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Kontrovers: Sollen Alleebäume gepflegt oder abgeholzt werden?
Verkehrssicherheit oder Kulturgut | Streit beim Verkehrsforum des DVR

RobGal

Fast unversöhnlich standen sich beim 21. Verkehrsforum ''Sicherheit und Mobilität'' des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) in Köln Verkehrssicherheitsexperten und Baumschützer gegenüber. Streitgegenstand: die Allee. Denn einerseits sind Bäume an Straßen natürliche Kulturgüter einer Region, deren Geschichte Jahrhunderte zurück reicht. Andererseits stellen sie ein Verkehrssicherheitsrisiko dar.
Erschreckend hoch ist die Zahl der bei einem Baumunfall getöteten Autofahrer. Laut Uwe Ellmers von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) starb 2013 gut jeder vierte tödlich verunglückte Autoinsasse an einem Baum, insgesamt 507. Bei den Schwerverletzten war zu 16 Prozent ein Baum beteiligt (3.990 Personen). Die meisten Unfallopfer kommen nach rechts von der Fahrbahn ab, dabei sind besonders häufig junge Fahrer bis 34 Jahre betroffen, so der Verkehrswissenschaftler Ellmers.

"Im Altertum gab es meist keine Bäume an Straßen", sagte Reinhold Maier, Professor für Straßenverkehrstechnik an der TU Dresden. Die Wege hatten einen unklaren Verlauf und wurden mit Steinen markiert. Bäume fand man in den Jahren zu Beginn unserer Zeitrechnung nur in Ortschaften oder an Ruheplätzen, wo die Reisenden in ihrem Schatten rasteten. Die ersten Straßen mit Bäumen rechts und links führten durch Wälder. Bereits damals war diese Art der Straße umstritten, bargen Chausseen doch die Gefahr von Raubüberfällen. Im 19. Jahrhundert wurden Alleen zur Orientierung und als "Windbremse" angelegt. Die Kronen der eng beieinander am Straßenrand gepflanzten Bäume schützten Soldaten, Reiter und Reisende vor Sonne und Witterung. Alleen wurden aber auch zur Machtdemonstration angelegt. Noch heute sind die zu Schlössern und Adelshäusern führenden Alleen imposant. Neben Ahorn-, Kastanien- und Fichten- gab es auch Obstbaum-Alleen "zum Nutzen der Bediensteten", so Professor Maier, die sowohl die Früchte wie das Holz für sich verwendeten.

Unfallvermeidung oder Umweltschutz?

Mit dem Aufkommen des Autoverkehrs änderte sich die Sichtweise auf Straßenbäume grundlegend. Verkehrssicherheit und Unfallvermeidung wurden wichtiger. Während sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Autoverkehr in der DDR nur langsam entwickelte und deshalb die Landstraßenalleen erhalten blieben, fielen sie 1960/70 in der Bundesrepublik häufig der Kreissäge zum Opfer. Die Sicherheit der Autofahrer stand im Fokus. Daher findet man Alleen vor allem in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt, aber auch in Hessen und Nordrhein-Westfalen, wo über 3.300 Kilometer Alleen erfasst sind. In Brandenburg sind 4.500 Kilometer von Gehölz gesäumt, in ganz Deutschland sind über 10.000 Alleen-Kilometer vermerkt.

"Alleen bewegen die Menschen emotional", betonte Christoph Rullmann, Bundesgeschäftsführer der "Schutzgemeinschaft Deutscher Wald" (SDW) auf dem DVR-Forum. Straßenbäume, Alleen und die (für Autofahrer nicht weniger gefährlichen) Hecken sind nicht nur schön anzuschauen, sie bieten auch vielen Insekten, Kleintieren, Vögeln und Fledermäusen Unterschlupf sowie Nistgelegenheiten und filtern die Schadstoffe aus der Luft und spenden Schatten.

Zur Rettung der historischen Alleen wurde zusammen mit dem ADAC 1993 die Ferienroute "Deutsche Alleenstraße" eröffnet. Sie ist heute insgesamt 2.900 Kilometer lang, besteht aus zehn Teilstücken und führt von der Ostseeinsel Rügen durch neun Bundesländer bis zur Bodensee-Insel Reichenau. Die Alleebäume sind jedoch gefährdet, denn noch immer werden mehr abgeholzt als nachgepflanzt. Waldschützer Christoph Rullmann fragt daher: "Es gibt sie noch, die grünen Haine des Reisens – aber wie lange noch?"

Neue Alleen anzupflanzen oder Lücken zu schließen ist heute ein schwieriges Unterfangen. Denn zuerst kommt die Verkehrssicherheit, dann der Umwelt- und Tierschutz sowie die Kultur. Dabei müssen sowohl europäische Gesetze und Vorschriften als auch deutsche Empfehlungen beachtet werden. Weil sich Baumunfälle in der Regel ohne Einwirken eines anderen Verkehrsteilnehmers ereignen, wird versucht, Platz für die Autofahrer durch breitere Alleenstraßen und angrenzende Böschungen statt Gräben zu schaffen. Vor allem dürfen Bäume nicht zu dicht beieinander oder direkt am Straßenrand stehen. Bei Neuanpflanzungen ist aus Sicherheitsgründen sowohl ein Mindestabstand zur Straße (7,50 Meter) einzuhalten als auch von einem Baum zum nächsten (zehn Meter).

Da Baumunfälle in den allermeisten Fällen schwere Folgen nach sich ziehen, sollte ein neuer Baum "bereits bei der Anpflanzung mit Schutzeinrichtungen gesichert werden", empfiehlt Uwe Ellmers. Das gilt vor allem für alleinstehende Bäume, die manchen zu schnell Fahrenden geradezu magisch anzuziehen scheinen. Von schwedischen Crashtests weiß man aber auch, dass selbst dünne Bäume bei einem Frontalaufprall bis in die Fahrgastzelle eindringen und bei 70 km/h kaum Überlebenschancen lassen.

Um Unfälle zu verhindern, müssen Alleen besonders gepflegt werden. Verkehrsexperten empfehlen gut sichtbare Fahrbahnmarkierungen und regelmäßiges Entfernen von Laub und Schnee, aber auch die Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit. In Brandenburg, dem Alleen-Spitzenreiter, gab es im vergangenen Jahr 49 Prozent aller durch einen Baumaufprall tödlich Verunglückten. Hier wurde in Alleen ein generelles Tempolimit von 70 km/h eingeführt, davor galt Tempo 80 oder 100. Allerdings beklagen Polizisten immer wieder, dass gerade diejenigen sich nicht an solche Geschwindigkeitsbeschränkungen hielten, für die sie gedacht seien.

Der DVR wendet sich gegen Neu- und Nachpflanzungen von Alleen. Im Tenor des Verkehrsforums in Köln sprach man sich für das Fällen von Bäumen an Verkehrsstraßen nur für den Fall aus, dass alle anderen Maßnahmen wirkungslos blieben.
Quellen
    • Text: Beate M. Glaser (Kb)
    • Foto: Andreas F. - Fotolia.com