249 BGB ergebende Erstattungsanspruch besteht allerdings nur insoweit, als die aufgewendeten Sachverständigenkosten als erforderlicher Wiederherstellungs-aufwand im Sinne des § 249 BGB anzusehen sind. Nach der Rechtsprechung des BGH kann der Geschädigte eines Verkehrsunfalls als erforderlichen Wiederherstellungsaufwand gem. §§ 249 ff BGB die Kosten erstattet verlangen, deren Aufwendung ein verständiger und wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten als zweckmäßig und notwendig erachten darf. Das aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit sich ergebende Wirtschaftlichkeitsgebot gebietet hierbei, dass der Geschädigte im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren in Betracht kommenden Möglichkeiten zur Schadensbehebung den wirtschaftlicheren wählt.

Jedoch ist der Geschädigte gerade nicht verpflichtet, sich bei anderen Sachverständigen nach deren Preisen zu erkundigen, bevor er einen Auftrag erteilt, denn der Geschädigte ist nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Marktes verpflichtet, um einen für den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung möglich preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen. Bei der Beurteilung, welcher Wiederherstellungsaufwand erforderlich ist, ist auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten Rücksicht zu nehmen. (BGH DS 2007, 144 m. zust. Anm. Wortmann). Seiner ihn im Rahmen des § 249 BGB treffenden Darlegungslast genügt der Geschädigte regelmäßig durch Vorlage der Rechnung des mit der Begutachtung seines Fahrzeugs beauftragen Sachverständigen. Ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit des ausgewiesenen Rechnungsbetrages zur Schadensbehebung reicht dann grundsätzlich aus, um die geltend gemachte Schadenshöhe in Frage zu stellen. Denn der in Übereinstimmung mit der Rechnung tatsächlich erbrachte Aufwand bildet – ex post gesehen – bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung Erforderlichen – ex ante zu bemessenden Betrages im Sinne von § 249 II 1 BGB.

In ihm schlagen sich die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig nieder. Indes ist der von dem Geschädigten aufzuwendende Betrag nicht notwendig mit dem zu ersetzenden Schaden identisch und zwar dann, wenn die von dem Sachverständigen berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar erheblich über den üblichen Preisen liegen. Im Rahmen der Schadensschätzung nach § 287 ZPO muss hierbei dem jeweiligen Einzelfall Rechnung getragen werden. Hieran ändert sich auch nichts durch die erfolgte Abtretung. Die Berechnung des Sachverständigenhonorars in Anlehnung an den Schadenbetrag ist nach herrschender Meinung in der Rechtsprechung nicht zu beanstanden. Ein Vergleich des vorn Sachverständigen veranschlagten Grundhonorars mit den in der BVSK Honorarbefragung enthaltenen Werten zeigt, dass die vom Sachverständigen berechnete Grundvergütung in Höhe von 430,-- € innerhalb des Rahmens des üblichen Preiskorridors liegt. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Sachverständige ein pauschales Grundhonorar und daneben noch zusätzliche Nebenkosten geltend macht. Das hat der BGH in seiner Entscheidung vom 23.1.2007 – VI ZR 67/06 – (=BGH DS 2007, 144) auch nicht beanstandet.

Auch hat das Landgericht Saarbrücken in seiner Entscheidung vom 10.2.2012 - 13 S 109/10 - festgestellt, dass neben der Pauschale grundsätzlich weitere Nebenkosten abgerechnet werden können, ohne dass im Ergebnis eine Erstattungsfähigkeit der Kosten grundsätzlich verneint werden kann. Allerdings misst das LG Saarbrücken mit dem Urteil vom 19.12.2014 – 13 S 41/13 – die Nebenkosten an den Werten des JVEG. Dem folgt das erkennende Amtsgericht und setzt bei den Nebenkosten die sich aus dem JVEG ergebenden Werte als erforderlichen Herstellungsaufwand im Sinne des § 249 BGB ein. Das ergibt neben dem unbeanstandeten Grundhonorar noch weitere Nebenkosten in Höhe von 76,20 €. Unter Abzug der gezahlten 540,-- € verbleibt ein Betrag von 62,38 €, der von dem Beklagten noch gezahlt werden muss. Insoweit war der Beklagte zur Zahlung zu verurteilen.

Fazit und Praxishinweis: Diese Entscheidung der Amtsrichterin des AG Neunkirchen / Saar ist ebenso wie das in Bezug genommene Urteil des LG Saarbrücken vom 19.12.2014 – 13 S 41/13 -rechtsfehlerhaft, soweit die Grundsätze des JVEG auf die Kostenrechnung eines Privatgutachters angewendet werden. Das Grundsatzurteil des BGH vom 23.1.2007 – VI ZR 67/06 - (= BGH NJW 2007, 1450 = DS 2007, 144 mit zustimmender Anm. Wortmann), in dem der BGH die Übertragung der Grundsätze des JVEG auf Privatgutachter als nicht angebracht ansah, wird sowohl durch das LG Saarbrücken als auch durch das AG Neunkirchen missachtet. Der BGH hat mit dem Grundsatzurteil vom 23.1.2007 – VI ZR 67/06 – (=BGH DS 2007, 144) über die vom Berufungsgericht Frankfurt / Oder vorgenommene Kürzung sowohl des Grundhonorars als auch der Nebenkosten nach JVEG entschieden. Die Argumentation des LG Saarbrücken und des ihm folgenden AG Neunkirchen ist daher fehlerhaft. Auch die Rechtsprechung des OLG Saarbrücken wird vom erkennenden Gericht nicht beachtet. Auf Privatgutachter sind die Grundsätze des JVEG nicht übertragbar. Der Anwendungsbereich des JVEG ist auf die in § 1 JVEG genannten Verfahren beschränkt. Einer Übertragung der Regeln des JVEG auf Privatgutachter stehen die unterschiedlichen Haftungsregeln entgegen (BGH VersR 2006, 1131; BGH DS 2007, 144 m. Anm. Wortmann). Das gilt sowohl für das Grundhonorar als auch die Nebenkosten.
Quellen
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