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LG Fulda verneint Anwendung des JVEG auf Privatgutachten nach Unfall
LG Fulda Berufungsurteil vom 24.4.2015 – 1 S 168/14 –

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Anfang November 2013 ereignete sich im Amtsgerichtsbezirk Bad Hersfeld ein Verkehrsunfall, bei dem der spätere Kunde des klagenden Kfz-Sachverständigen geschädigt wurde, indem sein Pkw erheblich beschädigt wurde.
Er beauftragte den späteren Kläger mit der Erstellung des Schadensgutachtens. Gleichzeitig erfolgte eine Abtretungsvereinbarung. Das Gutachten berechnete der Kläger mit insgesamt 667,59 €. Das Grundhonorar war mit 450,-- € netto angegeben. Hinzukommen Nebenkosten in Höhe von zusammen 111,-- € netto.Die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung zahlte vorgerichtlich lediglich 581,-- €. Sie hält das berechnete Honorar insgesamt für überhöht.

Der Kfz-Sachverständige klagte den Differenzbetrag bei dem zuständigen Amtsgericht Bad Hersfeld ein. Dies wies mit Urteil vom 6.11.2014 – 10 C 216/14 (20) - im Wesentlichen die Klage ab und verwies auf die Beträge des JVEG. Auf die vom Amtsgericht zugelassene Berufung änderte die Berufungskammer des Landgerichts Fulda das angefochtene Urteil ab und verurteilte zur Zahlung, weil der Kläger Anspruch auf die volle Rechnungssumme hat.

Die Berufung des Klägers hat Erfolg.Der Kläger hat gegen die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung Anspruch auf Zahlung von 86,59 € aus abgetretenem Recht. Durch die Abtretung des Schadensersatzanspruchs durch den Geschädigten bleibt der Anspruch inhaltlich unberührt. Auch der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22.7.2014 – VI ZR 357/13 – (die Unfallzeitung hatte bereits mehrfach auf dieses BGH-Urteil hingewiesen) lagen abgetretene Ansprüche des Geschädigten an den Sachverständigen zu Grunde. Gleichwohl hat der Bundesgerichtshof bei der Prüfung der Anspruchshöhe denjenigen Maßstab angewandt, welcher für den originären Anspruch des Geschädigten entwickelt wurde. Demnach kann der Geschädigte vom Schädiger nach § 249 II 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Allerdings ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen.

Auch ist der Geschädigte grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Markts verpflichtet, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen (BGH aaO.; BGH DS 2007, 144; BGH DS 2014, 90). Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast zur Schadenshöhe regelmäßig durch Vorlage einer Rechnung des von ihm zur Schadensbeseitigung in Anspruch genommenen Sachverständigen. Die tatsächliche Rechnungshöhe bildet bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrags i.S.v. § 249 II 1 BGB, schlagen sich in ihr doch die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls einschließlich der – vor dem Hintergrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung relevanten – beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig nieder.

Letztlich sind allerdings nicht die rechtlich geschuldeten, sondern die i.S.v. § 249 II 1BGB tatsächlich erforderlichen Kosten entscheidend. Ein Indiz für die Erforderlichkeit bildet aber die Übereinstimmung des vom Geschädigten erbrachten Kostenaufwands mit der Rechnung und der ihr zugrundeliegenden getroffenen Preisvereinbarung, sofern diese nicht auch für den Geschädigten deutlich erkennbar erheblich über den üblichen Preisen liegt. Nach den vorgenannten Grundsätzen hat der Kläger durch Vorlage der Rechnung grundsätzlich die Notwendigkeit der dem Geschädigten angefallenen Kosten hinreichend dargelegt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die abgerechneten Kosten – insbesondere die Nebenkosten – die branchenüblich im Bezirk des Sachverständigen abgerechneten Kosten erheblich und für den Geschädigten erkennbar übersteigen, hat die Beklagtenseite nicht aufgezeigt.

Allein aus dem Umstand, dass der Geschädigte sich möglicherweise vorliegend nicht über die Preismodalitäten informierte, können keine für ihn nachteiligen Rückschlüsse gezogen werden, da nicht ersichtlich ist, dass bei entsprechender Nachfrage beim Kläger hinsichtlich der Preisgestaltung für den Geschädigten eine deutliche Überhöhung der branchenüblichen Preise erkennbar gewesen wäre.

Im Wesentlichen bewegen sich die vom Kläger abgerechneten Positionen schon nicht außerhalb des üblichen Preisniveaus, wie ein Vergleich mit den Ergebnissen der BVSK-Umfrage 2013 zeigt. Mithin kann hier schon objektiv nicht von einem branchenunüblich hohen Honorar ausgegangen werden. Hinsichtlich des Grundhonorars bietet die BVSK-Umfrage eine anerkannte Schätzgrundlage. Auch aus dem Verhältnis zwischen Nebenkosten und Grundhonorar ergab sich für den Geschädigten im vorliegenden Fall kein Anlass, an der Branchenüblichkeit der in Rechnung gestellten Preise zu zweifeln.

Die Nebenkosten machen vorliegend etwa 20% der Gesamtrechnungssumme aus und belaufen sich auf etwa 25% des Grundhonorars. Zumindest dann, wenn die Nebenkosten nicht mehr als 25% des Grundhonorars ausmachen – und das Grundhonorar als solches nicht überhöht ist – gibt es für den Geschädigten grundsätzlich keinen Anlass, an der Branchenüblichkeit und Notwendigkeit der Nebenkosten zu zweifeln (so auch OLG Frankfurt, Urteil vom 28.1.2014 - 16 U 103/13 - m.w.N.). Schon aus diesem Grund kann der Schädiger daher vorliegend Ersatz der vollen Rechnungshöhe verlangen. Daher kann vorliegend hinsichtlich der Frage, ob die abgerechneten Nebenkosten branchenüblich waren, zudem auch die BVSK-Umfrage 2013 herangezogen werden. Ein Vergleich der abgerechneten Positionen hiermit ergibt, dass die Nebenkosten vorliegend größtenteils im insoweit vorgegebenen Rahmen liegen, was ebenfalls gegen eine erkennbare Überhöhung der Nebenkosten spricht. Daher hat der Kläger Anspruch auf Ausgleich der vollen Rechnungssumme.

Fazit und Praxishinweis: Mit diesem Berufungsurteil hat die 1. Zivilkammer des LG Fulda als zuständige Berufungskammer das auf JVEG basierende Urteil des AG Bad Hersfeld wieder gerade gerückt. Der erkennende Richter des AG Bad Hersfeld hatte, offenbar durch die Schriftsätze der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung beeinflusst,argumentiert, dass das Grundsatz-Urteil des BGH vom 23.1.2007 mit dem AktenzeichenVI ZR 67/06 -(= BGH NJW 2007, 1450 = BGH DS 2007, 144 m. zust. Anm. Wortmann) in Sachen JVEG nur das Grundhonorar betrifft. Hier in der Unfallzeitung wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass der BGH mit dem Urteil vom 23.1.2007 – VI ZR 67/06 - über eine Sachverständigenkostenrechnung des Sachverständigen Q. entschieden hat, bei der das Berufungsgericht das Grundhonorar sowie die Nebenkosten nach dem JVEG gemessen hat. Der BGH hatte dies revisionsrechtlich beanstandet. Zu Recht ist im Ergebnisdas Landgericht Fulda dem gefolgt und die JVEG-basierte Schätzung aus dem amtsgerichtlichen Urteil verworfen. Die Grundsätze des JVEG sind nicht auf Rechnungen von Privatgutachtern anzuwenden. § 1 des JVEG bestimmt eindeutig, für welche Sachverständige die Regeln des JVEG anzuwenden sind, nämlich nur auf die gerichtlich bestellten Sachverständigen.
Quellen
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