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Am 24.6.2011 ereignete sich in Frankreich ein Verkehrsunfall. Geschädigt wurde dabei eine deutsche Spedition, die Eigentümerin des verunfallten Lkws ist. Der deutsche Lkw wurde von dem Zeugen X. gesteuert.
Verursacht wurde der Unfall durch eine aus einer nicht beschilderten Einfahrt herausfahrenden Fahrerin eines französischen Pkws, der bei der später beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung haftpflichtversichert war. Der Reparaturschaden am Lkw betrug laut Schadensgutachten 1.903,39 €. Der Gutachter berechnete 453,50€. Zuzüglich der Unkostenpauschale von 26,-- € machte die Geschädigte insgesamt 2.382,89 € geltend.

Die französische Haftpflichtversicherung erstattete keinen Schadensersatz. Die deutsche Spedition klagte vor dem deutschen Amtsgericht. Dieses wies die Klage als unzulässig ab. Das LG Saarbrücken legte den Rechtsstreit dem EuGH vor, der das Urteil aufhob und an das Erstgericht zurückverwies.Das Erstgericht führte daraufhin eine Beweisaufnahme durch und wies dann erneut die Klage als unbegründet zurück. Dagegen richtete sich die Berufung. Die Berufungskammer des LG Saarbrücken holte kein Rechtsgutachten ein, sondern entschied in Kenntnis der Rechtslage in Frankreich. Sie ist überwiegend begründet.

Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Amtsgericht angenommen, dass der vorliegende Verkehrsunfall gemäß Art. 4 I in Verbindung mit Art. 18 der VerordnungNr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 11. Juli 2007 (ABl. EU L Nr. 199, S. 40; im Folgenden Rom II VO) nach französischem Recht zu beurteilen ist. Nach Art. 4 I Rom II VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründendeEreignis oder indirekte Schadensfolgeneingetreten sind (sog. Erfolgsortprinzip, vgl. Geigel/Haag, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl. 2011, Kap. 43 Rdn. 59). Die Regelung findet hier Anwendung, da es sich um einen Anspruch aus einem Verkehrsunfall handelt (vgl. LG Saarbrücken Urteil vom 9.3.2012 – 13 S 51/11 - = NJW-RR 2012, 885 ff), der nach dem 11.1.2009 entstanden ist. Für die hier geltend gemachten Schäden ist Erfolgsort der Tatort - hier Frankreich (vgl. LG Saarbrücken aaO.; LG Frankenthal, Urteil vom 14.4.2011 – 4 O 155/09 -;Riedmeyer, ZfS 2008, 602, 608).

Die Kammer sieht sich zur Beurteilung der im vorliegenden Fall relevanten Fragen des französischen Rechts - einschließlich der gebotenen Ermittlung der Rechtspraxis der Gerichte des betroffenen Landes (vgl. BGH ZIP 2001, 675; Saarländisches Oberlandesgericht SVR 2014, 228 ff.) aufgrund eigener Sachkunde imstande. Die Kammer war in den zurückliegenden Jahren aufgrund ihrer Spezialzuständigkeitfür Straßenverkehrsunfallsachenin zahlreichen Verfahren, auch sachverständig beraten, mit einer größeren Zahl von Verkehrsunfällen nach französischem Recht befasst und verfügt über ein Mitglied mit Studienerfahrungim französischen Schuldrecht. Einwendungen hiergegen haben die Parteien auf entsprechenden Hinweis der Kammer hin nicht erhoben.Zu Recht hat das Erstgerichtangenommen, dass die Beklagte dem Grunde nach für den Unfallschaden einzustehen hat.

Nach Art. 124-3 Code des Assurances besteht ein Direktanspruchgegen das französische Haftpflichtversicherungsunternehmen(vgl. BGH MDR 2012, 465; LG Saarbrücken aaO.). Auch hat das Erstgericht die grundsätzliche Haftung der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung zutreffend beurteilt. Zu Unrecht hat allerdings das erstinstanzliche Gericht einen Mitverursachungsanteil der Geschädigtenseite angenommen. Einen Nachweis für ein Mitverschulden auf Seiten der Geschädigten konnte entgegen der Ansicht des Erstgerichts jedoch nicht nachgewiesen werden. Die zu beachtenden Verkehrsvorschriften richten sich nach französischem Recht. Danach war der Verkehr auf dem Boulevard nicht vorfahrtsberechtigt. Wenn es dann im Kreuzungsbereich des Boulevard zur von rechts einmündenden Straße zu einem Unfall kommt, spricht der Beweis des ersten Anscheinsfür das Verschulden desauf dem Boulevard fahrenden Kraftfahrzeugführers.

Auch im französischem Recht gilt die Vorfahrtsregel "rechts vor links", wenn keine vorfahrtsregelnden Verkehrszeichen aufgestellt sind. So war es im streitgegenständlichen Fall. Der von der Klägerin geltend gemachte Schaden ist auch ganz überwiegend ersatzfähig. Auch nach französischem Recht kann der Geschädigte eines Verkehrsunfalls die Kosten für die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs grundsätzlich ersetzt verlangen, ohne den Nachweis einer Reparatur erbringen zu müssen. Ein Totalschaden , bei dem Sonderregelungen gelten, liegt nicht vor. Auch die Sachverständigenkosten sind nach französischem Recht zu ersetzen. Allerdings kann der Kläger eine Unkostenpauschale , wie im deutschen Recht, nicht verlangen.

Fazit und Praxishinweis: Dass gegebenenfalls der deutsche Richter bei einem Unfall mit Auslandsbezug ausländisches Recht anwenden muss, wenn das internationale Privatrecht dies bestimmt, ist bekannt. Der deutsche Richter bedient sich gemäß § 293 ZPO in der Regel der Einholung eines Rechtsgutachtens. Die 13. Zivilkammer als Berufungskammer des LG Saarbrücken hat mit der obigen Entscheidung auf ein Rechtsgutachten verzichtet und aufgrund eigener Sachkenntnis entschieden. Das ist ein Novum. In der Sache selbst ist festzuhalten, dass es auch in Frankreich die Regel "rechts vor links" gibt, wenn vorfahrtsregelnde Verkehrszeichen nicht aufgestellt sind. Wenn es im Einmündungsbereich zu einem Unfall kommt, spricht zunächst der Beweis des ersten Anscheins für den von rechts einfahrenden Kraftfahrzeuglenker. Diese Beweisvermutung kann allerdings widerlegt werden.
Quellen
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