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OLG Hamm urteilt zur Informationspflicht einer Werkstatt bei Rückrufaktionen der Herstellerfirma
OLG Hamm Berufungsurteil vom 8.2.2017 – 12 U 101/16 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Bezeichnet sich eine Werkstatt als Fachwerkstatt für Fahrzeuge einer bestimmten amerikanischen Herstellerfirma, so erwartet der Kunde, dass sich die Fachwerkstatt um sicherheitsrelevante Informationen der amerikanischen Herstellerfirma auch im Rahmen einer Inspektion kümmert. Das gilt auch für sogenannte „Grauimporte“, wie das OLG Hamm in einer jüngsten Berufungsentscheidung ausgeführt hat, über die die Unfallzeitung bereits kurz informiert hatte.
Die spätere Klägerin ist Eigentümerin eines Fahrzeugs Typ D der Marke E, das sie am 27.10.2010 erworben hatte. Bei dem Fahrzeug handelt es sich um ein Importfahrzeug, das in den USA hergestellt und lediglich im Importweg in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt wird. In Deutschland existierten im streitgegenständlichen Zeitraum für die Automarke kein autorisiertes Händlernetz und keine Niederlassungen des Unternehmens. Die spätere Beklagte betreibt eine Fachwerkstatt für Kraftfahrzeuge und wirbt für sich als autorisierte Fachwerkstatt mit Service für Fahrzeuge der Marke E. Die spätere Klägerin ließ bei der späteren Beklagten Reparatur- und Wartungsarbeiten an ihrem Fahrzeug durchführen. Ab Februar 2013 fand eine Rückrufaktion des Herstellers E statt, die auch die Baureihe des Fahrzeugs der Klägerin betraf. Die Rückrufaktion betraf eine Mutter im Getrieberad der Hinterachse.

Die Klägerin erhielt vom Hersteller keinerlei Kenntnis von der Rückrufaktion. Bei den inspektionsarbeiten bei der Beklagten wurden die Anweisungen des Herstellers gemäß der Rückrufaktion nicht umgesetzt. Ein halbes Jahr später erlitt das Fahrzeug der Klägerin aufgrund der Blockade der Hinterachse während der Fahrt erhebliche Beschädigungen. An der Hinterachse trat Totalschaden ein. Wäre entsprechend dem Rückruf die Mutter an der Hinterachse befestigt worden, wäre der Schaden nicht eingetreten. Nachdem die Klägerin durch eigene Nachforschungen Kenntnis von der Rückrufaktion erlangt hatte, nahm sie die beklagte Fachwerkstatt auf Schadensbeseitigung in Anspruch. Sie leitete zunächst ein selbständiges Beweissicherungsverfahren bei dem Landgericht Bochum ein, in dem der Sachverständige L. ein Gutachten nebst Ergänzungsgutachten erstattete. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin auf Grundlage eines Kostenvoranschlages die Erstattung fiktiver Netto-Reparaturkosten von 6.058,32 € sowie merkantilen Minderwert von 2.521,01 €. Das Landgericht Bochum hat mit Urteil vom 16.6.2016 – 6 O 229/15 – der Klage stattgegeben. Die von der Beklagten erhobene Berufung hatte keinen Erfolg.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch aus den §§ 280 I, 634 Nr.4, 633 II Nr. 2 BGB zu. Unstreitig hat die Klägerin die Beklagte am 31.10.2013 mit der Inspektion ihres Wagens vom Typ D der Herstellerfirma E. beauftragt. Es handelt sich um einen Werkvertrag. Der ist darauf gerichtet, dass das Fahrzeug für die nächste Zeit gebrauchs- und fahrbereit ist. Diesen Werkvertrag hat die Beklagte verletzt, indem sie es unstreitig unterlassen hat, die Klägerin über das Bestehen der Rückrufaktion zu informieren. Die beklagte war aufgrund des Wartungsvertrages verpflichtet, sich diezumutbar zu erlangenden Kenntnisse von derart schwerwiegenden, sicherheitsrelevanten Mängeln zu verschaffen. Gegenstand des zwischen den Parteien geschlossenen Werkvertrages war unstreitig die kleine Inspektion. Auch wenn die Arbeiten im Verhältnis zu einer großen Inspektion geringer sind, hatte eine umfassende Prüfung der Verkehrssicherheit des Fahrzeugs zu erfolgen. Das beinhaltet auch die Überprüfung der zur Verfügung stehenden Informationsquellen, wie die Internetseite des Herstellers. Dann wäre die Beklagte auch auf die Rückrufaktion gestoßen. Nach außen hin ist die Beklagte nämlich als Fachwerkstatt gerade für die Fahrzeuge der Firma E aufgetreten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass es sich bei dem Fahrzeug der Klägerin um einen sogenannten „Grauimport“.

Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, bewirbt die Beklagte ihr Unternehmen mit „autorisierte Service-Vertragswerkstatt“ auch für die Marke E, ohne eine Beschränkung auf in Deutschland vertriebene oder offiziell importierte Fahrzeuge vorzunehmen. Damit war aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Betrachters an der Stelle der Klägerin nicht zu erkennen, dass „grau importierte“ Fahrzeuge einer weniger effektiven Fehlerkontrolle unterliegen als regulär vertriebene oder importierte Fahrzeuge der Firma E. Im Rahmen des Werkvertrages war es Aufgabe der Beklagten, sich als Fachwerkstatt selbst über Rückrufaktionen der Herstellerfirma E zu informieren. Entgegen der Auffassung der Beklagten werden hierdurch die werkvertraglichen Pflichten nicht über Gebühr ausgeweitet. Selbst wenn das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg erst später über die Rückrufaktion der Firma E informiert sein sollte, entlastet das nicht die Beklagte, selbst aktiv sich um die erforderlichen Informationen zu kümmern. Das Vertretenmüssen der Beklagten wird nach § 280 I 2 BGB vermutet. Das Landgericht hat festgestellt, dass die fiktiven Mängelbeseitigungskosten 6.058,32 € betragen und auch nach der Reparatur ein merkantiler Minderwert von 2.521,01 € verbleibt. Dies greifen die Parteien im Berufungsverfahren nicht an. Es handelt sich demnach um einen gemäß §§ 249 I, 251 I BGB ersatzfähigen Schaden.

Fazit und Praxishinweis: Zutreffender Weise hat der Berufungssenat den der Klägerin entstandenen Schaden bezüglich der Wiederherstellungskosten über § 249 I BGB und den Anspruch auf Erstattung der merkantilen Wertminderung über § 251 BGB gelöst. Aufgrund des zwischen den Vertragsparteien abgeschlossenen Werkvertrages hat der Werkunternehmer bestimmte Hinweis- und Informationspflichten. Dies gilt umso mehr, wenn sich die mit der Inspektion beauftragte Werkstatt als „Fachwerkstatt“ für Fahrzeuge der betreffenden Marke bezeichnet. Es entsteht dadurch auch für unbeteiligte Dritte der Anschein, dass gerade in dieser Werkstatt die Informationen der Herstellerfirma beachtet werden. Das gilt auch für Rückrufaktionen.
Quellen
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