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Am 6.6.2013 ereignete sich auf dem öffentlich zugänglichen Parkplatz eines Baumarktes im Amtsgerichtsbezirk Strausberg ein Verkehrsunfall zweier rückwärts ausparkender Kraftfahrzeuge. Der spätere Kläger parkte mit seinem Pkw rückwärts aus seiner Parkbucht aus. Es kam zum Zusammenstoß mit dem ebenfalls rückwärts ausparkenden Fahrer des bei der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung versicherten Fahrzeugs, wobei der Kläger behauptete, im Zeitpunkt der Kollision gestanden zu haben. Das bei der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung versicherte Fahrzeug war unstreitig in Fahrt, als es mit dem stehenden Fahrzeug kollidierte.
Der Kläger verlangte Ersatz seines vollen Schadens. Er macht auch einen höheren als den erstatteten Wiederbeschaffungsaufwand seines Fahrzeugs sowie nicht erstattete Kosten einer ergänzenden Stellungnahme des von ihm beauftragten Kfz-Sachverständigen Q. geltend. Die beklagte Kfz-Versicherung hat den hälftigen Schaden beglichen, wobei sie den bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes Restwertgebote aus dem Internet zugrunde legte. Das Amtsgericht Strausberg hat mit Urteil vom 3.7.2014 – 24 C 29/14 – die Klage abgewiesen. Das LG Frankfurt (oder) hat mit Urteil vom 8.12.2014 – 16 S 145/14 – die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter. Kurz vor der Verhandlung hat die beklagte Versicherung die Kosten der sachverständigen Stellungnahme anerkannt. Insoweit erging Teil-Anerkenntnisurteil vor dem BGH. Im Übrigen hat die Revision Erfolg.

Das angefochtene Urteil des Landgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprüfung in keinem Fall stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts streitet nach den bisherigen Feststellungen ein Anscheinsbeweis nicht für ein Mitverschulden des Klägers, der behauptet, zur Kollisionszeit bereits gestanden zu haben. Nicht frei von Rechtsfehlern sind auch die Ausführungen zur Schätzung des Wiederbeschaffungsaufwandes des Fahrzeugs des Klägers. Im Rahmen der gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und Verschuldensanteile hat das Berufungsgerichtrechtsfehlerhaft angenommen, dass der Anscheinsbeweis für ein Mitverschulden des Klägers spricht, obwohl nicht auszuschließen ist, das das Fahrzeug des Klägers bei der Kollision bereits stand. Auf dem streitgegenständlichen Parkplatz des Baumarktes sind unstreitig die Regeln der StVO anzuwenden.

Nach der wohl herrschenden Meinung bei der Verschuldensabwägung bei Parkplatzunfällen (vgl. OLG Koblenz DAR 2000, 84; OLG Stuttgart NJW 2004, 2255 f; OLG Jena NZV 2005, 432; OLG Dresden NZV 2007, 152; OLG Saarbrücken NJW-RR 2015, 223; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 43. A. § 8 StVORn. 31a und § 9 StVO Rn. 51) spricht der Anscheinsbeweis gegen den Rückwärtsfahrenden, wenn es in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Rückwärtsfahren zu einer Kollision kommt (vgl. auch OLG Celle OLGR 2007, 585; OLG Dresden SP 2010, 174; LG Saarbrücken DAR 2013, 520 f.; König aaO.). Das soll auch gelten, wenn der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt bereits stand. Der Anscheinsbeweis soll erst dann entfallen, wenn der Rückwärtsfahrende zum Unfallzeitpunkt längere Zeit gestanden hat (vgl. KG ZfS 2011, 255; OLG Hamm NZV 2013, 123f; LG Saarbrücken DAR 2013, 520 ff.; Freymann DAR 2013, 73, 77 ff.). Das entspricht allerdings nur zum Teil der Rechtsprechung des erkennenden Senats.

Die Anwendung des Anscheinsbeweises auch bei Verkehrsunfällen setzt Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Mithin muss es sich um Tatbestände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist (vgl. BGH VersR 211, 234 Rn. 7; BGHZ 192, 84 Rn. 7 mwN.). Der Anscheinsbeweis gilt daher grundsätzlich immer dann, wenn der Rückwärtsfahrende in Bewegung war, als es zum Unfall kam. Die geforderte Typizität liegt aber regelmäßig nicht vor, wenn feststeht, dass zunächst rückwärts gefahren wurde, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Fahrzeug bereits stand, als der andere Unfallbeteiligte in das stehende Fahrzeug fuhr.

Der auf einem öffentlichen Parkplatz rückwärtsfahrende Verkehrsteilnehmer muss mit geringer Geschwindigkeit fahren und bremsbereit sein, um jederzeit anhalten zu können. Hat ein Fahrer diese Verpflichtung erfüllt und gelingt es ihm, vor einer Kollision zum Stehen zu kommen, so ist für einen Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden kein Raum. Wegen der vorstehenden Ausführungen ist der Rechtsstreit bereits wegen der fehlerhaften Anwendung des Anscheinsbeweises an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Zudem sind auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Schätzung des Wiederbeschaffungsaufwandes des klägerischen Fahrzeuges nicht rechtsfehlerfrei. Das Berufungsgericht wird im Rahmen seines Ermessens prüfen müssen, ob die von dem Sachverständigen in seinem Ergänzungsgutachten aufgeführten Gründe zum höheren Wiederbeschaffungsaufwand nicht zu berücksichtigen sind. Die von der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung vorgelegte Internet-Recherche über Restwerte ist keine tragfähige Grundlage für eine Schadenshöhenschätzung nach § 287 ZPO. Insoweit durfte das Berufungsgericht nicht von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absehen. Auch insoweit ist der Rechtsstreit zurückzuverweisen. Da die Beklagte die Kosten der gutachterlichen Stellungnahme anerkannt hat, war sie durch entsprechendes Teil-Anerkenntnisurteil zu verurteilen.

Fazit und Praxishinweis:
Das Urteil des BGH vom 15.12.2015 hat in zweierlei Sicht Bedeutung. Zum einen hat der BGH nunmehr über den Verschuldensbeitrag eines rückwärtsfahrenden, aber im Zeitpunkt des Unfalls stehenden Kraftfahrers bei einem Parkplatzunfall mit zwei rückwärts ausparkenden Fahrzeugen entschieden. Der Anscheinsbeweis gegen den Rückwärtsfahrer gilt dann nicht mehr, wenn der im Zeitpunkt der Kollision bereits stand, als der Unfallgegner in das stehende Fahrzeug fuhr. Zum anderen hat der BGH mit diesem Urteil erneut entschieden, dass die Restwertgebote aus dem Internet keine tragfähige Basis für die Schadenshöhenschätzung bezüglich des Wiederbeschaffungsaufwandes sein können. Der Geschädigte muss sich regelmäßig nicht auf den Internetrestwertmarkt verweisen lassen.
Quellen
    • Foto: Archiv Unfallzeitung