OLG Hamm urteilt zu Unfall zwischen Radfahrer in falscher Richtung und vorfahrtsverletzendem Pkw-Fahrer
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RobGal -
20. September 2017 um 15:23 -
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Die Geschädigte war am 8.11.2013 um 16.45 Uhr in Marl mit ihrem Fahrrad unterwegs. Zur gleichen Zeit befuhr der beklagte Kfz-Fahrer mit seinem Pkw Mercedes eine untergeordnete Seitenstraße in Richtung der Hauptstraße, auf der die Radfahrerin zunächst auf dem gemeinsamen Geh- und Radweg fuhr, der allerdings vor der Einmündung zur Seitenstraße nicht weiter fortgeführt wurde und deshalb für Radfahrer nicht mehr frei gegeben war. Die Radfahrerin wollte nach links in die Seitenstraße einbiegen. Der Pkw-Fahrer wollte von der untergeordneten Seitenstraße nach rechts einbiegen. Es kam zur Kollision. Die Radfahrerin stürzte und verletzte sich schwer. Bevor der Mercedes-Pkw zum Stillstand kam, schob er das Rad und die Klägerin noch 3 bis 5 Meter über die Fahrbahn. Die Geschädigte verlangte vollen Schadensersatz für die erlittenen materiellen und immateriellen Schäden. Das in erster Instanz zuständige Landgericht Essen hat mit Urteil vom 30.9.2016 – 9 O 322/15 – eine Haftung der klagenden Radfahrerin von 20 % für Mit- bzw. Eigenverschulden angenommen. Hiergegen richtete sich die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin. Das OLG Hamm hat ein verkehrsanalytisches Gutachten eingeholt. Die Berufung der Beklagten hatte zum Teil Erfolg.
Die Beklagten haften der Klägerin gegenüber zu einer Quote von 2/3 zu 1/3. Der Anspruch der Klägerin auf Ersatz der materiellen und immateriellen Schäden ergibt sich aus den §§ 7 I, 11 StVG, 823 I und II BGB in Verbindung mit § 229 StGB, §§ 249, 253 BGB in Verbindung mit § 115 I 1 Nr. 1 VVG. Die Haftungsvoraussetzungen nach § 7 I StVG sind erfüllt. Der Unfall ereignete sich beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges. Der Unfall beruhte nicht auf höherer Gewalt im Sinne des § 7 II StVG. Eine Haftungsabwägung nach § 17 StVG findet nicht statt, da die Klägerin kein Kraftfahrzeug, sondern ein Fahrrad benutzte. Der beklagte Kraftfahrer hat gegen § 8 StVO verstoßen. Er kam aus einer untergeordneten Straße, während sich die Klägerin mit ihrem Rad auf der bevorrechtigten Straße befand. Die Klägerin hat auch nicht ihr Vorfahrtsrecht dadurch verloren, dass sie den kombinierten Geh- und Radweg in entgegengesetzter Fahrtrichtung benutzte. Ein Radfahrer behält auch dann sein Vorfahrtsrecht, wenn er verbotswidrig den linken von zwei vorhandenen Radwegen benutzt, der nicht für die Gegenrichtung freigegeben ist (BGH Urt. v. 15.7.1986 – 4 StR 192/86 -; OLG Saarbrücken Urt. v. 17.4.2014 – 4 U 406/12 -; OLG Hamm Urt. v. 26.3.1992 – 6 U 335/91 -; OLG Hamm Urt. v. 10.3.1995 – 9 U 208/94 -).
Die Entscheidung des VI. Zivilsenats des BGH vom 6.10.1981 – VU ZR 296/79 – kann auf den hier zu entscheidenden Fall nicht angewandt werden, da sie von einem anderen Sachverhalt ausgeht. Als der beklagte Kraftfahrer losfuhr, befand sich die Klägerin auf der Hauptstraße. Sie hatte mithin Vorfahrt. Allerdings muss sich die Klägerin ein anspruchsminderndes Mit- bzw. Eigenverschulden nach §§ 9 StVG, 254 I BGB entgegenhalten lassen. Sie hat den gemeinsamen Geh- und Radweg entgegen der Fahrtrichtung benutzt. In ihrer Fahrtrichtung war der Radweg nicht freigegeben. Soweit es um die Kopfverletzungen geht, ist der Klägerin nicht vorzuwerfen, dass sie keinen Schutzhelm trug (vgl. BGH Urt. v. 17.6.2014 – VU ZR 281/13 -). Es besteht keine gesetzliche Helmpflicht für Radfahrer. Unter Berücksichtigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalles bewertet der erkennende Berufungssenat des OLG Hamm den Mitverschuldens- bzw. Eigenverschuldensanteil der Klägerin mit einem Drittel. Demgemäß haftet der beklagte Kraftfahrer wegen des Vorfahrtsverstoßes und dessen Kfz-Haftpflichtversicherung zu einem Anteil von zwei Dritteln. Insoweit hatte die Berufung Erfolg.
[color=#B22222]Fazit und Praxishinweis:[/color] Ein Radfahrer, der auf einem Radweg der bevorrechtigten Straße entgegen der Fahrtrichtung fährt, behält gegenüber den Fahrzeugen, die aus untergeordneten Straßen auf die bevorrechtigte Straße einbiegen wollen, das Vorfahrtsrecht. Allerdings muss sich der so fahrende Radfahrer im Falle eines Unfalls mit einem aus der untergeordneten Straße herausfahrenden Kraftfahrer ein Mitverschulden an den eigenen materiellen und immateriellen Schäden anrechnen lassen. Auch bei einem Unfall im Jahre 2013 begründet das Nichttragen eines Fahrradhelmes keine Anspruchsverkürzung. Es gibt keine gesetzliche Pflicht zum Tragen eines Fahrradhelmes.