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OLG München entscheidet zum Anscheinsbeweis und zur Haftungsverteilung bei Unfall beim Spurwechsel
OLG München Endurteil vom 21.4.2017 – 10 U 4565/16 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Wer kennt sie nicht, die Situation beim Spurwechsel, weil eine Baustelle oder eine Unfallstelle eine Fahrspur blockiert. Es gilt dann zwar grundsätzlich das Reißverschlussverfahren. Da bedeutet, dass erst der auf der Zielspur fahrende Fahrzeugführer fährt, dann der Spurwechsler, dann wieder derjenige auf der Zielspur usw. Wie sieht es aber mit der Haftung aus, wenn es zur Kollision zwischen dem die Spur wechselnden Fahrzeug und dem sich bereits auf der Zielspur befindlichen Fahrzeug kommt? Diese Frage hatte der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München zu entscheiden.
Auf einer doppelspurigen Bundesfernstraße kam es zu einem Verkehrsunfall. Aufgrund einer Fahrbahnverengung musste der Verkehr auf der Überholspur auf die Normalspur überwechseln. Auf der Normalspur fuhr der Lkw der beklagten Firma. Auf der Überholspur fuhr der Porsche der Klägerin, gesteuert von dem Zeugen Dr. T. Der Zeuge versuchte noch vor dem Lkw auf die Normalspur zu gelangen. Dabei kam es zur Kollision mit dem Lkw. Die Eigentümerin des Porsche-Pkws begehrt Schadensersatz von dem Halter des Lkws. Das Landgericht München II hat mit Endurteil vom 14.10.2016 – 12 O 3303/16 – eine Haftungsverteilung von 50 zu 50 vorgenommen. Seitens der beklagten Firma wurde Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt. Die Berufung hatte Erfolg.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Die vom Erstgericht vorgenommene Haftungsverteilung von 50 zu 50Prozent kann keinen Bestand haben. Vielmehr haftet die Klägerin alleine. Denn zu Lasten der Klägerin ist von einem Verstoß gegen § 7 V 1 StVO auszugehen. Im Rahmen der gemäß § 17 I, II StVG vorzunehmenden Haftungsverteilung tritt in Fällen des Verstoßes gegen äußerste Sorgfalt fordernde Vorschriften, wie z.B. § 7 V StVO, die allgemeine Betriebsgefahr regelmäßig zurück (vgl. König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht, 44. A. § 17 StVG, Rdnr. 16 mwN.). Auch bei Kollisionen beim Spurwechsel, die sich im Zusammenhang mit dem sogenannten Reißverschlussverfahren ereignen, gilt nichts Anderes (vgl. KG Beschl. v. 19.10.2009 – 12 U 227/08 -; LG Darmstadt VRS 100, 430,432). So ist es auch hier.

Der Zeuge Dr.T. ist mit dem Porsche der Klägerin auf die Normalspur gewechselt, auf der der Lkw der Beklagten fuhr. Auch wenn sich der Verstoß des Spurwechslers gemäß § 7 V 1 StVO im Zusammenhang mit dem Reißverschlussverfahren ereignet, bleibt es nach Ansicht der erkennenden Zivilkammer bei einem Verstoß gegen die Vorschrift des § 7 V StVO, da diese Vorschrift eine die äußerste Sorgfalt fordernde Norm ist und damit die allgemeine Betriebsgefahr regelmäßig zurücktritt. Es bleibt daher bei einem Verschulden der Klägerin. Eine Mithaftung des Bevorrechtigten kommt nur dann in Betracht, wenn er die Gefahr einer Kollision auf sich zukommen sah und unfallverhütend hätte reagieren können (so: OLG Düsseldorf Urt. v. 22.7.2014 – 1 U 152/13 -). Die Beweislast dafür trägt der Spurwechsler. Derartiges wurde aber von der Klägerin nicht vorgetragen.

Fazit und Praxishinweis: Bei Unfällen im Rahmen des Spurwechsels spricht zunächst der Beweis des ersten Anscheins für einen Verstoß des Spurwechslers gegen die Sorgfaltspflichten aus § 7 V 1 StVO. Die für die Annahme eines Anscheinsbeweises erforderliche Typizität entfällt nicht, wenn es sich um einen Spurwechselvorgang im Reißverschlussverfahren handelt. Damit stellt sich das OLG München mit dieser Entscheidung gegen AG Dortmund Urt. v. 23.2.2010 – 423 C 12873 -) und bestätigt die wohl herrschende Rechtsprechung mit KG BeckRS 2005, 09634 und OLG Düsseldorf Urt. v. 22.7.2014 – 1 U 152/13 -.
Quellen
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